VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 26

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sieht u. a. vor: Sportwettkämpfe um Wanderpreise, die von den
ration — die der Toller, Brecht und Bronnen oder Zuckmayer
großen jüdischen Organisationen und Zeitungen gestiftet worden sind,
im Aufsteigen war, ganz abzusehen von den modischen
ferner eine Singerast mit Liederwettkämpfen und eine Feierstunde
Ausschreitungen der Nackttänze und der mit Zoten überlade¬
mit Sprechchor, Fahrtenorchester usw.
nen Revuen, fanden sich doch etliche alte Weiber beiderlei
Danzig. (Weltkonserenz des Misrachi.) Am Sonntag,
Geschlechts, die an Schnitzlers „Reigen“ das übliche, vom
den 19. August, wurde im Schützenhaus zu Danzig die Konserenz
Gesetz vorgeschriebene „öffentliche Aergernis“ nahmen und
des Weltverbandes der Zionistischen Partei Misrachi eröffnet bei
somit eine sorensische „Cause célebre“ ins Rollen brachten,
Anwesenheit von 140 Delegierten, davon 17 Rabbinern und einer
die uns heute wie ein grotesker Anachronismus anmutet.
sehr großen Zahl von Ehrengästen. 35 % der Delegierten gehören
den Jugendorganisationen des Misrachi an.
Wenn wir heute das Repertoire der Reichshauptstadt und
Das Schützenhaus ist festlich dekoriert. Vom Dache wehen die
der großen Provinzbühnen betrachten und mit Staunen wahr¬
Flagge des Freistaates Danzig und die zionistische blau=weiße Fahne.
nehmen, was alles an öffentlicher Stätte, selbst unter Zu¬
Die Tribüne des Saales ist mit zionistischen Farben und dem Bilde
lassung Jugendlicher, geboten werden darf, so greifen wir
Theodor Herzls geschmückt. Der Eröffnungssitzung wohnt auch das
uns schier fassungslos an den Kopf in dem „Gedanken, daß
Diplomatenkorps bei. Die Eröffnungsrede hält im Namen des Or¬
dieser Monstroprozeß tatsächlich erst vor acht Jahren die
ganisationskomitees Direktor Heidenfeld. Das Präsidium übernimmt
öffe liche Meinung erhitzt hat. Und das resignierte, weit
sodann der Präsident des Weltmisrachi, Rabbi Meir, Berlin, der
zuerst hebräisch und dann deutsch spricht. Nach der Begrüßung
über die Dinge des Alltags erhabene Lächeln Arthur Schnitz¬
von Delegierten und Gästen hält er eine großangelegte Programm¬
lers selbst will auch uns ankommen angesichts der Wandel¬
rede, die mit großer Spannung angehört wird.
barkeit künstlerischer und — moralischer Dogmen. Heutzutage
Im Namen des Danziger Senats begrüßt Senator Jewelowskyss
würde jeglicher Backsisch, geschweige denn ein Jüngling, „der
die Weltkonferenz. Hierauf halten Begrüßungsreden Legationsrat Ritter
nicht mehr seine sechzehn Jahre hat“ den Besuch des „Rei¬
im Namen des polnischen Generalkonsulates, Justizrat Sander im
gens“ wegen mangelnder Pikanterie oder zu großer Harm¬
Namen der Jüdischen Gemeinde von Danzig, Rabbiner Segalowitz#
losigkeit schlechthin verweigern. Denn wir dürfen nicht ver¬
im Namen des Rabbinats und Dr. Segal im Namen der Danziger#
gessen, daß die vorgeschrittene Jugend von heute gewohnt
Zionistischen Organisation. Nach der Wahl des Präsidiums hält
Rabbiner Gold eine Programmrede in jüdischer Sprache. Hieraufs
ist, kräftigere Ansprüche zu stellen.
werden weitere Begrüßungen verlesen.
Arthur Schnitzler aber hat sich auf seinem Wege weder
Dresden. (Ein jüdischer Sportplatz.) Der dem Sport¬
durch Freund noch Feind beirren lassen. Er blieb weiterhin
verein „Bar Kochba“ vom Rat der Stadt Dresden pachtweise über¬
der Dichter der Liebe und des Todes, und seine Künstler¬
lassene, 13.000 Quadratmeter große Platz auf dem Gelände des
schaft errang gérade in den letzten Jahren höchste Triumphe
Ostrageheges ist dank der unermüdlichen Schaffenskraft der Bar Koch¬
durch unvergleichliche Werke, wie z. B. die Novelle „Fräulein
bauer und mit finanzieller Hilfe der Israelitischen Religionsgemeinde
Else“ die jedes Vorbildes und jeder Nachahmung spottend,
innerhalb Jahresfrist zu einer Spielplatzanlage ausgestaltet worden
in der Tat die von den Zionswächtern der Kunst geforderte
die allen sportlichen Ansprüchen im weitesten Maße genügen dürften
„unerhörte Begebenheit“ in sich schloß. Rings um dieses
Da vereinbarungsgemäß der neue Sportplatz nicht nur den Mits
Kabinettstück einer über sich selbst hinausgewachsenen Kunst
gliedern des Bar Kochba, sondern allen Kreisen der Dresdner jüdis
schen Bevölkerung regelmäßig zur Verfügung gestellt werden muß
gingen andere, kaum minder bewunderungswürdige Arbeiten
ein
wird die am 14. Oktober stattfindende Eröffnungsfeier entsprechent
wie die „Komödie der Worte“ die „Hirtenflöte“, —
der Bedeutung, die der Uebergabe des ersten jüdischen Sportplatzes
pathetisches Pandämonium sinnlich=übersinnlicher Triebe
in Dresden zukommt, einen besonders festlichen Tharakter tragen
„Die Frau des Richters“ oder letzthin seine „Traumnovelle“
Frankfurt a. M. (Lohnschiedsspruch in der jüdische
und sein „Spiel im Morgengrauen“, wo abermals der Tod
Gemeinde.) In der vom Verband der Gärtner und Gärtnereit
am Ende überschäumender Jugend, erdhafter Liebe und Triebe
arbeiter beim hiesigen Schlichtungsausschuß anhängig gemachten Klags
steht. Persönlich war es immer stiller und einsamer
gegen den Vorstand der Israelitischen Gemeinde zu Frankfurt a. Me
um den alternden Dichter geworden. Wie in seinen ergrei¬
wegen Bezahlung der jüdischen und gesetzlichen Feiertage erging untern
fendsten Tragikomödien war es ein ewiges Scheiden und
10. August folgender Schiedsspruch: „In den zwischen den Parteien
Meiden. Menschen, die das Leben zu einander gefügt, streb¬
abzuschließenden Tarifvertrag wird folgende Bestimmung ausgenom
ten auseinander, und immer traurigere Melodien entlockte
mene Für die in der Zeit von Montag bis Freitag fallenden jüdis
schen Feiertage, die nicht mit den gesetzlichen Feiertagen zusammen
der große Pan seiner Hirtenflöte. Von seiner Frau war
ritterlicher
fallen, werden 50 Prozent des Lohnes bezahlt, den der Arbeiten
Schnitzler seit langem gesetzlich geschieden. In
verdient hätte, wenn gearbeitet worden wäre.“ Zu diesem Schieds
Freundschaft besuchte er die Mutter seiner Kinder zuweilen
spruch gab der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Dr. Krekels nachfolgende
in ihrer schöngelegenen Villa zu Baden=Baden. Der einzige
Begründung: Von der Israelitischen Gemeinde werden auf dem israch
Sohn, der junge Heinrich Schnitzler, hatte sich in
litischen Friedhof neun Arbeiter beschäftigt. Samstags wird dor
frühen Jahren den Brettern zugewandt, für die sein Vater
nicht gearbeitet. Die an den Samstagen ausfallende Arbeitszeis
schrieb, die seinem Vater aber trotzdem niemals die Welt
wird auf die übrigen Wochentage umgelegt, so daß von Montag
bedeuteten. Als einziger, mit aller Liebe und Sehnsucht
bis Freitag je zehn Stunden gearbeitet wird. An den in die Zeig
dieses unverwüstlichen Romantikers umwobener Sonnenstrahl
von Montag bis Freitag fallenden jüdischen Feiertagen wird nich
gearbeitet, so daß die Arbeiter an diesen Tagen einen Lohnausfall
leuchtete in Arthur Schnitzlers vereinsamten Hause die von
haben. Gegenüber dem Verlangen der Arbeitnehmer, sie dafür vol¬
dem Vater vergötterte und zu holder Lieblichkeit erblühte
zu entschädigen, hat der Vorstand der Israelitischen Gemeinde sich
Tochter Lilly. Mit der ganzen Großmut seiner Seele schenkte
vergleichsweise bereit erklärt, in den abzuschließenden Tarisvertrag ein
Schnitzler dieses unschätzbare Kleinod seines Hauses und seines
Bestimmung aufzunehmen, wonach für die jüdischen Feiertage, die nich
Herzens dem Manne, der aus der Fremde gezogen kam, um
mit gesetzlichen Feiertagen zusammenfallen, 50 Prozent des Lohnet#
dies „Blümlein Wunderhold“ zu pflücken. Wenn man Schnitz¬
den Arbeitern gezahlt werden sollen. Der Schlichtungsausschuß has¬
lers gesamte Werke, von der „Liebelei“ über den „Einsamen
diesen Vergleichsvorschlag als angemessen und billig erachtet.
Weg“ oder das „Weite Land“ bis zu „Fräulein Else“ oder
. Geburtstag.) Am Mittwoch, den 29
Hannover.
„Spiel im Morgengrauen“ heute unter dem Gesichtspunkte
August, beging der 1. Vorsitzende der Synagogengemeinde Hannover
unerbittlichen Geschehens und Geschicks ansieht, so muten
Herr Kommerzienrat Joseph Berliner, seinen siebzigsten Geburts
tag. Seit 1920 steht der Jubilar an der Spitze der Gemeinde und
sie alle wie eine beklemmend dunkle Prophetie an. Es ist,
hat sein schweres Amt in mußergültiger Weise verwaltet. Galt ez
als habe Schnitzlers Sein und Wirken sich erfüllt „nach dem
doch, die Schicksale unserer Gemeinschaft durch die Fährnisse de
Gesetz, nach dem er angetreten“. Warum sonst hätte der Dich¬
Nachkriegszeit sicher zu führen und oft als unüberwindlich erscheinend
ter überall dort, wo Hände sich inbrünstig ineinanderschlan¬
Hindernisse mutig und tatkräftig zu bewältigen. Keine Mühe scheuend
gen und Lippe sich auf Lippe schmiegte, insgeheim den Genius
hat er es verstanden, das Ansehen der altehrwürdigen Gemeinde na#
mit der gesenkten Fackel gesehen? Es ist nun vollends
allen Seiten aufrechtzuerhalten, den Frieden und die Einheit zu
still und einsam um ihn geworden. Seine ein¬
wahren und stets neue unaufschiebbare Arbeiten siegreich durchzu
zige Gefährtin blieb die Kunst. Er brauchte zwar nicht erst
führen. — Auch im bürgerlichen Leben erfreut sich der Jubila##
großen Ansehens. Er gründete im Jahre 1881 die Firma J. Berline##
die Gabe des Leids zu empfangen, um zum Skalden zu
Telephonfabrik und im Jahre 1900 die Deutsche Grammophon A.=Ge
werden Und dennoch glauben wir, daß Schmerz und Trauer
Die Dankbarkeit dem Jubis
und die Hackethal=Draht=Gesellschaft. —
nur neue unvergleichliche und unvergeßliche Melodien aus
lar gegenüber wird die Gemeinde durch Festakt und Festgottesdien
diesem Dichter=Märtyrer hervorlocken werden. Gilt doch für
bezeugen. Ueber diese Veranstaltungen werden wir berichten.
ihn und seinesgleichen ohnedies das Wort: „Denn Dulden
Heilbronn. (Jubiläum.) Oberlehrer J. Krämer beging untel¬
ist das Erbteil seines Stammes“
lebhafter Anteilnahme vieler Freunde das Jubiläum seiner 25 jährin
gen Tätigkeit als Lehrer und Kantor der hiesigen Gemeinde.
Aumerkung der Redaktion:
Hildesheim. (Berufung eines ersten Kantors.) Nac¬
Nach dem heutigen Artikel unterbrechen wir die Aufsatz¬
fest 33 jähriger ersprießlicher Amtstätigkeit als Lehrer und erste¬
Kantor unserer Gemeinde ist Herr Bach in den Ruhestand getreten
reihe „Jüdische Köpfe“, die in einem späteren Zeitpunkt
Jose—