VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 23

2. Cuttings

artige. In den vornehmen Geschäften der
Innern Stadt werden die großen Buchaus¬
gaben und die wissenschaftlichen Werke ver¬
box 37/6
langt und gekauft, die Kunden der Passage¬
buchhandlungen dagegen wollen meist Belle¬
tristik. Ein paar große Namen, die sie kennen,
scheinen ihren Wünschen führend zu sein. Sie
verlangen Schnitzler Hofmannsthal, Bahr usw.
Besonders Schnitzler ist gegenwärtig ein derart
gesuchter Auten Werke fast verariffen
sind. Nur wenige Exemplare einzelner Werke
sind noch vorhanden, die Gesamtausgabe fehlt
fast überall.
Die Buchhändler hätten in dieser Zeit eine
schöne Aufgabe zu erfüllen: das kaufende,
Bücher verlangende, das auf dem Büchermarkt
in der Literatur völlig uneingeweihte Publikum
zu exziehen, ihm die guten Bücher in die Hand
zu geben, es zu beraten. Aber leider fehlt es
10. 206 1678
gegenwärtig an dem geschulten Personal, das
Die Zeit, Wier
diese Pflicht erfüllen könnte. Mädchen helfen
im Bücherladen aus, die selbst nicht am besten
lorientiert sind, und der Buchhändler selbst muß
sein Geschäft oft tagelang nur em Personal
Die Jagd nach Büchern.
überlassen, weil er auswärts sein muß, um neue
Büchersendungen durchzusetzen, bei Behörden
Der Buchhandel durchlebt gegenwärtig
und Verlagsvertretern.
Zeiten der besten Konjunktur und befindet sich
Bücher werden viel gekauft. Der Umsatz
in einer Krise. Das klingt im ersten Moment
ist bedeutend. Aber quantitativ ist der Bücher¬
wohl etwas paradox. Und doch gilt die Behaup¬
markt doch schwächer als früher
— es sei nur
ltung in beiden Teilen. Denn nie war die Jagd
an die fehlende ausländische Literatur erinnert
nach Büchern so lebhaft, nie die Kauflust des
und qualitativ ist er infolge des Fehlens
Publikums für Bücher so stark wie jetzt, und
der großen, guten Bücher, auch nicht hervor¬
nie waren die Buchhändler weniger in der
ragend beschickt. Es ist Hochkonjunktur und
Lage, die Wünsche des Bücher kaufenden Publi¬
Krise im Buchhandel, ein ungesunder Zustand¬
kums, zu befriedigen, als im gegenwärtigen
der wohl erst mit dem Krieg sein Ende fipden¬
Augcblick.
Seit es die neuen Millionäre gibt, die ##id.
—.—
Wisten und Bildung mit Eßlöffeln zu siche
#enen wollen und daher, wie im Gasthaus,
auch im Bücherladen „große Portionen“ be¬
stellen, ist ein neuer, ziemlich weiter Kreis von
scherinteressenten zu befriedigen, die nicht
Konversationslexika und Klassiker, die
ihren Begriffen unentbehrlichen Grund¬
na
lage# einer sogenannten Bibliothek, zu kaufen,
verlangen, sondern auch die Werke neuerer
Autoren, deren Namen ihnen vom Hörensagey
und aus der Zeitungslektüre im Gedächtnis
blieben, womöglich in Gesamtausgaben erwerben
wollen. Die Bibliothek, die sie sich gleichzeitig
mit dem Speisezimmer neu einrichten lassen,
soll aber auch Bücher als Zierat enthalten, und
so sind von diesen neuen Reichen die Luxus¬
ausgaben sehr begehrt. Nur von diesen neuen
Wohlhabenden, oder wenigstens in erster Linie,
kann als von Bücherkäufern jetzt die Rede sein.
Denn es gehört Kapitalskraft dazu, heute
Bücher zu erwerben, Bücher, ob in Pappe= oder
Luxusband. Denn die Bücherpreise haben eine
derartige Höhe erreicht, daß die Bücherkenner.
die Bücherliebhaber von einst, die, Studenten
und sonstige Intellektuelle, dem Mittelstand
angehören, nicht mehr in der Lage sind, Bücher
zu kaufen. Das schmalste Bändchen kostet heute
schon, wesentlich verteuert durch die Valuta¬
differenz, einige Kronen. Also können sich nur
die Reichen das Bücherkaufen leisten, und da es
ihnen auf einige Zehn= oder Zwanzigkronen¬
noten mehr oder weniger nicht ankommt, so
verlangen sie eben die „schönen Bücher“ die
Luxusausgaben, die prächtig gebundenen.
Aber die Buchhändler können ihre Wünsche
nicht oder nur zum geringsten Teil befriedigen.
Denn die hiesigen Büchersortiments sind arg
zusammengeschrumpft. Von schönen, großen
Buchausgaben ist fast nichts mehr vorrätig,
denn es wird nichts von den deutschen Ver¬
legern nachgeliefert. Zwischenagenten, die die Kon¬
junktur rechtzeitig erfaßten, haben sich zu Mitt¬
lern zwischen den Buchhändlern und den reichen
Kunden gemacht. Sie haben einfach Bücher ge¬
hamstert und verkaufen sie im Schleichhandel
weiter. Es werden auf diese Weise zum Beispiel
für Luxusausgaben von den Händlern
unerhörte Preise erzielt. Denn die
Käufer jener Art haben ja keine Ahnung davon,
was Bücher in Wahrheit kosten. Sie können
unter Umständen den Wert eines Schweins¬

E.