2. Cuttings
box 37/6
ouchent.
Wiener Jebraal, Wier
Ausschnitt aus:
24 11 1975
vom:
Alte Wiener Volksstücke.
Einige Bemerkungen zu dem Altwiener
Theaterabend in der Neubaugasse.
Von
Siegmund Schlesinger.
Aus dem Rahmen zweier langvergessener kleiner Stücke,
deren Neubelebung angekündigt wird, drängt sich eine Fülle von
Gestalten und Gedanken heroor, die das Wiener Volkstheater aus
den früheren Zeitabschnitten des vergangenen Jahrhunderts an die
Gegenwart von heute hereinrücken und einer Verbindung dieser
mit der Vergangenheit zustreben. Zwei kleine Stücke, die zwei
der größten Erfolge von damals und zwar der charakteristischsten
Epochen unserer Volksbühne aus dem Vor- und Nachmärz dar¬
stellen: die naive Harmlosigkeit des pudelnärrischen „Wenzel
Scholz=Stückes“, in das sich freilich schon die damals
noch nicht recht zum Bewußisein gelangte ätzende Satire des
wühlerischen Nestroyschen Witzes mischte, und der gemütlich
anfte „Liberalismus“ der „neuen Aera“ des „Josefinismus“ der
Sechzigerjahre, der seinen Idealausdruck in der Gestalt Kaiser
Josefs II. suchte und das „Kaiser Josef=Stück“ in
mannigfachen Varianten schuf. Als die wirksamste wohl erwies sich der
Einakter „Der Gevatter von der Straße“ aus
er Feder Anton Langers, des „Hans Jörgel von Gumpolds¬
kirchen“ der den Volkston von damals am richtigsten traf. Man
drängte sich zu dem Stückchen in das Carl=Theater, das seine
populärsten Darsteller darauf verwendet hatte: die Gall¬
meyer, den zum innersten Wiener Herzen sprechenden Gemüts¬
komiker Matras und den vor noch nicht langem erst von
hinnen geschiedenen Franz Tewele, dessen Kaiser=Josef¬
Maske zu den Wiener Sehenswürdigkeiten zählte. Eine solche
war diese, der Mit= und Nachwelt in fröhlicher Erinnerung ver¬
bliebene, überlebensgroße „Tewele=Nase“ immer gewesen, nur in
lotal anderem Sinne als die stets gern begrüßte Erregerin unbe¬
grenzter Heiterkeit — sie wetteiferte in der belustigenden
Wirkung mit der wirbelnden Zunge, so daß ihr Eigner
mit gleichem Recht als „Nasen=“ wie als „Zungenkomiker“
gekennzeichnet war — aber erstaunlich war es, wie diese, ver¬
meintlich nur aufs Lachen zietende tiebernase durch eine erlesene
Kunst der Schminke hier dazu verwendet wurde, die edle
Physiognomie des zweiten Josef zu eindrucksvollster und liebens¬
würdigster Ansichtlichkeit zu bringen. Die Photographienverkäuser
machten glänzende Geschäfte, der „Tewele=Kaiser Josef“ ging reißend
ab, ich selbst habe das interessante Bildchen lange verwahrt, bis
es mir von einem Kollegen, einem eifrigen Sammler, abgeschwatz'
wurde. Noch ein sinn- und zeitverwandter Einakter Anion
Langers hatte auf derselben Bühne den so ziemlich gleichen
Sensationserfolg mit der Behandlung der „Judenfrage“
in einer Art diplomatischen Duells zwischen dem für sein
Volk eintretenden Hofbankier Samuel Oppenheimer und dem diesem
nicht allzusehr gewogenen Staatskanzler, dem nervös=geistvollen
Fürsten Kaunitz. „Ein Wortan den Miaister.“ hieß
das Stückchen, Anton Ascher als Kaunitz und Karl
Treumann als Oppenheimer bildeten nicht bloß die Abend=,
sondern auch die Tagesunterhaltung der Wiener Gesellschaft die
sich im Cail=Theater ihr Stelldichein gab. Nicht mindere
Repertoire=„Schlager“ aber waren in der Nestroy=Scholz=Zeit des
Mt. 7020
Kauic
Vormärz die zwei ganz und gar „unschuldigen" Einakter
Nestroys; „Tratschmirl“ und „Herüber — Hinüber“ gewesen,
deren letzterer nun gleichfalls von der „Volksbühne“ in der
Neubaugasse hervorgeholt wird
sie füllten mit ihrer halb¬
stüngigen Wirksamkeit das alte „Leopoldstädter Theater“ wie die
ausgewachsensten Kasseustücke.
Daß nun gerade die „Volksbühne“ diesen bemerkenswertes
Wiederverwendungsversuch macht und direkteste Anknüpsung an dan
Wienertum, ja an das Altwienertum sogar, zu bewerkstelligen
trachtet, will mir stark symptomatisch erscheinen Und zwar keineswegs
überraschend etwa, sondern als etwas ganz natürlich Erklärbares
und aus dem klugen und richtigen Ermessen der Ergebnisse dieser
u
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ouchent.
Wiener Jebraal, Wier
Ausschnitt aus:
24 11 1975
vom:
Alte Wiener Volksstücke.
Einige Bemerkungen zu dem Altwiener
Theaterabend in der Neubaugasse.
Von
Siegmund Schlesinger.
Aus dem Rahmen zweier langvergessener kleiner Stücke,
deren Neubelebung angekündigt wird, drängt sich eine Fülle von
Gestalten und Gedanken heroor, die das Wiener Volkstheater aus
den früheren Zeitabschnitten des vergangenen Jahrhunderts an die
Gegenwart von heute hereinrücken und einer Verbindung dieser
mit der Vergangenheit zustreben. Zwei kleine Stücke, die zwei
der größten Erfolge von damals und zwar der charakteristischsten
Epochen unserer Volksbühne aus dem Vor- und Nachmärz dar¬
stellen: die naive Harmlosigkeit des pudelnärrischen „Wenzel
Scholz=Stückes“, in das sich freilich schon die damals
noch nicht recht zum Bewußisein gelangte ätzende Satire des
wühlerischen Nestroyschen Witzes mischte, und der gemütlich
anfte „Liberalismus“ der „neuen Aera“ des „Josefinismus“ der
Sechzigerjahre, der seinen Idealausdruck in der Gestalt Kaiser
Josefs II. suchte und das „Kaiser Josef=Stück“ in
mannigfachen Varianten schuf. Als die wirksamste wohl erwies sich der
Einakter „Der Gevatter von der Straße“ aus
er Feder Anton Langers, des „Hans Jörgel von Gumpolds¬
kirchen“ der den Volkston von damals am richtigsten traf. Man
drängte sich zu dem Stückchen in das Carl=Theater, das seine
populärsten Darsteller darauf verwendet hatte: die Gall¬
meyer, den zum innersten Wiener Herzen sprechenden Gemüts¬
komiker Matras und den vor noch nicht langem erst von
hinnen geschiedenen Franz Tewele, dessen Kaiser=Josef¬
Maske zu den Wiener Sehenswürdigkeiten zählte. Eine solche
war diese, der Mit= und Nachwelt in fröhlicher Erinnerung ver¬
bliebene, überlebensgroße „Tewele=Nase“ immer gewesen, nur in
lotal anderem Sinne als die stets gern begrüßte Erregerin unbe¬
grenzter Heiterkeit — sie wetteiferte in der belustigenden
Wirkung mit der wirbelnden Zunge, so daß ihr Eigner
mit gleichem Recht als „Nasen=“ wie als „Zungenkomiker“
gekennzeichnet war — aber erstaunlich war es, wie diese, ver¬
meintlich nur aufs Lachen zietende tiebernase durch eine erlesene
Kunst der Schminke hier dazu verwendet wurde, die edle
Physiognomie des zweiten Josef zu eindrucksvollster und liebens¬
würdigster Ansichtlichkeit zu bringen. Die Photographienverkäuser
machten glänzende Geschäfte, der „Tewele=Kaiser Josef“ ging reißend
ab, ich selbst habe das interessante Bildchen lange verwahrt, bis
es mir von einem Kollegen, einem eifrigen Sammler, abgeschwatz'
wurde. Noch ein sinn- und zeitverwandter Einakter Anion
Langers hatte auf derselben Bühne den so ziemlich gleichen
Sensationserfolg mit der Behandlung der „Judenfrage“
in einer Art diplomatischen Duells zwischen dem für sein
Volk eintretenden Hofbankier Samuel Oppenheimer und dem diesem
nicht allzusehr gewogenen Staatskanzler, dem nervös=geistvollen
Fürsten Kaunitz. „Ein Wortan den Miaister.“ hieß
das Stückchen, Anton Ascher als Kaunitz und Karl
Treumann als Oppenheimer bildeten nicht bloß die Abend=,
sondern auch die Tagesunterhaltung der Wiener Gesellschaft die
sich im Cail=Theater ihr Stelldichein gab. Nicht mindere
Repertoire=„Schlager“ aber waren in der Nestroy=Scholz=Zeit des
Mt. 7020
Kauic
Vormärz die zwei ganz und gar „unschuldigen" Einakter
Nestroys; „Tratschmirl“ und „Herüber — Hinüber“ gewesen,
deren letzterer nun gleichfalls von der „Volksbühne“ in der
Neubaugasse hervorgeholt wird
sie füllten mit ihrer halb¬
stüngigen Wirksamkeit das alte „Leopoldstädter Theater“ wie die
ausgewachsensten Kasseustücke.
Daß nun gerade die „Volksbühne“ diesen bemerkenswertes
Wiederverwendungsversuch macht und direkteste Anknüpsung an dan
Wienertum, ja an das Altwienertum sogar, zu bewerkstelligen
trachtet, will mir stark symptomatisch erscheinen Und zwar keineswegs
überraschend etwa, sondern als etwas ganz natürlich Erklärbares
und aus dem klugen und richtigen Ermessen der Ergebnisse dieser
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