2. Cuttings
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war die zufriedenstellende Erledigung einer längst vorge¬
nommenen Aufgabe. Die Erfüllung eines Versprechens,
das man nun einmal — vielleicht hat man es inzwischen
insgeheim schon bereut — gegeben hatte und nun einlösen
mußte. Begeisterung und Hingabe waren nirgends spür¬
bar. Man erledigte einen frostigen Anstandsbesuch bei
ihm, der die Glut und das flammende Wahrzeichen der
großen Burgtheaterzeit war, die, ach so gründlich, vorüber
ist. Wie sehr sie vorüber ist, das haben wir selten so deut¬
lich gefühlt, als eben in dieser Woche, in der ihr Nachglanz
beschworen wurde und nicht leuchten wollte. Grillparzer
ist an der Burg seit mehr als einem Jahrzehnt arg ver¬
nachlässigt gewesen. Das ist oft bedauernd und anklagend
gesagt und geschrieben worden und so ist denn aus Anlaß
der hundertsten Wiederkehr des Jahrestages der ersten
„Ahnfrau“=Aufführung der Zyklus von langer Hand vor¬
bereitet worden. Gewiß war die Theaterstadt Wien berech¬
tigt, an diesen festlichen Anlaß die höchsten Hoffnungen
zu knüpfen. Die besondere Gelegenheit hätte sicher auch
zu besonderer, aus dem Rahmen des üblichen Theater¬
betriebes heraustretender Leistung verpflichtet. Daß diese
Verpflichtung nur zum allergeringsten Teil eingelöst wor¬
den ist, das bekundet das sang- und klanglose Vorüber¬
gehen der Grillparzer-Woche. Die Presse hat nur von einer
oder der anderen Aufführung kurz und frostig Notiz ge¬
nommen, keine der Aufführungen hat bei den Zuschauern
starken Eindruck ausgelöst und vermutlich war auch der
Kassier nicht völlig zufriedengestellt. Kurzum: Es ist nichts
mit Grillparzer. Er ist auch schon wieder abgesetzt und
manche der nun in geschlossener Reihe „stehenden“ Auf¬
führungen wird wieder fallen gelassen werden vom „Gol¬
denen Pließ“ wird man in Zukunft ja doch wieder nur in
ganz seltener Wiederholung die „Medea“ sehen können.
Nein, es geht doch nicht mit Grillparzer. Er hat am Burg¬
theater abgewirtschaftet. Das hat der Grillparzer=Zyklus
bewiesen, der das Gegenteil beweisen sollte.
Und überhaupt muß die Burgtheaterleitung jetzt da¬
rauf bedacht sein, das durch den Grillparzer-Zyklus gefähr¬
dete Ansehen des Hoftheaters schleunigst wiederherzustellen.
Denn es könnte dem Ruf dieses Theaters als einer mo¬
dernen Bühne, die ja den verschiedenen kleinen Privat¬
theatern in scharfer Konkurrenz zur Seite bleiben will,
arg schaden, wenn im Publikum die Meinung entstünde,
daß jetzt hier wirklich Klassiker gepflegt werden sollen und
der alte versunkene Theatergeist wieder herrschen soll. Diese
gefährliche Vorstellung aufkommen zu lassen, lag durchaus
nicht in der Absicht der Burgtheaterleitung. Und so mußte
rasch etwas geschehen, um det Gefahr vorzubeugen. Darum
war denn schon die nächste Woche wieder eine echte, mö¬
derne Burgtheaterwoche. Schnitzler und Schönherr mu߬
ien geschwind heran, um das erschütterte Renommee schleu¬
nigst auszubessern. Man setzte unmittelbar noch Gril¬
parzer Schnitzlers „Das weite Land“ an. Da aber dieste
Komödie eine zu lange Aufführungsdauer zeigt (man ist
ja jetzt durch die bekannten behördlichen Verfügungen an
den 9-Uhr-Schluß gebunden), so wurde sie durch Schnitzlers
„Komödie der Worte“ ersetzt und Schönhere kam in hieser
Woche zunächst nicht mit seinen paar einwandfreien Dich¬
tungen zu Wort, sondern natürlich in erster Linie u
seinem „Weibsteufel“. Das wird ja vermutlich die dem
Theater durch Grillparzer geschlagenen Scharten wieder
ausgewetzt haben. Der künstlerische Ruf des Haufes ist
gerettet, der Kassier befriedigt.
Ganz und ger nicht befriedigt aber, wesen wit, darn
von solcher Führung unserer kaiserlichen Bühne dir
Theaterstadt Wien sein, soweit sie nämlich das Interesse
und die altangestammte Liede für dieses Haus noch nicht
ganz eingebüßt hat, was allerdings nach dem, was in den
letzten Jahren hier vorging, schon ein gehöriges Maß von
Vertrauen und Beständigkeit voraussetzt. Noch gibt es
ja gottlob vieltausend Leute, denen das Burgtheater zwar
seit Jahren gehörig verekelt worden ist, die aber immer
noch mit unerschütterter, ja vielleicht nin noch zärtlicherer
Liebe an eine Gesundung dieses schwer krank darnieber¬
liegenden Hauses glauben. Ein Grillparzer-Zyklus! Das
macht neue Hoffnung, das gibt wieder ein wenig Ver¬
trauen. Da mag mancher verbitterte, alte Theaterfreund
freudig aufgehorcht haben. Also doch! Vielleicht komms
jetzt die ersehnte große Wandlung! Vielleicht hat der
Weltkrieg und der neue, geläuterte Geist sie gebracht! Man
redet und schreibt ja in der letzten Zeit viel von der Hebung
der deutschen Theaterkultur. Vielleicht soll dieses Zurück¬
finden zu Grillparzer ein Beginn, eine Verheißung sein!
Aber die Leitung des kaiserlichen Hofburgtheaters winkt
kühllächelnd ab: Gebt Euch doch keinen törichten Hoffnun¬
gen hin! Seht, wir spielen schon wieder Schnitzlersche
anrüchige Ehebruchs- und Dirnengeschichten, wir geben
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war die zufriedenstellende Erledigung einer längst vorge¬
nommenen Aufgabe. Die Erfüllung eines Versprechens,
das man nun einmal — vielleicht hat man es inzwischen
insgeheim schon bereut — gegeben hatte und nun einlösen
mußte. Begeisterung und Hingabe waren nirgends spür¬
bar. Man erledigte einen frostigen Anstandsbesuch bei
ihm, der die Glut und das flammende Wahrzeichen der
großen Burgtheaterzeit war, die, ach so gründlich, vorüber
ist. Wie sehr sie vorüber ist, das haben wir selten so deut¬
lich gefühlt, als eben in dieser Woche, in der ihr Nachglanz
beschworen wurde und nicht leuchten wollte. Grillparzer
ist an der Burg seit mehr als einem Jahrzehnt arg ver¬
nachlässigt gewesen. Das ist oft bedauernd und anklagend
gesagt und geschrieben worden und so ist denn aus Anlaß
der hundertsten Wiederkehr des Jahrestages der ersten
„Ahnfrau“=Aufführung der Zyklus von langer Hand vor¬
bereitet worden. Gewiß war die Theaterstadt Wien berech¬
tigt, an diesen festlichen Anlaß die höchsten Hoffnungen
zu knüpfen. Die besondere Gelegenheit hätte sicher auch
zu besonderer, aus dem Rahmen des üblichen Theater¬
betriebes heraustretender Leistung verpflichtet. Daß diese
Verpflichtung nur zum allergeringsten Teil eingelöst wor¬
den ist, das bekundet das sang- und klanglose Vorüber¬
gehen der Grillparzer-Woche. Die Presse hat nur von einer
oder der anderen Aufführung kurz und frostig Notiz ge¬
nommen, keine der Aufführungen hat bei den Zuschauern
starken Eindruck ausgelöst und vermutlich war auch der
Kassier nicht völlig zufriedengestellt. Kurzum: Es ist nichts
mit Grillparzer. Er ist auch schon wieder abgesetzt und
manche der nun in geschlossener Reihe „stehenden“ Auf¬
führungen wird wieder fallen gelassen werden vom „Gol¬
denen Pließ“ wird man in Zukunft ja doch wieder nur in
ganz seltener Wiederholung die „Medea“ sehen können.
Nein, es geht doch nicht mit Grillparzer. Er hat am Burg¬
theater abgewirtschaftet. Das hat der Grillparzer=Zyklus
bewiesen, der das Gegenteil beweisen sollte.
Und überhaupt muß die Burgtheaterleitung jetzt da¬
rauf bedacht sein, das durch den Grillparzer-Zyklus gefähr¬
dete Ansehen des Hoftheaters schleunigst wiederherzustellen.
Denn es könnte dem Ruf dieses Theaters als einer mo¬
dernen Bühne, die ja den verschiedenen kleinen Privat¬
theatern in scharfer Konkurrenz zur Seite bleiben will,
arg schaden, wenn im Publikum die Meinung entstünde,
daß jetzt hier wirklich Klassiker gepflegt werden sollen und
der alte versunkene Theatergeist wieder herrschen soll. Diese
gefährliche Vorstellung aufkommen zu lassen, lag durchaus
nicht in der Absicht der Burgtheaterleitung. Und so mußte
rasch etwas geschehen, um det Gefahr vorzubeugen. Darum
war denn schon die nächste Woche wieder eine echte, mö¬
derne Burgtheaterwoche. Schnitzler und Schönherr mu߬
ien geschwind heran, um das erschütterte Renommee schleu¬
nigst auszubessern. Man setzte unmittelbar noch Gril¬
parzer Schnitzlers „Das weite Land“ an. Da aber dieste
Komödie eine zu lange Aufführungsdauer zeigt (man ist
ja jetzt durch die bekannten behördlichen Verfügungen an
den 9-Uhr-Schluß gebunden), so wurde sie durch Schnitzlers
„Komödie der Worte“ ersetzt und Schönhere kam in hieser
Woche zunächst nicht mit seinen paar einwandfreien Dich¬
tungen zu Wort, sondern natürlich in erster Linie u
seinem „Weibsteufel“. Das wird ja vermutlich die dem
Theater durch Grillparzer geschlagenen Scharten wieder
ausgewetzt haben. Der künstlerische Ruf des Haufes ist
gerettet, der Kassier befriedigt.
Ganz und ger nicht befriedigt aber, wesen wit, darn
von solcher Führung unserer kaiserlichen Bühne dir
Theaterstadt Wien sein, soweit sie nämlich das Interesse
und die altangestammte Liede für dieses Haus noch nicht
ganz eingebüßt hat, was allerdings nach dem, was in den
letzten Jahren hier vorging, schon ein gehöriges Maß von
Vertrauen und Beständigkeit voraussetzt. Noch gibt es
ja gottlob vieltausend Leute, denen das Burgtheater zwar
seit Jahren gehörig verekelt worden ist, die aber immer
noch mit unerschütterter, ja vielleicht nin noch zärtlicherer
Liebe an eine Gesundung dieses schwer krank darnieber¬
liegenden Hauses glauben. Ein Grillparzer-Zyklus! Das
macht neue Hoffnung, das gibt wieder ein wenig Ver¬
trauen. Da mag mancher verbitterte, alte Theaterfreund
freudig aufgehorcht haben. Also doch! Vielleicht komms
jetzt die ersehnte große Wandlung! Vielleicht hat der
Weltkrieg und der neue, geläuterte Geist sie gebracht! Man
redet und schreibt ja in der letzten Zeit viel von der Hebung
der deutschen Theaterkultur. Vielleicht soll dieses Zurück¬
finden zu Grillparzer ein Beginn, eine Verheißung sein!
Aber die Leitung des kaiserlichen Hofburgtheaters winkt
kühllächelnd ab: Gebt Euch doch keinen törichten Hoffnun¬
gen hin! Seht, wir spielen schon wieder Schnitzlersche
anrüchige Ehebruchs- und Dirnengeschichten, wir geben