VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 24

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2. guttings
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Zädische Aopfe
eben nur an der Seine gedieh, daß man selbst so viel besser
Arthur Schnitzler
war, und tat in der weiteren Folge so etwa wie Arthur
Schnitzler eben in seinem Anatol=Zyklus, von allen guten
Von Doris=Wiliner.
Göttern des „cant“ verlassen, geschildert hatte. „Niemand
Arthur Schnitzler, um dessen Haupt gegenwärtig ein
lügt soviel wie der Entrüstete“ hat Friedrich Nietz¬
trauriger Glorienschein menschlichen Märtycertums seinen
sch einmal gesagt. Nun: die Wogen schlugen damals haushoch
blassen Heiligenschein webt, wurde, obzwar ein echtbürtiger
über den jungen Arthur herein. Was nicht hinderte, daß
und echtblütiger Wiener, mit Fug vor etwa zwei Jahren
jedermann (und jedes Weiblein erst recht) die kleinen zierlichen
in die Preußische Dichterakademie gewählt. Denn nur wenige,
Bände kaufte und verschlang. Und da die Wahrheit nicht
besonders begnadete Mitglieder der jungen Korporation haben
für das deutsche Schrifttum in so schöpferischem, bereichern¬
berg der deutsch=österreichischen Entrüstling hindurch, und bald
dem Sinne gewirkt, wie dieser Sohn der Donaustadt, der
wagte es die eine oder andere mutige junge Bühne, die harm¬
vorgeschobensten Bastion gen Osten, in der vielfältige Rassen
losesten der „Anatol“=Skizzen aufzuführen. Der Dichter, un¬
die deutsche, die romanische, die slawische — zusammen¬
bekümmert um die Stürme, die ihn umbrandeten, dichtete
flossen und vielleicht eben darum dem Charakter der von
unterdessen munter weiter und griff mit Vorbedacht immer
uns allzeit mit Liebe und Sehnsucht umfangenen Metropole
etwas brenzligere Fragen an. In dem großen Roman:
zu einer besonders verführerischen Eigenart verhalfen. Man
„Der Wegins Freie“, der unseigentlich in un¬
hat oft und viel über den Begriff des „Oesterreichers“
serer Eigenschaft als Juden nicht nur An¬
gestritten; man hat ihm Wohlwollen oder Abneigung ent¬
regungen, sondern auch manche beherzigens¬
gegengebracht, und die konsequentesten Denker gelangten da¬
werte Lehre zu schenken hat, bemächtigte er sich
hin, den Begriff als solchen überhaupt zu negieren. Vielleicht
beispielsweise des Problems des scheinbar gleich¬
auch mit Recht, da der Repräsentant eines Nationalitäten¬
berechtigten Juden innerhalb der antisemi¬
staates (mit zehn oder zwölf Kronländern) statt eines Na¬
#tisch verseuchten Wiener guten Gesellschaft.
tionalstaates kaum je einen einheitlichen, organisch gefügten
Und er, der die Gegensätze, Reibungen und tödlichen Krän¬
kungen, die „zwischen den Rassen“ ausgetragen wurden, nicht
nur vom Hörensagen kannte, sondern sie in seinem eigenen
tausendjährigen Blut schmerzhaft fühlte, er teilte mit salomo¬
nischer Weisheit die Wiener Juden seiner Blüte¬
zeit in zwei große Gruppen ein: in die eine,
die immer in der Frucht lebt, bei ihrer sorglich ver¬
Photographien
hehlten und durch reichliche Assimilierung überzucker¬
ten Abstammung meuchlings ertappt zu wer¬
von der Welkkonferenz
den, und in die andere, die jedem Neutralen
und Unbefangenen ungefragt sofort mit dem
Das Atelier Elite, Leipziger Straße 119=20, teilt uns mit,
fatalen Bekenntnis zur eigenen Rasse ins
daß von den am Eröffnungsabend der Konferenz gemachten Aufnahmen
Gesicht springt, und durch diese unangebrachte Be¬
noch Abzüge in Größe 18x24 à Mk. 1,— zu haben sind. Ebenso sind
kennerwut (die von stolzem Bekennermut ebenso weit
entfert ist wie die Verleugnungsmethode) den arglosen Part¬
von Cl. G. Montefiore und Miß Montagu noch Bilder à Mk. 1,—
ner nur in eine unmotivierte Verlegenheit versetzt. Jahre
und Mk. 3,— vorrätig.
um Jahre sind über diesen brennenden Zeit= und Streit¬
Gleichzeitig weist das Atelier Elite darauf hin, daß Bilder der von
fragen, wie sie sich in einem seiner Epoche weit vorangeeilten
ihr aufgenommenen prominenten Persönlichkeiten der Konferenz in ihren
Dichterhirn und Herzen spiegelten, verstrichen.
Schaukästen zur Ausstellung kommen.
Arthur Schnitzlers Kunst am Worte aber ward immer
liebevoller, erlesener, wie von jeglicher Erdenschwere befreit.
Im ganzen deutschen Reiche schrieb kaum ein anderer Dichter
ein so gepflegtes, graziles, über den Menschen und Dingen

gleichsam schwebendes Deutsch. Dergleichen kannte man allen¬
falls in Frankreich oder Italien, wo die Erziehung zur
Typus darzustellen vermochte. Und dennoch, wenn auch ethno¬
künstlerischen Form durch jahrhundertealte Tradition Gesetz
logisch ein Unsinn, eine contradictio=in=adjecto: körperlich,
war. Es blieb auch gleich, welche Kunstgattungen Arthur
geistig, seelisch und moralisch hat es ihn trotzdem gegeben
Schnitzler gelegentlich bevorzugte; die tänzerische Seele seiner
und gibt es ihn noch heute, den vielumstrittenen, viel be¬
Schöpfungen blieb all seinen Werken — mochten es Romane,
fehdeten, scheinbar nicht existenten „Oesterreicher“. Niemand
Dramen oder die von ihm besonders geliebte und meisterlich
hat das in schöneren, klareren und überzeugenderen Worten
beherrschte Form der Novelle sein — zu eigen. Die Stoffe
zu beweisen gewußt, als der Auch=Oesterreicher Felix Salten
aber, denen er seine inkommsensurable Kunst angedeihen ließ,
in seinem mit Herzblut geschriebenen Buch: „Das österreichische
pendelten stets zwischen den beiden Polen: lebenerzeugende
Antlitz“. Denn gerade jene vermeintlichen Mängel, die in
Tod, Entstehen und Vergehen hin
Liebe und
den Augen des pedantischen und unerbittlichen Volks=, Sprach=,
und her. Vielleicht war das ein biologischer Atavismus des
Stammes= und Geschichtsforschers dem Oesterreicher anhafte¬
selbst zum Mediziner bestimmt Gewesenen, der einer Familie
ten oder überhaupt den Garaus machten, liehen ihm in
angesehener Aerzte entstammte. In seinem ausschließlich in
jedem vielleicht weniger buch= und buchstabengelehrten Sinn
der Sphäre zwischen Tod und Leben spielenden „Professor
seine besondere Eigenart und seine individuellen, unnacht¬
Bernhardi“ packte er wieder mit kühner Hand die Tages¬
ahmlichen Vorzüge. Künstler würden sich ruhig zu dem
frage der konfessionellen „Zuständigkeit“ am
freudig bejahenden Wort: „Reize“ versteigen. Denn gerade,
Sterbebett an und entfachte durch seine milde gütige Toleranz,
daß der besagte „Oesterreicher“ ein „sujet mixte“ war, aus
die Schwester der echten Charitas, wieder einmal die Empö¬
deutsch er Herbheit, Kühle, Willenskraft und Selbstbeherr¬
rung einer ebenso engstirnigen wie subalternen Widersacher¬
schung sowie aus romanischer Formbegabung, musischer
Gemeinde. Sie ließ ihn kühl. Konnte ihn kühl lassen, denn
Trunkenheit und leichterer, beschwingterer, gleichsam tänze¬
er wußte es besser. Zu der eigenen beruflichen Anschauung
rischer Lebensauffassung, zu guterletzt aber auch aus slawi¬
des Heilkundigen gesellte sich in Schnitzler immer mehr und
scher Weichheit und Verträumtheit, Versonnenheit und Ver¬
mehr jene letzte künstlerische Intuition, die ihn in der
sponnenheit, nebst einer gegenstandslosen, um alle Dinge
Ueberzeugung stärkte, daß Liebe und Tod vielleicht selt¬
und Ereignisse des realen Lebens schwebenden Wehmut, gab
eltene Schlafaenossen sind.