VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 21

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2. Guttings
Berliner Börsen Courier, Berlin
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Mingenausgabe


Arkhur Schnißler.
Ein Dreiminuten=Porträtvöff Wihelm Herzog.
Die nachfolgende knappe Studie wird an der
Spitze einer Schnitzlernummer der „Welt¬
literatur“ erscheinen. Ihr Verfasser, der Kleist¬
hiograph Wilhlm Herzog, hat sie uns zum vor¬
herigen Abdruck zur Verfügung gestellt. Sie ist
uns am Tage einer Schnitzler=Premiere beson¬
ders willkommen.
Unter den Dichtern seiner Generation ist Arthur
Schnitzler einer der liebenswürdigsten. Dieser
Wiener Arzt war immer ein nachdenklicher oft me¬
Die Welt, die er¬
lancholischer Menschenfreund.
formte, ist nicht überraschend neu, aber sie hatte eine
warme, sinnliche Atmosphäre; die in ihr agierenden!
Figuren sind graziös, spielerisch, angenehm=selbst¬
verständlich, von einem sehr menschlichen Geist
erfunden und in Bewegung gesetzt.
Also spielen wir Theater.
Spielen unsere eignen Stücke.
Frühgereift und zart und traurig,
die Komödie unserer Seele,
unseres Fühlens Heuf und Gestern,
böser Dinge hübsche Formel,
glatte Worte, bunte Bilder,
halbes, heimliches Empfinden.
Agonien, Episoden
Diese berühmt gewordenen Wort, die Hugo von
Hofmannsthal dem Erstling Schnitzlers, dem „Ana¬
tol“ als Prolog voranstellte, hat der Dichter der
„Liebelei“, des „grünen Kakadu“, des „einsamen
Weg“, im Laufe seiner Eutwicklung immer wieder
bestatigt. Er hat sie vertieft und gesteigert.
Und das ist es, was aus den Dramen und Er¬
zählungen dieses Dichters sofort auf den Leser oder
Hörer überspringt: die Wärme eines Menschen, eines!
Menschen, der für die Reize diese Welt, für ihre
Freuden und Qualen, für die Widersprüche, Vor¬
urteile, Eitelkeiten, für die Genußsucht und das Ko¬
mödiantische der Menschen untereinander ein unsag¬
bar feines Ohr hat. Er diagnostiziert schonungslos.
Jedoch er entlarvt die sich selbst belügende Mensch¬
heit nicht ohne mildes Verstehen.
Dieser Dramatiker liebt keine „großen Szenen“
und Knalleffekten weicht er möglichst aus. Er gehi
zart mit den Schicksalen der ihm Anvertrauten um.
Und er ist ihnen stets ein liebevoller und milder
Richter.
Ueberblickt man heute das mannigfaltige Werk
Eine kleine
des 55 jährigen, was bietet es?
Welt scharfgesehener Menschen die ironische Dar¬
stellung fluchtiger Genüsse. kaum faßbare Stim¬
mungen, Seolenzustände, Wünsche, Gedanken wer¬
den auf eine oft verblüfsende Manier festgehalten.
Von einem feinen und üverlegenen Geist. Man hat
ihn zuweilen „frivol“ genannt. Nichts Törichteres
als diesen für den Anatoldichter herkömmlichen
Stempel. Eo hat das Leichte, Unbeschwerte vieler
Franzosen. Er ist ein Verwandter Maurice Donnans.
Nicht nur die Frauen Wiens, auch die Dichter füh¬
sen sich denen von Paris am nächsten. Aber dieser
Canseur, dieser vortreffliche Dialogschreiber war nie
ein leichtfertiger Plauderer vielmehr ein ernster
Künstler. Kein Revolutionär, der aufpeitscht; viel¬
mehr ein stiller Kopf, der leicht spöttelt, ohne je den
Ernst dieses Daseins zu vergessen.
Denn über allem Leichten, Heiteren dieser kleinen
und doch so reichen Welt liegt meist etwas Dunkles,
Schweres, eine — man möchte sagen — lockende Me¬
lanchoste.
r
eine Reihe ven Verfügungen trifft, um dieser Ver¬
wohrlosung zu seonern. Lein Zweisel: die Verwahr¬
tesung der gngens muß bereits bedentende Aus¬
dehnung gewonnen und höche bedentliche Formen an
gepommen haben, wenn die Behörden sich bemüßigt
schen, gesin sie unte: Androhungempfind¬
licher Strafen einzuschreiten.
Rnn besigzen wir aber in der Jugendpflege ein
vorzüglichee Mitlei zur Verämpfung der Verwahr¬
lejung der Jugend. Seit einiger Zeit haben die deui¬
schen Schuzvereine und, was Böhmen betrifft, hier
dei Bund der Deuischen in Böhmen, die Jugendpflege
in die Hund genommen. Der letztgenannte, große
Schntwerein hat bereits schöne Erfolge mit
seiner Jugendpflege erzielt. In
seinem Verlage ist
übrigens türzlich unter dem Titel „Die Jugend¬
flege im= Nahmen des Bundas“ ein Büch¬
lein erschieken, wesches Zwei und Ziele der
Jugenbpflege schilbert, die Mittel und Wege zu
deren Erreichung aufzählt, die Gründung von Orts¬
und Bezirksonsschüssen für Jugendpflege allerorts
empfiehlt und schließlich den Jugendführern wertvolle
Minke erteilt und ein Verzeichnis des Schrift¬
iums über Jugendpflege in die Hände gibt. Auf nur
2 Seiten enthält dieses Schriftchen, welches vom¬
Bunde der Deutschen in Böhmen, Prag, 2., Krakauer¬
gasse 11, kestenlos bezegen werden kann, das Wissens¬
werteite auf dem Gebiete der Jugendpflege.
Lurkakommeno auf die eingangs erwähnte Statt¬
####tereinerordnung kann nicht dringend genug emp¬
sehien werden, sojort überall in Deutschböhmen Orts¬
rad Bezieksausschüsse für Jugenopflege zu gründen,
und zwar in der Art und Weise, wiees der Bund
der Teutschen in Böhmen in dem vor¬
eewähnten Schrifttchen vorschlägt.
### seh #hergenat, daß die soforrige Inangriff¬
F nahme der Jugendpflege im Nahmen des Bundes der
Teutsch# Böhmen am ehesten die Verwahrlosung
der Sch#enherrseitigen, gleichzeitig aber auch jede Zer¬
splheuf auf dem Gebiete der Jugendpflege ver¬
hutcnasih unsere Zugena davor bewahren wird, daß
sich ihrer am Ende Kreise annehmen, in deren Händen
wir unsere Jugend nicht gerne sehen möchten.
Tarum nochmale: Grünbel unverzüglich überall
Orts= und Bezirlsausschüsse für Jugendpflege nach den
Verschlögen des Bundes des Deutschen in Böhmen.

4%
Ranst und -ühne.“
Wien, 7. Mai.
Die „liverale“ Heße gegen Hofrat %/2

Milleniovich.
In der Heldausgabe Nr. 130—131 vom 26. Aprik“
schreibt Danzers Armee=Zeitung":
Das iener Burgtheater hat einen neuen
Tireltor: Hofrnt Max v. Millenkovich. Er ist der
Sohn unseres großen österreichischen Lyrikers Stephan
Milow, des Hauptmannes v. Millentovich, er ist selbst
ein Dichter, Lyriter, Dramutiker und Essayist — er ist
svorfallem aber, denn das kommt für seine neue Stel¬
ilung entscheidend in Betracht, eine kraftvolle Persön¬
ichkeit von ausgesprochener Richtung. Hofrat von
Millenkovich ist also wirklich ein „Direktor“, ein Weg¬
weiser, ein Lenter, der ein festes Ziel besitzt, dem er die
ihm anvertrante „erste deutsche Bühne“ unverwandt
zugustenern gedenkt. Wer Hofrat v. Millenkovich kennt¬
wir haben in diesen Blättern wiederholt auf seine
prachtvollen Reden in der Wiener „Urania“ hinweisen
können — wird natürlich über seine den höchsten
Idealen zugewendeten Ziele klaren Bescheid wissen.
Für die, die's noch nicht wissen, hat sich der neue Burg¬
theaterdirektor in seiner Programmrede mit den Wor¬
ten geschildert, er sei ein Deutschösterreicher, „der das
schristlich= germanische Schönheitsideal im Herzen
tragt“.
In dieser Allgemeinheit ist das Ziel beinahe eine
Selbstverständlichkeil: denn welches Ideal sollte denn
der Leiter der ersten deutschen Schauspielbühne in
Oesterreich, von dessen dreißig Millionen sich achtund¬
zwanzig Millionen als Christen bekennen, verfolgen?
Daß Hoirat o. Millenkovich doch keine Seibstverständ¬
sichten gesagt hat, erkennt mon aber, wenn man sieht,
wie eine geissse Preise in Wien darauf wie von einer
Tarantel gestochen in Raierei verfiel und kaum die
Klunheit ausbrachte, diese Raserei. in höhnischen In¬
vereinenzen in vertergon.
W
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