VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1925–1929, Seite 36

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2. Cuttings
DER BAZAR
den reinen Dichtungen. Es wird schwer sein
zu lassen, daß ich naturgeheime Zusammenhänge erkenntnisgemäß
seiner Patienten machte. Der Grundzug seines Wesens bleibt
tungen etwas von Anatomie, Physiologie,
weiß. Ich stellte mich als Dichter absichtlich intuitiv, nie lehr¬
aber nicht die Erforschung des Einzelmenschen, sondern die Ent¬
decken, und doch werden meine Poesien un
schleierung der Weltzusammenhänge, ein Beginnen, das ihn
schauung und mein Weltwissen im Kern en
schließlich zu dem schwermütigen Geständnis treibt: „Wie kann
bildet zu fliehenden Wolken, zum fließenden
ich in einer solchen durcheinanderstürzenden Welt gehen, vor¬
Hans Much, der Leiter des Hamburger
schreiten? Sie erdrückt mich, ich bin unendlich klein neben
für Tuberkulose und Direktor des Eppendor
ihr, ganz nichtig. Ist ein Ich überhaupt? Was bleibt mir
als Ph
ist als Novellist und ?
tyriker, aber
übrig, als mich ganz zu unterwersen? In dieser Allnatur kann
kenner erfolgreich hert
ich nicht einmal stehen. Aber ich könnte — in ihr schwimmen.
ebenso den
Unendlich demütig, leise mich hingebend, mich ihr anschmiegen.
Nur nichts mehr tun! Es wäre vergebens. Ich wehre mich
nicht, ich gehorche, lasse mich überwältigen!“
Schöpferisch als Arzt und Dichter war der leider allzufrüh
verstorbene Carl Ludwig Schleich, der Freund und Vertraute
Strindbergs. Nach seinem eigenen Geständnis in seinen Jugend¬
erinnerungen schwankte er lange zwischen wissenschaftlicher
und künstlerischer Berufsneigung, bis er sich schließlich auf Ver¬
anlassung seines Vaters, der selbst Arzt war, dem ärztlichen
Wirkungskreis zuwandte. Nur ein Dichter und Arzt konnte die
Widmungsverse schreiben, die er seinen Betrachtungen „Vom
Schaltwerk der Gedanken“ voranstellt:
Auf den feinsten Nervensaiten
Spielt ein Spielmann sein Gedicht.
Wohl fühlst du die Finger gleiten,
Doch den Spielmann siehst du nicht ...
In seinen Lebenserinnerungen „Besonnte Vergangenheit“.
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sagt Schleich von seiner dichterischen Sendung: „Ich habe
Doch u
eigentlich in keiner Periode meines Lebens der Feder Ruhe ge¬
nschreit
Ich muß dir d
lassen. Das ganze Leben hindurch, von Kindheit an, rannen
Du bist
Denn Ich bin Du un
mir die Ereignisse zu poetischen Bildern zusammen. Im Spiel
der Wolken formten sich namentlich in meiner Jugend mir Bal¬
Was den Arzt zur dichterischen Gestalt
laden, im Rauschen der Wellen und Wälder klangen Begebnisse,
Troleser Der ans Much
in den meisten Fällen das Wissen um M
und alle meine wissenschaftlichen Erkenntnisse setzten sich zu ge¬
schöpferisch veranlagten Naturen den Rahn
haft ein. Was Strindberg mir einmal sagte: „Ein Dichter muß
formten Gedankenkristallen in dem Grund der Seele ab oder
sprengt, um auf dem freieren Gebiete der
vieles, vielleicht alles wissen. Wehe, wenn man merkt, was alles
bildeten sich um zu Ereignissen mit einem Kerngehalt von neuem
schautes mit äußerlich Erlebtem zu einer Ein
er weiß!“ danach habe auch ich stets poetisch gearbeitet bei
Schauen. Immer vermied ich, in meinen Versen durchschauen
Oie sugendliebe gresser ILänner vonen enn
außer zu der jungen Ricke Holst=Tressell ins
ter eines Londoner Bankiers, die, als die beiden einander kennen¬
Nirgends findet man Freude und Schmerz so nahe beieinan¬
ginzes, von literarischen Sorgen wildbeweg
lernten, 19 Jahre zählte. Vier Jahre dauerten die Beziehungen.
der, als wenn man der ersten Liebe großer Männer nachspürt
Aue seine Gedanken und Pläne teilte er sein
Im Mai 1833, gerade, als Dickens Name in der Offentlichkeit
und feststellen muß, daß eigentlich selten ein Mädchen an das
Jeder Tag brachte Ricke lange poetische G
bekannt zu werden begann, sagte sich Maria, die ja ein wenig
junge Genie so fest glaubt, um sich ihm für Lebenszeit zu ver¬
von einem Blumenstrauß begleitet. Oft
älter war und den poesievollen Jüngling stets von oben herab
binden.
hungern und auf sein Essen verzichten, un
behandeln zu müssen glaubte, von Dickens los und vermählte
Wagner verliebte sich als junger Mensch in ein Mädchen,
zu können. Ibsens Briefe an Ricke ende
sich mit einem Mister Winter. Dickens aber, der in seinem Ro¬
das er vergebens von seiner Größe zu überzeugen suchte. Als
Worten: „Meine einzige Ricke! Ich glau
man „David Copperfield“ in der Gestalt der Dora Spenlow und
er einmal wieder eine Rede mit einer Verdonnerung aller bis¬
glaube an das Weib!“ — Unter Rickes Ein
in „Klein Dorrit“ in der Figur der Flora Fincking ein Idealbild
herigen Musik und Opernkomponisten begann, aber nicht mit
erstes größeres Drama „Die Herrin von
seiner geliebten Maria entwarf, konnte jene erste Liebe niemals
einem Hinweis auf das in ihm ruhende Talent schloß, sondern
wandte sich Ibsen von seiner Jugendliebeg
vergessen. Einmal schrieb er der Angebeteten: „Was auch an
mit der Frage: „Wollen Sie meine Frau werden?“ antwortete
Tragisch, wie sein ganzes Leben, wa
Phantasie, Romantik, Willenskraft, Leidenschaft und Ehrfurcht
das junge Mädchen kurz und verächtlich: „Nein!“ Wagner, erst
Kleists Jugendliebe. Wilhelmine von Zeng
in mir sein mag, ich bin nie von Dir getrennt und werde mich auch
verdutzt, faßte sich bald wieder und rief: „Einst wird der Tag
dem der preußische Dichter seine frühesten 3
nie von Dir trennen“. Mißverständnisse führten zur Trennung.
kommen, an dem Sie Ihre Antwort bereuen werden“, und ver¬
das er in langen Vorträgen zu sich heran
In seinem Abschiedsbriefe gestand Dickens freimütig: „Ich habe
ließ das Zimmer. Ein paar Tage später sandte er an die Ge¬
das er zu seinem idealen Publikum zu erz
keine Hoffnung zu äußern, ich bin so lange gewöhnt. Jammer
liebte einen langen Brief, in dem er seine künstlerischen Pläne
schüchterner und doch empfindlich selbstben
und Elend in mir zu verarbeiten, daß es nicht darauf ankommt,
ausführlich darlegte und nochmals um Gegenliebe bat. Allein
trat Kleist auf, völlige Hingabe an seine mit

e Se Wenen sehOte