VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 61

2. Guttings box 37/5
Seite 6. Montag=Morgen=Ausgabe.
Fränkischer Kurier, Nürnberg.
Unterbewußten zu Bewußtsein erhebt, stolpert bei= Hoffensthal hier nicht geben, wo er ein leidenschaft= bachs klassische Frauengestalten“, „Die Kunst dem
nahe das geistige Leben einer ganzen Generation. lich liebendes Weib schildert, das seine Liebe den
Volke“, „Adel und Volk in der Kunst“, „Albrecht
Launen eines schwachen Mannes opfert, denn sein
Dürer und Lukas von Lejden als Freunde“, „Kunst¬
ganze Schaffenskraft ist nur den Seelenkämpfen
formen der Natur“, „Vom Meißener Porzellan“,
Hans von Hoffensthal: Marion Flora.
dieser beiden Menschen gewidmet. Aber gerade in
„Das Kunstproblem in der Jugenderziehung",
Roman. Berlin 1914 bei Egon Fleischel
dieser äußerlichen Schwäche beruht die feine Schön¬
„Deutsche Burgen“, „St. Sebald in Nürnberg“
u. Co.
heit der Dichtung.
u. a. m. Von den in die einzelnen Hefte eingefügten
Mit den musikalischen Stimmungsbezeichnungen
farbigen Kunstbeilagen seien erwähnt: „Elise Eva“
G. G. Wiessner.
emer Symphonie hat Hoffensthal die einzelnen
von Ludwig v. Zumbusch, „Umblümter Weiher“ von
Zeile seines neuen Romans überschrieben, und folgen
Wilhelm Steinhausen, „Iphigenie“ v. A. Feuer¬
nir seiner Schöpfung, wahrhaftig, es scheint uns hier
Gabriele Reuter: „Liebe und Stimmrecht“.
bach, „Östermorgenspuziergang“ von Theodor Schütz.
klingen wie in einem Orchester, das eben
zu
Die Zeitschrift, die nicht nur Aufsätze von Kunst¬
S. Fischer, Berlin.
Beethovens Pastorale spielt, so fein weiß der Dichter
ästhetikern bringt, sondern auch bestrebt ist, Aufsätze
In der ihr eigenen temperamentvollen und über¬
Naturstimmungen in lichten Farhen zu malen, so
von schaffenden Künstlern über ihre Kunst und die
zeuge en Weise hat nun auch Gabriele Reuter in
sicher kehren einzelne glänzende Motive immer
Entstehung eines Kunstwerkes ihren Lesern zu unter¬
der Frage des Frauenstimmrechts das Wort er¬
wieder. Hoffenthals Schilderungskunst reicht an die
breiten, verdient gewiß Unterstützung und kann warm
griffen. Sie verlangt die Mitwirkung der Frau am
Stifters heran, aber er ist moderner und wirkt daher
empfohlen werden.
öffentlichen Leben aus einem ganz anderen Grunde,
eindringlicher auf uns. Und ein Herz hat er, wie
als wir gewohnt sind zu hören, und zwar um der
Rosegger. Der ganze Roman besteht eigentlich nur
[Liebe willen, die sich bei Mann und Weib zu der
Trine Ralph Waldo: Der Neubau de
aus einer Aneinanderfügung herrlicher Einzelszenen;
Höhe aufschwingen soll, daß sie dem einzelnen In¬
Lebens. Uebersetzung von Max Christ¬
um die Handlung straff zusammenzuhalten, dafür ist
dividuum jede, aber auch jede Entwicklungsmöglich¬
lieb. Stuttgart 1914.
Hoffensthal viel zu sehr Dichter. Aber wir können
keit bietet und zur vollen Entwicklung der Frau ge¬
nicht sagen, welcher Szene wir den Vorzug geben
Diese „Richtlinien“, wie der Verfasser seine gut¬
hört ss lsa Stufe vielleicht nur das Stimmrecht.
wollen: dem Weihnachtsabend auf dem Ritten, oder
gemeinten Ratschläge und Ausführungen, Warnun¬
Gabriele Reuter ist selbst weit davon entfernt zu be¬
dem Erwachen des Bären, oder der, wie der Föhn
gen und Aufmunterungen bezeichnet, fordern auf,
haupten, daß die Mitwirkung der Frau in der Politik,
daherkommt, oder der Liebesszene im 8. Kapitel,
„die Zeit zu erkennen, die abgestorbenen Gedanken
im parlamentarischen Leben, bei der Gesetzgebung
Sie
wenn es heißt: „Wie diese Tage lächelten. —
und Dogmen früherer Jahrhunderte über Jesus
usw. auf jeden Fall ein Segen für das Volk sein
hatten die Gesichter süßer Kinder, fröhliche Mäul¬
fallen zu lassen und unmittelbar auf die leben¬
wird. Aber der Versuch soll gemacht werden. Dem
chen, blitzende Augen und darin eine Welt von
schaffende Kraft und Schönheit der grundlegenden
Einwand, daß der Staat nicht dazu da sei, um den
Sonnenschein.
„Hast du mich gerufen?“
Frauen zu Experimenten ihrer Entwicklung zu Lehren Jesu zurückzugehen.“ Trine versichert dessen,
„Nein,“ lacht Marion zurück und reicht dem Ge¬
daß der Inhalt des Christentums die größte Kraft
dienen, begegnete sie mit den Worten: „Doch, gerade
liebten die Hand, „ich rief dich nicht. Ich habe über¬
umschließe, die je auf Erden lebendig gewesen ist.
dazu ist er da. Seit Staaten existieren, waren sie
haupt den ganzen Vormittag noc nicht an dich ge¬
„Deshalb müssen wir uns hüten, daß wir nicht mit
Tummelplätze für Experimente zur Menschheits¬
dacht.“ — „Was tatest du dann?“
„Ich saß vor
dem Wertlosen auch das Wertvolle verwerfen. Was
entwicklung. Absolutismus — Demokratie
unserem kleinen Hause und sann.“
die Zeit verlangt, ist eine Wiederholung der Refor¬
Monarchismus — Republik — Tyrannei — Parla¬
hast du, sag, nicht vorhin die Glocke gehört?.
— „Ja,
mation, eine Neubildung des ganzen christlichen
mentarismus
Waren alle diese Formen, die
freilich hörte ich sie. Sie klang so schön. Tausend
Lehrgebäudes und das Aufgehen all der alten An¬
sich in den verschiedenen Staatswesen abgelöst haben,
schauungen und Vorstellungen, die daran schuld sind,
Dank.“ — „Ich habe sie geläutet. Nun sag, hast nicht lauter Experimente, die Völker unternahmen,
du wirklich nicht einmal an mich gedacht?“
daß sich die verschiedenen Dogmen und ebenso die
um sich in ihnen, an ihnen zu entwickeln? Ein
„Ich kann es nicht
„Nein, nicht einmal —
vielen Spaltungen in der Kirche gebildet haben, wo¬
Staat, der stagniert, der nicht fortwährend neue
„Nein, nicht einmal — nicht einen
glauben.“ —
durch so viele religiöse Kraft verloren gegangen ist.
Kräfte aus sich selbst gebiert, der birgt den Todes¬
Augenblick lang habe ich aufgehört an dich zu denken.“
Das Christentum muß wieder Leben und Lebenskraft
keim in sich und geht dem Zerfall entgegen. Die
Sie lehnte sich an ihn und schloß die Augen. —
aus dem Geiste Jesu schöpfen, eine Religion des
Teilnahme der Frau bedeutet einen Zufluß neuen
„Hast du es, Marion, deinem Vater erzählt?“
immer fließenden Lebens werden; der See muß
Blutes
bedeutet noch unerprobte Kräfte im
„Noch nicht.“
„Nein, du deiner Mutter?“
immer frischen Zufluß aus seiner Quelle haben, sonst
Staatsleben.
wird das Wasser faul.“
„Dann höre,“ sagte sie und nahm seine Hand, „wir
Wohlan, mache man den Versuch sie einzustellen.
Es ist hier nicht der Platz, sich mit Trine kritisch
wollen es eine Weile nur für uns wissen.“
Nun, man mag zu der Frage stehen, wie man will,
„Nein, daß du —“
„Was?“ — „Nun, daß du —“
auseinanderzusetzen, wie auch mit dieser Anzeige des
jedenfalls wird man es nicht bereuen, Gabriele
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„Daß also ich — dich so lieb habe.““
neuen Buches des amerikanischen Predigers keine
Reuters kurzer Broschüre ein Stündchen zu widmen.
Charakterisierung seiner Eigentümlichkeiten ver¬
Oder ist die Szene schöner, da Georg mit verun¬
Sei es auch nur um sie mit einem leisen Neidgefühl
bunden werden soll. Er hat sicherlich das mit allen
glücktem Eramen zu Hause die Fiedel spielt. Es ist
gegen so viel fröhlichen Optimismus aus der Hand
Predigern gemeinsam, daß es ihm nie davor bangt,
schwer zu agen.
zu legen.
sich bis ins Unermeßliche und stetsfort zu wieder¬
H. R.
Hoffensthal ist Meister der stimmungsvollen
holen. Zweifellos wird dieser Umstand jedoch er¬
Kleinmalerei. Seine Handlungen müssen sich Natur¬
bauungsbedürftige Gemüter niemals daran hindern,
stimmungen fügen, er macht sie von ihnen abhängig.
in der Lektüre seiner Schriften Stunden des Heils
Volkstümliche Kunst. Halbmonatsschrift zur
Freilich, die große Anlage des Stoffes meistert er
und der Erlösung zu finden.
Förderung und Pflege der Kunst im Leben
nicht. Die Geschichte des Luisl, die vorangestellt ist,
Dr. J.
des Volkes. Herausgeber: Artur Dobsky,
ist eine schöne Novelle, die aber zum Roman nur
Stuttgart. Verlag Richard Keutel=Stuttgart.
schwache Fühlung bekommt. Auch Eindrücke einer
Preis vierteljährlich 4.— „, für die Einzel¬
Indienreise sind in diese Vorgeschichte verwoben.
Einlauf:
nummer 80 J.
Aber sie treten eben so sehr hinter den Schilderungen
(Eine Zurücksendung unbestellt eingesandter Bücher erfolgt
Seit Januar lsd. Is. erscheint im „Verlag für
des Bozener Heimatbodens zurück, wie die Handlung
nicht. Eine Besprechung der eingelaufenen Bicher behäkt
Volkskunst“ obengenannte Kunstzeitschrift. Aus den
hinter den Stimmungsbildern zurücktritt. Aus
sich die Redaktion von Fall zu Fall vor.)
bisher erschienenen Heften seien hier einige Themen
ihnen sucht der Dichter Zusammenhänge; gekünstelt
Velhagen u. Klasings Volksbücher.
angeführt: „Die Einführung der Künste in Deutsch¬
würden sie erscheinen, wenn sie uns nicht so schlicht,
Leipzig, Velhagen u. Klasing. Jeder Band 60 J.
fast wie Märchen anmuteten. Gern verzichten wir land durch das Christentum“, „Lionardo da Vinci“,] Goethes Mannesjahre.
Von Johannes
auf rasch fortschreitende Geschehnisse; die kann uns „Segantini über das Wesen der Kunst“, „Feuer=[Goethes Mannesjahre. (104.) Von Johannes
m — —

E.
PAE