VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 3

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Aufsatz „Deutsche Dichtung in Japan“ von Dr. Erwin
Sekunde.
Stranik nachfolgende Zuschrift, die nicht bloß einen arbeitet !
sachlichen Irrtum berichtigt, sondern auch literarhistorische die sich i
bemerkenswerte Feststellungen enthält. (Anm. d. Red.)
Die
So ungern ich Redaktionen, Publikum und mich selbst mit
Richtigstellungen bemühe, es gibt doch immer wieder Fälle, in
denen man sich zu dergleichen veranlaßt fühlt, insbesondere, wenn
Auseehpeisteress Armee-Zeitung, Wien.
es gilt, einer literarischen Legendenbildung vorzubeugen.
Hiemit nehme ich Bezug auf einen am 3. d. M. im
ug

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„Neuen Wiener Journal“ erschienenen Artikel „Deutsche Dichtung
in Japan“, in dem sich unter anderem folgende Stelle findet:
Das Wiener Burgtheater hat einen neuen Direktor: Hofrat
„Während Wedekind durch sein Drama „Frühlingserwachen“
Max von Millenkovich. Er ist der Sohn unseres großen österreichi¬
schen Lyrikers Stephan Milow, des Hauptmannes von Millenkovich, er
eigentlich nur zu den absolut Sensationsgierigen sprach, vermochte
ist selbst ein Dichter, Lyriker, Dramatiker und Essayist — er ist vor allem
Schnitzler der erklärte Liebling Japans zu werden. Beinahe
aber, denn das kommt für seine neue Stellung eutscheidend in Betracht,
alle seine Werke wurden übersetzt, nur gerade die größten
eine kraftvolle Persönlichkeit von ausgesprochener Nichtung. Hofrat von
nicht. Allerdings besaß Schnitzler neben seiner Kunst
Millenkovich ist also wirklich ein „Direktor“, ein Wegweiser, ein Lenker,
auch Glück. Durch Zufall lernte er als Student
der ein festes Ziel besitzt, dem er die ihm anvertraute „erste deutsche
Bühne“ unverwandt zuzusteuern gedenkt. Wer Hofrat von Millenkovich
bereits den Japaner Rintaro Mori kennen, der bis zu seinem
Mar
kennt — wir haben in diesen Blättern wiederholt auf seine prachtvollen
Tode im Herbst 1922 sich selbstlos der Propagierung Schnitzlers
zösischen P
Reden in der Wiener „Urania“ hnweisen können — wird natürlich über
widmete.“ Nun kann ich mich durchaus nicht erinneen, in meiner
Nunzius (
seine den höchsten Idealen zugewendeten Ziele klaren Bescheid wissen. Für
Studentenzeit überhaupt einen Japaner kennen gelernt zu haben
die, die's noch nicht wissen, hat sich der neue Burgtheater=Direktor in
Antwort d.
seiner Programmrede mit den Worten geschildert, er sei ein Deutsch¬
Später, in meiner Spitalszeit fnd mir natürlich manche besondere
selben Kr
Oesterreicher, „der das christlich=germanische Schönheits¬
Mediziner begegnet. Ganz bestimmt aber weiß ich, daß ich als
Doumergue
ideal im Herzen trägt“
Student und als junger Arzt von gelegentlichen poetischen Ver¬
Die damal
In dieser Allgemeinheit ist das Ziel beinahe eine Selbstverständ¬
suchen nur intimsten Freunden Mitteilung gemacht habe und daß innerhalb
lichkeit: denn welches Ideal sollte denn der Leiter der ersten deutschen
damals gewiß kein Japaner die Möglichkeit hatte, solche Versuche
Schauspielbühne in Oeterreich, von dessen dreißig Millienen sich achtund¬
Soldaten
zwanzig Millionen als Christen bekennen, verfolgen? Daß Hofrat von
kennen zu leinen, ins Japanische zu übersetzen und sich ihrer
Demokrate
Millenkovich doch keine Selbstverständlichkeit gesagt hat, erkennt man aber,
Propagierung zu widmen — um so mehr, als ich erst viel später
Frankreich
wenn man sieht, wie eine gewisse Presse in Wien darauf wie von einer
literarische Arbeiten zu veröffentlichen begann.
Unterschiel.
Tarantel gestochen in Raserei verfiel und kaum die Klugheit aufbrachte,
Erst vor fünszehn bis zwanzig Jahren dürfte — wohl als
diese Raserei in höhnischen Impertinenzen zu verbergen.
haupt der
Reizend ist das natürlich sehr beabsichtigte Mißverständnis, das da
erstes meiner Stücke — „Liebelei“ in japanischer Uebersetzung
Ich
etwa Herr Hugo Wittmann in der „Neuen Freien Presse“ mimt, wenn
erschienen sein. Ein japanischer Arzt namens J. Kubo war so
Damals s
er in seinen Sonntagsfeuilletons klagt, daß ein Burgtheater, das dem
freundlich, mir persönlich ein Exemplar zu überbringen und
Regierung
„christlich=germanischen Schönheitsideal“ dienen will, weder Molière, noch
nannte mir den Namen des Uebersetzers, den er mir auf meln
der Verh¬
Tolstoi, weder Calderon und vielleicht nicht einmal Faust II aufführen
könnte
Ersuchen hin auch in das Buch hineinschrieb. Bei dieser Gelegen= Blutbad
Herr Hugo Wittmann weiß nun natürlich so genau wie wir, wie
heit war es wohl, daß ich den Namen Mori zum ersten= und schlei
der „christlich=germanische" Begriff gemeint ist. Er braucht ja nur
mal gehört habe. Auch in den darauffolgenden denten de
Chamberlains „Grundlagen des XIX. Jahrhunderts“ aufschlagen und wird
Jahren erhielt ich manchmal Besuch von Japanern, die
er gegen
dort etwa im sechsten Kapitel alles Nähere nachlesen können: der Begriff
mir von dem wachsenden Interesse ihrer Landsleute würdig u
Germane“ umfaßt nach unserer heutigen Lehre sowohl die Kelten im
Westen wie die echten Slawen im Osten. Chamberlain (dem hier Millenkovich
für meine Werke Kunde brachten; Briefe japanischer Regiment
zweisellos folgt, zumal beide aus dem Kreise der Wagnerschen Ideen her¬
Schriftsteller bestätigten mir das gleiche, doch erst im gedacht,
kommen) findet auch in der bretonischen Volkspoesie, im serbischen Helden¬
Jahre 1922 erhielt ich durch gütige Vermittlung der japanischen
ein Jahr
epos von Kraljev é Marko, in der ukrainischen Naturlyrik, in Calderons
Gesandtschaft einige Bände zugesandt, die Uebersetzungen meiner
Nr
Verherrlichug der Treue, selbstverständlich erst recht in Dantes Göttlicher
Werke enthielten: einen Band Novellen („Abschied“, „Die Toten
an der E
Komödie die ausgeprägten Kennzeichen germanischen Wesens. Und das
„christliche“ Moment bedeutet nur noch eine Unterstreichung dieses um¬
schweigen", „Die Fremde“
„Der blinde Geronimo", „Dasser der in
fassenden germanischen Ideals. Der Spielplan des Burgtheaters braucht
Tagebuch der Redegonda“), übersetzt von Yamamato, und einen allem, de
daher keineswegs zu verarmen, selbst wenn der neue Direktor nicht schon
Band Dramen („Anatols Hochzeitsmorgen“. „Der grüne Kakadu“, ist
von vorneherein beabsichtigt hätte, neben den richtungweisenden Haupt¬
„Die letzten Masken“ „Der einsame Weg" und „Komtesse Repräsen
werken auch charakteristische fremdartige Bühnenstücke fallweise zu
bringen. Nur werden diese nicht beherrschend und tonangehend im Spiel¬
Mizii“), übersetzt von Kusimayana, endlich einen Band, in dem Feier. S
plan erscheinen dürfen; dies ist der Sinn der umstrittenen Worte des
nur meine Novelle „Sterben“ enthalten war, übersetzt von man so
neuen Direktors.
Mori, offenbar demselben, der seinerzeit „Liebelei“ ins Japanische sah ich d
Was nun der Feuilletonist der „Neuen Freien Presse“ im Geheim¬
übertragen hatte.
stellung
winkel seines Herzens beklagt, ist aber gar nicht die Gefahr einer Ver¬
So wie es also den Tatsachen kaum entspricht, daß ich die
die reput
armung des Spielplanes als vielmehr das Gegenteil: er befürchtet nämlich,
daß der neue mutige Mann des Burgtheaters es wagen könnte, den bisher
Verbreitung meiner Werke in Japan den propagandistischen Be= die Nati
auf dem Burgtheater wie auf allen Wiener Bühnen lastenden Bann zu
mühungen einer Bekanntschaft aus meinen Studentenjahren ver¬
sich von
brechen, sich nicht mehr dem Diktat der gewissen Wiener Journalisten¬
danke (wenn ich auch nicht daran zweifle, daß jener mir persönlich,
Doumer
clique zu beugen und das Burgtheater von der Vorherrschaft der Herren
soweit ich mich zu entsinnen vermag, leider niemals bekannt
hielt sein
Hugo Wittmann und Felix Salten, des Herrn Artkur
und
Naoul Auernheimer, des Herrn Hans Müller und ihrek Freuide und Ge¬
gewordene Rintaro Mori mein literarisches Ansehen in Japan Herrn 1
sinnungsgenossen zu befreien!
lebhaft gefördert hat), für ebenso unwahrscheinlich halte ich es, einige U
Der Kritiker der „Neuen Freien Presse“ mimt Sorge um Franzosen,
Spanier, Italiener und Russen — und meint doch ganz ... andere, wenn
er es auch nicht wagt, diese anderen mit einem Sammelnamen zu
4
bszeichnen! Nafürlich wird Hofrat von Millenkovich Könner wie Arthur
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Schnitzler nicht ausschließen wollen, er wird aber vielleicht nur den „Jungen
Medaldus“ und den „Grünen Kakadu“ annehmen und ein Ehebruchsstück
wie „Das Weite Land“ dessen Hauptfiguren ausnahmslos aus der
Gegend des Franz Josefs=Kais stammen, nicht einlassen.
Wir haben daher vollen Anlaß, den neuen Burgtheaterdirektor mit
Freuden willkommen zu heißen und ihm reiche Erfolge zu wünschen.
1
Neues Wiener Journal
In diesem Sinne dürfen wir in der Berufung des Hofrates von
Millenkovich an die Spitze des altehrwürdigen und immer noch wunder¬
u daß meine Werte in Japon Haupischlich deshald Interess findensdurch
baren Burgtheaters auch ein Zeichen des neuen Kurses erblicken,
sollten, weil (wie Ihr geschätzter Mitarbeiter in dem obenzitierten
bedeutend
die Verheißung einer Erneuerung unseres geistigen Lebens, eine Tat, die
Artikel ichreibt: „die ganze absteroende Wiener sentimentale, ein bißchen
mehr tei
en Schutt beseitigt und Raum für neue Kräfte schafft.
weinerliche Kultur, die in seinen Dramen und Novellen fest¬
zustand
gehalten zu haben ja Schnitzlers größtes Verdienst beinhaltet,
Witwe 1
leise an die Traurigkeit des asiatischen Buddhismus anklingt.“
Im übrigen hege ich die bestimmte Hoffnung, daß Ihr
Sei
geschätzter Mitarbeiter sich von der „Traurigkeit des asialischen
Buddhismus eine klarere Vorstellung zu machen vermag, als ich
von dem. was er unter der „weinerlichen Wiener Kultur“ versteht.
G.
Es wird mich freuen, wenn Sie dieser Zaschrift in Ihrem
Stephan
Blatte Aufnahme gewähren wollen.
der Rat
Arthur Schnitzler.
gebracht
erfahren
kiim