VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 29

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Sache einen großen Dienst durch Geldzuwendungen
für eine Zeitschrift erweisen. Ich lasse Zettel zir¬
kulieren, auf denen ich alle, die sich heute noch als
Mitglieder anmelden wollen, Namen und Adresse ein¬
zutragen bitte; dabei wäre eventuell auch anzugeben,
ob sich jemand als Stifter betätigen will. Oder ich
bitte, es mir direkt persönlich mitteilen zu wollen;
meine Adresse ist auf jedem Zettel oben vermerkt.
Was die Vorträge anlangt, so werde ich für
Abwechslung der Stoffe und Vortragenden sorgen.
Das Programm der Sitzungen wird jedesmal recht¬
zeitig mitgeteilt werden. Sollte es zur Gründung
einer Zeitschrift kommen, so dürfte die Einsetzung eines
Ausschusses nötig sich erweisen. Vielleicht ist sie über¬
haupt erwünscht; ich bitte die verehrten Anwesenden,
sich dazu zu äußern.
Und damit eröffne ich den zweiten Teil unserer
heutigen Tagesordnung, der für die Anträge der Teil¬
nehmer bestimmt ist, und bitte Sie, zum Gesellschafts¬
plane Stellung zu nehmen. Auf eine spezielle Kritik
meiner theoretischen Grundlagen bitte ich erst in der
Diskussion zum Vortrag einzugehen; jetzt sollte nur
das Geschäftliche in Betracht gezogen werden.
Moderne Dramatik semitischer und
germanischer Herkunft.
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Als Beispiele einerseits Schnitzler, Wedekind, Beer=Hofmann,
anderseits Ibsen. Shaw, Anzengruber.
Die Unterscheidung semitischer und germanischer
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moderner Dramatik ist wahrhaftig keine Kleinigkeit.
Wem von uns ist es nicht passiert, daß er Dramen sah
und las, ohne eine Ahnung zu haben, welcher Rasse der
Dichter angehört? Mutet es nicht fast unglaublich an,
daß es eine jüdische und deutsche Dramatik geben soll,
nicht nur weil dort die bei uns ansässigen Juden sich
als gute Deutsche fühlen und im Sinne des allge¬
meinen deutschen Empfindens dichten, sondern auch,
weil uns in allen Dramen im Grunde ein Einerlei
entgegentritt, das gar nicht nach Rassenmomenten
unterscheidbar erscheint? Die Themen, die Schnitzler
und Ibsen, Wedekind und Shaw, Beer=Hofmann und
Anzengruber behandeln, unterscheiden sie sich denn
wirklich wesentlich? Es sind Probleme menschlichen
Lebens und auch diese nicht überall dieselben? Der
eine Poet betont wohl besonders das Verhältnis des
Menschen zu seinem eigenen Ich oder das zu Gott
oder das zu irgendeiner allgemeinen Idee, zur Frei¬
heit, Gerechtigkeit, Wahrheit, aber diese Sonder¬
betonungen können doch nicht auf die Rassen aufge¬
teilt werden, denn überall gibt es religiöse und
idealistische und egoistische Denker, bei den Germanen
sowohl als auch bei den Juden. Ist da nicht alle Un¬
terscheidung von vornherein als Künstelei abzu¬
lehnen?
Noch anderes anerkenne ich, was einer Unter¬
scheidung von Rasseneigentümlichkeiten entgegen¬
wirkt: die gegenseitige Beeinflussung. Man kann ja
immerhin Differenzen in den ursprünglichen Anlagen
der Völker zugestehen und doch der Ansicht sein, daß sie
durch das gemeinsame Denken in „einem Staat, an
„denselben“ Bildungsinstituten, Schulen und Lebens¬
gemeinschaften, durch Besuch „derselben" Thegter,
Museen und Konzerte, verspischt, Völker und Rassen
derart einander immer ähnlicher werden. Die Mög¬
lichkeit zur gegenseitigen Anpassung wird niemand
in Abrede stellen wollen, In der Welt strebt alles nach
— —

Akademische Zeitung

anen gerenneene
denen enen enenenenetee genenenhenen
Senenenreneneeneeeeen
Wohlbefindens durchlebt, in welchem Bernhardi sie
Also Erhöhun
nicht durch den priesterlichen Hinweis auf den Tod; dürfnis drängt den
gestört wissen will. Er wird deshalb angeklagt und
Mißgestalt leidet un
unter dem Druck der klerikalen Partei, trotz der für
wenigstens
ihn günstigen Aussage des Priesters, der seine Emp¬
schönen Menschen z
findung würdigt, zu Gefängnis verurteilt. Auch der
er einen Verein zu
für ihn eingenommene Unterrichtsminister läßt ihn
Vor allem die Frat
fallen, als er den Widerstand der Partei sieht, da es
zum Bewußtsein ko
ihm wichtiger dünkt, dem Staatsganzen zu nützen als
gehetzte Dirne oder
einem einzelnen. Und Bernhardi selbst läßt sich fallen,
altes Mädchen oder
indem er auf Ausnützung von allerhand Vorteilen,
willen geschätzte B#
überhaupt auf unbedingte Rechthaberei verzichtet, um
Sklaverei empören
dafür lieber wieder möglichst bald ungestört der
Lebensgenuß in An
Menschheit, den zu ihm sich drängenden Kranken,
Kraft seiner Per
helfen zu können.
faszinierend wirkt,
Er will eine Moral
Von weiteren Einzelheiten sehe ich ab. Was ist
oberen Zehntausend
nun das Hauptmoment im gunzen Vorgang? Das
Moral, die für die
Pflichtgefühl der erwähnien Hauptfiguren, die jede
ändert werden. So
sich einem ethischen Ideal unterwerfen. Professor
tum Wedekinds als
Bernhardi lebt für das diesseitige Wohl seiner
Kranke, denen er sich aufopfert; der Priester setzt das sich der Ethik e
stischen Orientierung
sich ein für das jenseitige Wohl der Kranken, das ihm
meide dabei eine Eil
höher dünkt, und der Minister arbeitet für das Wohl
Tendenz, ob besser
der Gesamtheit, das er besser zu fördern glaubt, wenn
beide Tendenzen es
er einen einzelnen Forscher preisgibt, als wenn er
Menschen, mit ihren
sich selbst preisgibt, da seine Tätigkeit die Entwicklung
tun haben. Dieser
der Forschung im allgemeinen garantiert. Sie alle
Schnitzler; nur der
haben also ethische Ziele, in deren opferfkeudiger Ver¬
um die Persönlichke
folgung sie unsere Bewunderung verdienen. Man hat
nun auch für den
wohl gemeint, Schnitzler wolle besonders den jüdischen
wir noch berücksich
Professor Bernhardi als Menschenfreund gegen Geist¬
Hofmann.
lichkeit und Politik als Trumpf ausspielen, ich kann
Vor Jahren
aber keine wesentlich verschiedene Behandlung der
„Grafen von Charol
Hauptfiguren finden. Darum wirkt auch der Achtungs¬
tiefen Eindruck wege
beweis des Priesters vor dem Professor ganz natürlich.
die daraus sprach. E
Beide sind Ehrenmänner, die beide auch etwas Politik
Ideal von Ehre und
treiben, nämlich ihren inneren Pflichttrieb den
klassischen französi
äußeren Umständen anpassen, ohne ihn doch zu schä¬
Corneilles, die auch
digen. Gesunde, nicht übertriebene Anschauungen
erheben. Doch in
reden aus ihnen, aber diese Anschauungen sind rein
in „Jaäkobs Traun
ethisch bestimmte: in dem ethischen Moment erblicke
führt ward, begegne
ich den Hauptcharakter des Schnitzlerschen Dramas.
gegnet uns das Rin
Auch in den anderen mir bekannten Dramen
fahrung der eige
Schnitzlers, in „Liebelei“, „Anatol“, „Der Ruf des
Jaükob, der Erzvater
Lebens“ u. s. w. finde ich die gleiche charakteristische
er den Bruder Edom
Note. Das Denken aller Figuren ist egoistisch oder
genannt — um sein
altruistisch bestimmt. Das Gute und Böse, menschliche
in der Wüste mit de
Leidenschaft und Stumpfsinn. Liebe und Haß spielen
selbst, bis er vollkom
darin die Hauptrolle, also das Verhältnis von Mensch
ihm bezweckt. Es ist
zu Mensch unter der Richtschnur von Gesetzen, die als
Volkes um Erkenntn
überlieferte oder selbstver=ndliche unerbittlich Berück¬
waltigsten Gedanken
sichtigung fordern. Das individuelle Verhalten hat
haben wenige Mense
sich vor inneren oder äußeren Befehlen zu verant¬
hineingeleuchtet als
worten. Das wird je vom Publikum gar nicht als
sich selbst, und wir p
etwas Besonderes empfunden und ist auch nur das
von Stalz und Freih
Echo alltäglichen Erlebens, dem wir auf Schritt und
vom Zwecke der Sch#
Tritt um uns her begegnen.
daß wir gebannt der
Minder alltäglich muten die Probkeme an, welche
Auch wer ganz ander
Wedekind behandelt. Ueber Frank Wedekind zunächst
denn eben das Verh#
eine die Rasse betreffende Bemerkung. Wedekind hat
jüdischem Sinne vor
zum Vater einen Ostfriesen, aber seine Mutter stammt
Nur dieses Ri
aus Ungarn und durch sie dürfte, gemäß dem Literatur¬
Verhältnis Jadkobs
historiker Adolf Bartels, der in diesen Fragen beson¬
fönikischen Sklapen
ders genau unterrichtet ist, eine jüdische Blut¬
zeichnet, aber nur in
beimengung sich ergeben haben, die, wie Porträt und
es das seelische Aufstr
Verhalten bezeugen, ausschlaggebend für des Dichters
leuchtung kennzeichne
Eigenart gewesen ist. Jedensalls habe ich ein Recht,
vorbereitet. Jaäkeb
Wedekind als jündischen Dichter zu beurteilen.