VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 59

2. Guttings box 37/5
Nr 233. Montag=Morgen=Ausgabe.
Fränkischer Kurier, Nürnberg.

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Nr. 21. Montag=Morgen=Ausgabe.
Schlußwort ist die Psychoanalyse Mittel zu literari¬ Dichtung kommt es nicht so sehr auf das Räderwerk Kapite
Psychoanalyse und Literatur.
schen Erkenntniszielen.
der Motive als auf die Bewegung an, die es bewirkts Auf di
Der ausgesprochene Verzicht auf ästhetische Wertung
Randbemerkungen zu Dr. Theod. Reiks
Und in der Bewegung, in der Erscheinung, in Resul¬ Denn
ist eine Schutzmaßregel gegen bedenkliche Frager. Er
„Artur Schnitzler als Psycholog“.*)
taten das Räderwerk wie durch Schleier ahnen zu der V
will vorbeugen, er deutet auf die wundeste Stelle und
lassen, das ist eben die Kunst der Dichtung.
ratisch
Von Hans Natonek (Halle a. S.).
sagt: hier nicht anrühren! Dadurch aber, daß Reik bei
Was ist für das Verständnis des Hamlet=Problems wunde
Eine neue Methode der Literaturbetrechtung
Betrachtung eines Dichter=Lebenswerkes von vorn¬
getan, wenn eine psychoanalytische Literaturbetrach= unf
kündet sich an; seit nicht allzulanger Zeit, nicht immer
herein auf ästhetische Wertung verzichtet, ist er nicht
tung es auf dem Inzest=Motiv basiert? Das Bei¬(wos
sehr sympathisch und mit wechselndem Gelingen. Die
entschuldigt, wenn er es auch wirklich tut! Um so
spiel ist lehrreich: Hamlet fühlt sich zur Rache für die diese
Psychoanalyse hat die Neuheit und manches Frap¬
weniger, als er in seinem Schlußwort die Psychologie Ermordung seines Vaters so mächtig angespornt —1
pierende für sich und konnte die Hoffnungen, die man
als beste, fast einzige Methode der Literaturbetrach= aus einem Gefühl der Neue: er „überkompensiert“ die des
diesem Wissenszweig als einem belebenden Element
tung ausruft. Daß bei der psychologischen Zerfase= zu Lehzeiten seines Vaters empfundenen Haßregungen werk
der Literaturgeschichte entgegenbringt, ob seiner
#ung einer Dichtung etwas Ersprießliches für die nun überreich mit Liebe. Der Haß gegen den Vater schätz
Jugend noch nicht enttäuschen; aber das wird schon
Psychoanalyse herauskommt, mag sein; ob es aber der
aber wird mit den aus der frühesten Kindheit her=eine
noch kommen.
Dichtung zugute kommt, wenn man sie durch das
rührenden „infantilen“, im Heranwachsenden „un=die
Die Psychoanalyse in der Literaturgeschichte, neben
psychoanalytische Prisma betrachtet — das ist hier
bewußt stabilisierten“, erotischen Gefühlen für die
historischen, ästhetischen, kritischen Erwägungen, dürfte
die Frage; und deshalb wäre es gut gewesen, Reil
Mutter erklärt. Dieses sehr beliebte Schema deric
sich auch schon vor S. Freud**) nachweisen lassen.
hätte seinen Standpunkt reinlicher und widerspruchs¬
literarischen Psychoanalytiker wird auch bei Theodor die
Aber es ist sozusagen unbewußte Psychoanalyse. Be¬
los (obzwar ich sonst nicht so bin!) umschrieben und
Reik bis zum Ueberdruß in Schnitzlers Stücke hinein= wert
wußt zur vorherrschenden Methode bei Betrachtung
uns gesagt, ob er Literatur meint oder Psychoanalyse.
gepreßt. Gewiß, Schnitzler hat das Inzestmotiv be¬ Pach
von Dichter und Dichtung gemacht, bildet die Psycho¬
handelt, aber wo er es tat, ist er, bei aller dichterif hen gah¬
analyse ein Novum.
Neurotiker und Dichter sind eines Stammes. Von
Verarbeitung und Einkleidung, deutlich genug, so daß! Trei
Von Dr. Theodor Reik ist ein Buch erschienen:
jenem wußte man ohne die Forschungen der Psycho¬
nicht erst ein Psychoanalytiler kommen muß, um es wen
„Arthur Schnitzler als Psycholog“.
Im Vorwort
uns zu zeigen. Und wo der normale Leser von einem
analyse nur sehr wenig. Von diesem ahnte man
programmatisch: „Die folgende
manches auch ohne sie. Man ahnte, daß der Dichter
Inzestmotiv nichts merkt, da wollen wir nicht, daß der

Untersuchung verzichtet von vornherein auf ästhetische
Gedanken, Worte, seelische Vorgänge wie wirkliches
Psychoanalytiker eines herausdeute, selbst wenn er
mei
Wertungen und verfolgi nur wissenschaftliche Zwecke.“
Geschehen wertet; daß ihm die Kunst Ersatz für das
recht hätte. Unmöglich kann es im Sinn des Dichters
Pfy
Und im Schlußwort: „Literaturbetrachtung sei im
Leben ist, vor dem er sich fürchtet, oder nach dem er
und der Dichtung liegen, immer auf den vagen
Vorg
wesentlichen angewandte Seelenkunde. Der Kritiker
sich sehnt, ohne die Kraft zu besitzen, es sich unter¬
sexuellen Ursprung, auf den Keim zu weisen, der den
die
sei ein Psychologe..
Die Arbeit des Literarhisto¬
tänig zu machen. Die Psychoanalyse verhalf diesen
Vielfältigkeiten menschlichen Fühlens und Handelns
rikers sei seelische Tiefseeforschung.“ Nach dem Vor¬
Ahnungen (und vielen anderen) zur Bewußtheit (das
zugrunde liegt. Diese Methode, immer bis auf die schrieb
wort also hat die psychologische Analyse zur Literatur
tut die Psychoanalyse mit Vorliebe!). Sie erkannte
Sexualzelle zurückzugehen, Leben und Dichtung ins
Verga
kein anderes Verhältnis als zum Leben selbst, als zu
das Wesen des Neurotikers, sie zog Verbindungs¬
Psychoanalytische zu übersetzen, verleidet uns die Dich¬
zua
irgend einem Objekt, das die Psychoanalyse zum
linien zwischen ihm und dem Dichter, sie lieh seelischen tung, selbst wenn der Psychoanalyse eine scharfsinnige
nisse
Gegenstand ihrer Untersuchungen macht. Der Haupt¬
Vorgängen eine Terminologie, gegen die nichts ein= Deutung gelingt. (Wie das Leben, psychoanalytisch
dieses:
ton ruht auf Psychologie; daß sie die Dichtung aufs
zuwenden wäre, so lange sie nicht in die Sprache ein¬
betrachtet, wegkommt, liegt außerhalb der Grenzen fühl
Korn genommen hat, ist mehr oder minder nebensäch¬
dringt. Das ginge alles noch an; aber: seitdem die
dieses Themas).
sublim
lich und zufällig. Im Schlußwort ist der Standpunkt
Neurotiker mit den Dichtern gehen, gehen die Psycho¬
Wenn ich einen wundervollen Hymnus auf die
den
(von dem man annehmen darf, daß es der Standpunkt
analytiker mit den Literarhistorikern. Und hier setzen
Sonne lese und ein Physiker kommt und zeigt mir das
wehr
des Buches ist) gewechselt: Die psychoanalytische
wieder unsere Bedenken ein.
Spektrum des lichtspendenden Körpers, so bin ich
Durchforschung des Dichterwerkes gilt dem Autor als
irritiert, so rufe ich: ich will nichts wissen! Der lite¬
Wit
die beste Art, Literaturhistorie zu treiben. Im Vor¬
rarische Seelentiefenforsher aus der Schule Freud P
Der Kunst ist das Psychologische nicht Selbstzweck.
wort ist die Psychoanalyse Zweck, die Dichtung nur
Die Dichtung will nicht die innersten Mechanismen gibt das psychvanalytische Spektrum der Dichtung; das
Gegenstand und Mitte! der Untersuchung. Im
sie, deren hochste Wirkung Synthese heißt! — Wem
und Triebwerke der Psyche aufdecken. Ihre Ziele
zum Danke? Dem Dichter, der Dichtung, dem Leser?
Litera
liegen ganz anderswo. Sie will nicht angewandte
Im Verlage von L. C. C. Bruns, Minden i.W.
betoußt
Psychologie sein. Wenn sie es ist, so ist sie das nur
**) Siegmund Freud ist der Begründer und
über d
ganz nebenher, so hat sie die seelischen „letzten Dinge“
Es finden sich in ReiksBuch treffliche Bemerkungen
bedeutendste Vertreter der Psychoanalyse.
nur ertastet, um sie gleich wieder zu verhüllen. Der über das Schaffen des Dichters; besonders in dem
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