VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 33

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Der Dichter als Heilkünstter der Menschheit und der Arzt
mit dem seinen Einfühlungsvermögen des Dichters — sie be¬
gegnen einander oft genug auf gleichem Wege, sehen einander mit
einem Augurenlächeln in die Augen und wissen um das Gemein¬
same ihrer Aufgabe. Immer wieder lockt es den Dichter, Arztliches
zu gestalten — Thomas Mann in seinem „Zauberberg“ ist ein
klassisches Beispiel dafür — seltener aber ist der Fall, daß sich Arzt
und Dichter in einer Person vereinigt finden. Dennoch kann man
aus der Vergangenheit und Gegenwart eine ganze Anzahl von
Persönlichkeiten anführen, in denen diese Verschmelzung verwandter
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Berufe — beiden steht das Problem Mensch im Brennpunkt des Er¬
lebens — zu hervorragenden künstlerischen Gestaltungen führte.
Schon in früheren Jahrhunderten waren die Beziehungen
der Arzte zur Dichtkunst ziemlich rege. Der große Mystiker An¬
Professor Dr. Carl Ludwig Schleich
so heiligt sie auch seinen ärztlichen Beruf zum Gottesdienst. —
Ein ausgezeichneter Dichter von Kirchenliedern war der Arzt am
Halleschen Waisenhaus Christian Friedrich Richter (gest. 1711).
Von ihm stammt das Lied „Es glänzet der Christen lebendiges
Leben“, das von Schleiermacher als Perle aller Kirchenlieder
gerühmt wird. Ein bekannter, wenn auch heute schon vergessener
Dichter war der Mediziner Johann Valentin Pietsch, der Lehrer
Gottscheds, dessen „Poetische Werke“ 1725 erschienen.
Albrecht von Haller, der berühmte Schweizer Dichter, war
nicht nur Mitbegründer der klassischen deutschen Poesie, sondern
auch einer der Hauptbegründer der Wissenschaft der Physiologie.
Als „göttlich“ gepriesen wird noch von Herder der Leibarzt
des Grafen Bentheim, Johann Philipp Withof, dessen Gedichte
1751 erschienen. Auch sein Kollege, der Professor der Medizin
an der Leipziger Universitét, Frichlich Andreas Gallisch, muß
hier genannt werden. In den meisten Musenalmanachen seiner
Zeit ist er mit Gedichten vertreten.
Bekannt ist die Einwirkung, die der Augenarzt Jung¬
Stilling mit seiner poetischen Lebensbeschreibung auf Goethe
ausübte. Auch Johann Georg Zimmermann, der Arzt Friedrich's
des Großen und Freund Goethes, betätigte sich literarisch.
Dr. Arthur Schnitzler
Karl Arnold Kortum, vor einem Jahrhundert als Bergarzt
gelus Silesius, der Dichter des „Cherubinischen Wandersmann“.
in Bochum verstorben, schrieb in seiner „Jobsiade“ das beste
wurde „mit höchstsonderlichen Ehren“ in Padua zum Doktor der
komische Heldengedicht, das wir bisher in deutscher Sprache
Medizin befördert. Er war eine Zeitlang als Leibarzt in Ols tätig.
haben. Ihm widmet Otto Julius Bierbaum in seiner Vorrede
Kaiser Ferdinand III ernannte ihn zum Hofmedikus. Bei Angelus
zur Inselausgabe der Jobsiade die humoristischen Verse:
Silesius bildete die mystische Grundstimmung seiner ganzen Per¬
Karl Arnold Kortum, Doktor der Med¬
sönlichkeit das Bindeglied zwischen Dichter und Arzt. Der in Gott
izin war nebenbei bloß Poet.
ruhende Mensch ist ihm das Wunder aller Wunder, und wie seine
Denn er hielte nicht wenig auf seinen Magen
Theosophie sein Wort zum dichterischen Erlebnis aufglühen läßt,
und meinte, das Hungertüchernagen
sei weder gesund noch angenehm;
drum dichtete er bloß außerdem
und legte sich fleißig aufs Krankekurieren,
Oper=Pur=Ordin= und Medizinieren,
weshalb ihm die Arzte in Bochum zuletzt
und nicht die Poeten ein Denkmal gesetzt.
Groß ist die Zahl der Arzte, die führend in den literarischen
Bewegungen unserer Zeit hervorgetreten sind. Nur einige Namen
sollen hier genannt werden. Ein Arzt. Dr. Conrad Küster, rief
den Verein „Durch“ ins Leben, der mit Wille, Bölsche, Mackay
und anderen dem Naturalismus in Deutschland Vorpostendienste
leistete. Das Schlagwort „Die Moderne“ (Gegensatz: Die Antike)
wurde in diesem Verein geprägt und blieb lange in Geltung.
Aber auch in der vordersten Linie der Dichtenden selbst stehen Arzte.
Arthur Schnitzler, der Dichter so vieler Dramen, in denen
seelische Konslikte bis in ihre letzten Verästelungen verfolgt wer¬
den, wirkte als Arzt in Wien. Zu seinem auch in Berlin viel
gespielten „Professor Bernhardi“ aber auch zu vielen feinge¬
schliffenen Erzählungen hat der Arzt dem Dichter den Stoff
geliefert. Von Haus aus Arzt ist auch Karl Schönheir, der
Dichter von „Glaube und Heimat“ und anderer zugkräftiger
Tramen, die zumeist in seiner Tiroler Heimat spielen.
Der bekannte Novellist und Lyriker A. de Nora (Dr. Anton
an die Nacht“ heißt es:
Der allmächtige Tag
Dich nur lieb' ich, o Nacht,
Wie ein eiliger Arzt
Tausendäugige du,
Reißt mit herrischer Hand
Deren gütigem Blick
Von den Schwären der Welt
Sich die Tiefen der Brust
Still vertrauend erschließen. Schonungslos die Binde...
Dr Allred Döblin
IVon Hlans Schön
Der ausgezeichnete Noveilist und Lytiker 9
1876 geboren, lebt als praktischer Arzt in Gaien
see. Frauenarzt in Prag war Hugo Salus, de
riker, dessen Sang ein Hymnus an die Frau a
Wie heißt es doch im „Ehefrühling“?
Geh ich dann Sonntag früh zu meinen
So leuchtet es mir mahnend in die Au
Und zwischen Tod und Siechtum und
Wie Blumen aus den Ritzen einer Ma#
Lacht mir die Mahnung an mein Glüch
Alfred Döblin, der Autor des vielge
„Berge. Meere und Giganten“, übt im Osten
gedehnte ärztliche Praxis aus. Er ist vielleich
Beispiel des modernen Dichterarztes. Heilen
Dr. Ludwig Finckh
springen bei ihm aus dem gleichen Überfluß ein
ganze sich verlierenden Persönlichkeit. In seinen
das psychologische Moment eine große Rolle.
analyse mit ihrer Entdeckung der vielen Untersty
danken und Träumen gab Döblin starke Anreg
kurzen Erzählungen, die oft erschütternde
Leben unserer Zeit wiedergeben, verwertet er
obachtungen, die der sorgfältig forschende Ar
Dr. Karl Schönherr