VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1920–1928, Seite 9

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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR, 22-24.
Zeitung: Berliner Volkszeitung
Morgen-Ausgab#
Adresse: Berlin
10K7. 92.
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Datum:
Julius Bab über jüdische Dichter.
In der „Ewer“=Buchhandlung, Knesebeckstr. 34/55.
Arden auch in diesem Winter eine Anzahl von Vorträgen und Vor¬
esungen veranstaltet werden. Im Oktober und November werden
zunächst die jüdischen Dichter Georg Herrmann, Arthur
Holitscher und Else Laßer=Schüler aus ihren eigenen
Werken vorlesen.
gmehleitenden Vortrag am Sonntag vor¬
mittag untersuchte Hulzus Bab in geistvoller Weise die Frage.
ob und in welcher Beziehung von jüdischen Dichtern inner¬
halb der dektschen Nationalliteratur gesprochen
werden könne. Dann beleuchtete Julius Bab den Anteil, den jüdische
Menschen als Uebersetzer, Kritiker, Theaterleiter und Verlagsbuch¬
händler an der Vermittlung dichterischer Schöpfun¬
gen an das literarisch eingestellte Publikum hätten und bewies an
Beispielen (Goethe, Hebbel, Lilieneron, Gerhart Hauptmann.
Thomas und Heinrich Mann, Frank Wedekind), daß sie die Mission
nach durchaus objektiven Wertungen voll erfüllt
haben. Denn jüdischen Dichtern fehle die Tradition, die tiefe
Einwurzelung in den deutschen Boden bis zu Sage und
Heldengesang. Aber es gäbe Ausnahmen von dieser Regel. Bei
Hugo v. Hofmanusthal sei der eigene Lebensbesitz stark zu
verspüren; seine Melodie aber sei die Klage über den Mangel an
der Tradition. In der Form präsentierten sich seine Werke als
ein Museum literarischer Eindrücke, die er aus dem Studium anderer
Dichter sich erworben. Und doch habe er durchaus Eigenes geschaffen.

Mler und Georg Herrmann sagen in
zueodien im wefentlichen das gleiche. Bei beiden
derselbe menschliste Typus, und doch eine scharfe unterschiedliche
Nüance, die allein dadurch belingt ist, daß der eine Wiener,
In der Melancholie des
der andere aber Berliner ist.
Nichtverstehens der Realitäten des Lebens (alles ist ihnen nur ein
Spuren des Judentums. Bei
Spiel ohne Szene) zeigen sich die
Alfred Mombert fehlt diese Melancholie; er braucht aber keine
nationale Einwurzelung, er braucht nur Attribute der Wirklichkeit
allgemeiner Art. Aehnlich sei es bei Else Schüler, Lasker in
ihrer Lyrit der Petonung des Ichs und der Loslösung vom Realen.
Bei den Vertretern des Erpressionismus (Arthur Holitscher)
Fiele natugremäß der Mangel in der Bodenständigkeit gar keine
Rolle. Daher kommt diese Nichtung der Dichtkunst der jüdischen
Julian Michaeis-
Psyche besonders entgegen.