VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 17

2. Cuttings
anz seltener Wiederholung die „Medea“ sehen können.
Nein, es geht doch nicht mit Grillparzer. Er hat am Burg¬
theater abgewirtschaftet. Das hat der Grillparzer=Zyklus
bewiesen, der das Gegenteil beweisen sollte.
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Und überhaupt muß die Burgtheaterleitung jetzt da¬
rauf bedacht sein, das durch den Grillparzer-Zyklus gefähr¬
dete Ansehen des Hoftheaters schleunigst wiederherzustellen.
Denn es könnte dem Ruf dieses Theaters als einer mo¬
dernen Bühne, die ja den verschiedenen kleinen Privat¬
theatern in scharfer Konkurrenz zur Seite bleiben will,
arg schaden, wenn im Publikum die Meinung entstünde,
daß jetzt hier wirklich Klassiker gepflegt werden sollen und
der alte versunkene Theatergeist wieder herrschen soll. Diese
gefährliche Vorstellung aufkommen zu lassen, lag durchaus
nicht in der Absicht der Burgtheaterleitung. Und so mußte
rasch etwas geschehen, um der Gefahr vorzubeugen. Darum
war denn schon die nächste Woche wieder eine echte, mo¬
derne Burgtheaterwoche. Schnitzler und Schönhere mu߬
ten geschwind heran, um das erschütterte Renommee schleu¬
nigst auszubessern. Man setzte unmittelbar nach Grill¬
parzer Schnitzlers „Das weite Land“ an. Da aber diese
Komödie eine zu lange Aufführungsdauer zeigt (man ist
ja jetzt durch die bekannten behördlichen Verfügungen an
den 9-Uhr-Schluß gebunden), so wurde sie durch Schnitzlers
„Komödie der Worte“ ersetzt und Schönherr kam in dieser
Woche zunächst nicht mit seinen paar einwandfreien Dich¬
tungen zu Wort, sondern natürlich in erster Linie mis
seinem „Weibsteufel“. Das wird ja vermutlich die dem¬
Theater durch Grillparzer geschlagenen Scharten wieder
ausgewetzt haben. Der künstlerische Ruf des Haufes ist
gerettet, der Kassier befriedigt.
Ganz und gar nicht befriedigt aber, meinen wir, d
von solcher Führung unserer kalserlichen Bühne dis
Theaterstadt Wien sein, soweit sie nämlich das Iuteresse
und die altangestammte Liebe für dieses Haus noch nicht
ganz eingebüßt hat, was allerdings nach dem, was in der
letzten Jahren hier vorging, schon ein gedöriges Maß von
Vertrauen und Beständigkeit voraussetzt. Noch gibt es
ja gottlob vieltausend Leute, denen das Burgtheater zwar
seit Jahren gehörig verekelt worden ist, die aber immer
noch mit unerschütterter, ja vielleicht ni noch zärtlicherer
Liebe an eine Gesundung dieses schwer krank darnieber¬
liegenden Hauses glauben. Ein Grillparzer=Zyklus! Das
macht neue Hoffnung, das gibt wieder ein wenig Ver¬
trauen. Da mag mancher verbitterte, alte Theaterfreund
freudig aufgehorcht haben. Also doch! Vielleicht kommt
jetzt die ersehnte große Wandlung! Vielleicht hat der
Weltkrieg und der neue, geläuterte Geist sie gebracht! Man
redet und schreibt ja in der letzten Zeit viel von der Hebung
der deutschen Theaterkultur, Vielleicht soll dieses Zurück¬
finden zu Grillparzer ein Begirn, eine Verheißung sein!
Aber die Leitung des kaiserlichen Hofburgtheaters winkt
kühllächelnd ab: Gebt Euch doch keinen törichten Hoffnun¬
gen hin! Seht, wir spielen schon wieder Schnitzlersche
anrüchige Ehebruchs- und Dirnengeschichten, wir geben
schon wieder den tierisch brünstigen „Weibsteusel“, der drau¬
ßen in Deutschland an allen anständigeren Bühnen ver¬
boten worden ist. Das mit Grillparzer war nur eine
kleine, leider nötige Unterbrechung, nur ein kurzer Aus¬
flug. Wir sind schon wieder daheim. Der Weltkri.?
Länterung der Gemüter? Macht Euch doch nicht lächerlich!
HEICHSPOST, WIEI
Wir meinen: Solange auch Grillparzer am Burg¬
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theater vernachlässigt worden sein mag, unwürdiger ist
er nie behandelt, arger verunglimpft ist sein Andenken
niemals worden als jetzt, da man an die Woche, die ihm
Iheatet, Kunst, Musik.
geweiht war, die Woche anschloß, die der liebevolleren
Pflege des „Weibsteusels" und Schninlerscher Unsauber¬
Hofburgtheater.
keiten gewidmel ist. Daß mion in der V
des kaiserlichen Hofburgtheaters keinen Sinn dafür hat,
Die Woche Grillparzers und die nächste.
wie ungeheuerlich es ist, nach Grillparzer, dessen großes
Also jetzt ist der langversprochene Grillparzer=Zyklus
Lebenswerk wie ein einziger, herrlicher Mahnruf zur Rein¬
vorüber. Langer als eine Woche hat man nur Grillparzer
heit, zur Selbstzucht klingt, sogleich wieder allen wüsten
gespielt, den ganzen Grillparzer, soweit man ihn über¬
Leidenschaften, allen verbrecherischen Instinkten, allem
haupt spielen kann, hat man der Reihe nach, Abend für
Schmutz und Unslat das Wort zu reden . .. daß man dies
Abend, heruntergespielt. Es wäre ungerecht, zu verschwei¬
nicht fühlt, erfüllt uns mit tiefer Erbitterung und
gen, daß damit ein ansehnliches Stück theatermäßiger Ar¬
Hoffnungslosigkeit. Nein, wahrhaftig, so wird es nicht
beit erledigt worden ist, denn weder schauspielerisch, noch
weitergehen. Alle besseren Geister müssen gegen solchetz
technisch war dieser in einem Atem erledigte Zyklus eine
Mißbrauch des kaiserlichen Theaters aufstehen. Hier ens¬
leichte Sache. Es gab künstlerische Höhepunkte: Etwa
lich einmal den längst nötigen Wandel zu schaffen, wäre
jenen Samstag, den 3. Februar, an dei wir die Medea
eine Tat, durch die Grillparzers Andenken weit würdiger
der Frau Bleibtreu sahen. Es gab prachtvolle Regie¬
geehrt würde, als durch den flauen Grillparzer-Zyklus,
einfälle, es gab allerlei neue, wunderbar stimmungsvolle
mit dem sich die Herren offenbar das Recht erwirkt zu
Ausstattungen. So kann man nicht eben sagen, die Grill¬
haben glauben, jetzt wieder eine längere Weile alle edlen
parzer-Woche sei unwürdig verlaufen. Ebensowenig aber
Ueberlieferungen unserer Hofbühne zu verunglimpfen.
wird man behaupten können, sie sei ein weithin sichtbares
Hans Breck#—“
Ereignis, eky unvergeßliches Kunsterlebnis gewesen. Es