VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 8

en n eenen enn 1 1. en lunist geiet Beidene
ese Misère großzügig an= schaften; aber sie zeigt auch Gnaden und Helden; sie
ie großen Dichter würden malt die Wollust, aber sie malt den Teufel dazu; sie spot¬
inen von der Bretterwelt tet, aber nicht um Gesellschaftseinrichtungen und =werte
einer Aufrichtigkeit, die niederzureißen, sondern um fehlende Einzelmenschen zu
einem Hellschen in die bessern. Ueber ihrer Erde wölbt sich der Himmel; ihren
ist, sagt Heine, —
Rätselpeinen und Erdennöten strahlt die Sonne gött¬
späterer Theaterdirektoren,
licher Wahrheit und göttlicher Erbarmung.
ler späterer Stückeschreiber
nde kann man es den kleinen
Brachte nicht der Ernst der Kriegszeit eine Aen¬
sie sich gegen die Invasion
derung und Besserung im Theaterbetrieb, eine Annähe¬
möglich wehren. Was
rung zum Ideal? Wurde bei der allgemeinen Mobil¬
sie, bleibt in eurer Lite¬
machung nicht auch das Theater mobil.gemacht im Inter¬
icht zu unseren Suppen¬
esse der Reinigung, der Hebung, der Weckung des Volks¬
Ruhm, für uns das
willens zum großen Kampf für die Heimat? Wurde
Artikel der Bewunderung,
nicht die Welt der Kunstschönheit herangezogen zur
die höhere Kritik, die uns
Unterstützung von Kanzel und Katheder, herangezogen
Für euch der Lorbeer, für
zur Entflammung des Volkes für Kaiser und Vaterland,
der Rausch der Poesie, für
für Opferdienst und Seelenstärke? Klang's nun nicht aus
agners, den wir vergnüglich
allen Theaterstücken: Nichtswürdig ist die Nation, die
Chefs der Claqueure und
nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre“ — „Das Leben ist der
ir essen, trinken, werden
Güter höchstes nicht, der Uebel größtes aber ist die
vergessen, während ihr in
Schuld“? Wurde nun auf der Bühne die Kultur der
gefeiert werdet und der
Wahrheit und Freiheit, des höheren Geisteslebens und
egenhungert.“
der höheren Rechtsordnung, in deren Namen die Söhne
der Heimat an die Front zogen, dem Feinde, dem Tode
terelendes der letzten Jahr¬
entgegen — wurde diese Kultur auf den Bühnen des
Hinterlandes entsprechend repräsentiert? Wurde nun
muß man sich vergegen¬
auch im Theater jener Gott gepriesen, in dessen Kathe¬
und neuer Menschheits¬
dralen und Kirchen ein gramgebeugtes, ein hilfeheischen¬
Voraussetzungen und An¬
welches ihre Ideale von des Volk sich drängte? Wurden nun auf der Bühne die
Heldengestalten der Geschichte lebendig, wurden die
Im siebenten Buch der
lede von Tragödiendichtern,
Heroen der Vergangenheit zu Sprechern und Führern
d um die Erlaubnis, ihre
der Gegenwart? Erklang nun der Sang von der Hei¬
mat auf der Bühne, der Sang von dr Heimat mit jener
n, bitten. Plato läßt den
Zärtlichkeit, Inbrunst und Opferwilligkeit, aus der
Stadhäupter die Antwort
ein Garczynski schwur: „So lange diese Hand
er eines Dramas, infofern
nicht erstarrt, soll diese Hand dem Vaterland
der Nachahmung des schön¬
gehören. So lange der Gedanke nicht stirbt,
t. Den gleichen Zweck muß
soll er ihm geweiht sein. Gott, Du verlangst Opfer —
folgen. Wähnt daher nicht,
meinen Geist will ich zum Opfer geben, mein jetziges
gestatten, eure Schaubühne
und zukünftiges Leben. Ich will wie das Volk in der
gen. Vorher muß die zu¬
Wüste hungern, wenn nur damit dem Vaterlande ge¬
ihr Schickliches gedichtet
holfen werden kann. Jeder Gedanke soll fromm sein
Bestrebungen in euren
wie eine Hymne, meine Zunge soll den Lippen Worte
unserer Staatsver¬
nzen
Deines ewigen Lobes reichen, in Gebeten will ich die
Wir und der ganze
Nächte durchweinen, die Tage in Qualen zubringen, nur
hnen sein, wenn wir eure
möge mein Land befreit sein ...“ War nun auf der
iches zum Geiste unserer
Bühne ein Triumphieren über die Siege der echten
Aristoteles erklärt in seiner
Kultur, ein tröstendes, befreiendes Mitweinen mit
nd Beobachten unsittl.cher
den leidtragenden Opfern des Krieges? Raunte es nun
aus dem Staate verbannt
auch im Theater: „Jedwede stille Minute mahnt's:
überhaupt, wenn irgend
Menschen sind jetzt in Not; jede stille Minut ahnt's:
aus dem Staat verbannen,
Brüder schlägt man dir tot. Nichts denken, als dies und
auch schlechte Handlungen
immer dies: Menschen in Not, Brüder dir tot, Krieg ist
kunden Thomas von Aquin
im Land...?“ Sind angesichts des Krachens einer
ndnis für das Theater.
Welt, angesichts des großen Sterbens, ange¬
unterhaltenden Charakters
sichts der Leichenfelder und der zertrümmerten
rius ad conversationem
Städte, der obdachlos gewordenen Bevölkerungs¬
Spiel hat notwendige
massen und der verkrüppelten Brüder die geist¬
Leben sagt ersterer;
losen Phrasendrescher und Witzmacher von der
und Erfreuung finde der
Bühne verschwunden? Hat man auf der Bühne die
beiden ist Voraussetzung,
großen Opfer und Leiden der Zeit geachtet? Hat die
Einklang mit den sozial¬
große Zeit die große Kunst auf den Theatern erstehen
entums stehe. In Paris
lassen? — Als einst griechische Kultur schon im Nieder¬
hunderts einen Theologen¬
gang begriffen war, schrieb Aristophanes sein Lustspiel
niz verteidigte damals die
„Die Frösche“, welches das Thema „Theater in der
um, in dem es heißt: „Wißt
Kriegszeit“ behandelt. Athen ist wieder einmal in Ge¬
hundert ein Molière so gut
fahr, vom Feinde bedroht. Was soll in solcher Zeit
hen erbauen darf? Das
das ist der Inhalt der Komödie — den Athenern auf
es Dichters und geht in sich.
der Bühne geboten werden, den Athenern, an die der
braucht man entweder
Appell zur Rettung der Heimat ergeht? Nichtigkeiten
n.“ Es ist offenkundig, daß
der Gegenwart kommen nicht in Betracht, nur Klassiker
erteidigt wird. Friedrich
der Vergangenheit. Es wird eine Deputation in die
eltbekannten Abhandlung
Unterwelt geschickt, die sich bei der Frage: wen sollen
as nur Zeitvertreib ist,
wir mitnehmen? schließlich vor der Wahl: Aeschylus
zu beleben, unfreundliche



sind auch viele Gutmeinende mitschuldig. Mitschuldig,
weil sie ihre Proteste gegen die Entartung in der
Herzenskammer verschlossen, oder auf das Räsonieren
am Stammtisch beschränkten. Das Theater hätte nicht
so undeutsch und unchristlich werden können, wenn es
nicht so viel praktische Gleichgültigkeit und Indolenz
bei den Deutschen und Christen gegeben hätte. Wie viele
unserer Theaterbesucher haben es gemacht, wie 1909
Präsident Taft in Washington, der, als auf der Bühne
einige stark naturalistische Szenen aufgeführt worden
waren, nach dem ersten Akte eines Schauspiels demon¬
strativ seine Loge verließ? Wie viele haben es gemacht
wie die deutsche Kaiserin, die um die gleiche Zeit ihre
sittliche Entrüstung über eine Opernszene offen kund¬
gab? Wie viele Gutmeinénde haben, mit Gleichge¬
sinnten vereint und Vereinsorganisationen aufbietend,
durch Forderung bestimmter Stücke gegen Garantie
einer bestimmten Besucherzahl, Einfluß auf die
Theaterspielpläne zu nehmen gesucht? Wie viele
Adelige haben darauf gedrungen, daß den Begriffen
Adel und Ehre nicht nur in Schloß und Gesellschaft,
sondern auch in der Welt des Theaters Achtung ent¬
gegengebracht werde? Wie viele Christen haben bedacht,
daß das Christentum nicht nur eine Sache für Kirche
und Sakristei, sondern ein Programm und eine Forde¬
rung für alle Lebensgebiete, auch für die Bühnenwelt
sei? Wie viele Steuerzahler haben die Inkonsequenz
erwogen, die darin liegt, Riesensummen zur Ausbil¬
dung von Geistlichen und Lehrern, zum Unterhalt von
Kirchen und Schulen für die Erziehung des Volkes aus¬
zuwerfen und gleichzeitig zu gestatten, daß ein paar
literarische Handelsleute sich aus dem Zerstampfen der
Früchte von Schule und Kirche ein einträgliches Ge.
schäft machen? Wie viele gutmeinende Staatsmänner
haben angesichts der frechen Anarchismen auf den Büh¬
nen an das unheimliche Bild sich erinnert, mit dem
Taine die Macht und den Weg umstürzender Gedanken
schildert: Im ersten Stock des Hauses sind die Gedanken
bloß Abendbeleuchtungen, Salonfunken, bengalische
Feuer, mit denen man spielt und die man lachend aus
dem Fenster wirft. Aber in den Wohnungen und Ge¬
schäftsräumen des Erdgeschosses stecken die Funken alte
Stoffe in Brand — und im Keller ist ein großes
Pulverlage...? Wie viele Schönheitsdürstige, nach
künstlerischer Erbauung sich Sehnende, haben laut und
unablässig gegen das Aufrichten von Lazaretten und
Opelunken auf der Bühne protestiert; wie viele haben
sich geweigert, mit dem Trost eines Richard Dehmel sich
abzufinden: „Wer die gemeinsame Andacht einer zur
höchsten Geistespflege versammelten Menge erleben
möchte, oder auch nur das erhebende Mitgefühl men¬
schenwürdiger Körperhaltung: der geht besser nicht in
das Theater, sondern in den Kölner Dom, oder noch
besser in eine Dorfkirche, selbst wenn er an keinerlei
Gottheit mehr glaubt. Ohne Spott: der religiöse Ritus
ist heute das einzige Surrogat für die dramatische Zere¬
monie, die einst aus Spießbürgern göttliche Helden, aus
Stalljunkern Herren der Welt züchten half...? —
Hoffen wir auf die Ergebnisse der Weltkriegsnot!
Tausende sind im Schützengraben, in Todesgefahr und
täglicher Entbehrung, aus Spielern Ernste und aus
Kurzsichtigen geistig Reife und Anspruchsvolle gewor¬
den. Die werden, heimgekehrt, auf der Bühne jene
Ideen nicht mehr verhöhnen lassen, die ihnen in der Not
aufleuchteten und die ihnen Schutzengel und Führer
wurden. Tausende, durch den Anblick der Leichenfelder
und Trümmerstätten, der ruinierten Existenzen und
der weinenden Waisen im Innersten ergriffen und auf¬
geweckt, werden nicht ruhen, bis auch das Theater sich
wieder zu jenen Idealen bekennt, deren Verteidigung“
so viele Opfer verlangte, und deren Anerkennung den
Segen des Himmels auf die Heimat herabrief.
pr. 2/
W