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2. Cuttings
114 —
Norden (Henrik
Jude war zu ernst,
Ibsen), Osten (Leo
um sich ganz ernst
—
Tolstoi, Fedor Dosto¬
zu nehmen, Daneben
g
jewski) und Westen
das kindhafte Schwei¬
(Emile Zola) wurde
fen, Entdecker¬
Deutschland aufge¬
freude in Shake¬
rüttelt. Plötzlich
speares Märchenland,
stand ein Drama
das noch keiner
der Zeit da. Es
betreten
singend
war und konnte
hatte: der siebzehn¬
noch kein jüdisches
wunder¬
jährige,
Drama sein. Aus
same Mendelssohn.
dem Erdreich seines
Ein großer Auf¬
Volkes trat Ger¬
takt jüdischen Schaf¬
hart Hauptmann zu
fens, aber nicht die
Ibsens Forderung
mögliche Höhe, nicht
Aber es zeigte sich,
das Drama. Als es
daß der kostbare
sich regen wollte,
Fund am tiefsten
wurde es schon von
doch von jüdischem
der Gegenseite des
Geist ergriffen und
jüdischen Geistes
gefördert wurde.
die
festgehalten:
Arthur Schnitzler
Gerhart Hauptmann
Georg Hirschfeld
Kritik entstand, das
ohne Otto Brahm,
journalistische
die
den Kritiker, den
Funkenspiel,
Theatermann, hätte doch wohl die dunklen Umwege des
Macht der Zeitung. Hier durfte glänzen, was noch
Deutschen nicht vermieden. Die Klarheit seiner selbst
nicht brennen konnte. Hier war die große Zucht der Ver¬
wurde ihm von jüdischen Freunden vollendet, denn zu Otto
antwortung von vornherein nicht gegeben. Jahrtausendlang
Brahm traten Alfred Kerr und Moritz Heimann.
in Knechtschaft — sollte, konnte man entfesselt sofort
Führer sein? Hatte der „Gast“ gesammelt, in Leid und
Und nun regte es sich auch unter den Schwingen und
Unterdrückung, was nun als des Wirtsvolkes labende Quelle
den Stacheln der empörten Zeit in jüdischer Schaffenskraft.
fließen konnte? Zerrissen fühlte er, im Rausch der „Be¬
Bald nach Hauptmann erschienen Arthur Schnitzler und
freiung“, daß er auch die Quelle von Kanaan nicht mehr in
Georg Hirschfeld Reifend folgten ihinen Hugo von
sich trug. Der Weg war viel zu weit gewesen, der Weg
Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann.
durch die Wüste der Diaspora. Man konnte klagen, singen,
Ein tiefer Zauber und ein tiefes Leid ist um die Er¬
urteilen — keine Tragödie schaffen.
scheinungen dieser ersten jüdischen Dramatiker dichterischer
Heine, der erste große Poet des Judentums, ließ es bei
Prägung. Zuerst werde hier von Sehnitzler, Hofmannsthal
dramatischen Versuchen; Schöpfung erwartete die Welt von
und Beer-Hofmann gesprochen — zuletzt von Hirschfeld.
Nicht zufällig, sehr begründet, traten in Oesterreich die
ihm und seiner geistigen Nachfolge nicht, Schöpfung im
sichersten Könner jüdischer Dramatik auf. Die Gewalt der
Sinne Lessings, Goethes, Schillers. Nur der Anker im
„Weber“ und des „Florian Geyer“ konnte dort nicht los¬
Meeresboden der Seele, der das Judentum geblieben, war
brechen — Oesterreich blieb, von dem starken Tiroler Karl
durch Lessings Nathan, durch Goethes Weltgefühl und
Schönherr abgesehen, Wien, und Wien ging immer abwartend.
Byrons Kain der Neuzeit bewußt geworden. Dramatiker bei
aber liebenswert den sekundären Weg. Nicht das soziale
den Deutschen wurden nur Deutsche. Kleist und Heubel,
Pathos, sondern der gestaltete Zauber des Daseins mußte
Otto Ludwig, Grabbe, Georg Büchner. In Oesterreich Grill¬
hier die Kraft sein. Arthur Schnitzler ist so als Oesterreicher
parzer. Das war die vermärzliche Zeit. Dann grollte das
und als Jude der eigentliche Dramatiker Wiens geworden.
soziale Erwachen, dem Bürger trat das Proletariat entgegen
nach Anzengrubers großer Primitivität. Seine dichterische
blieb künstlerisch bei Mut und Witz, im tiefsten Sinne beim
Kultur ist lebend und sterbend zugleich. Immer wird die
Tagesspiel. Zusammenraffende Kunstwerke entstiegen nicht
junge Wienerin gläubig an seinem Denkmal stehen.
dem Judentum.
In Wien nicht gefangen. çondern aus ihm entstrahlend,
Wenn wir den Weg in Deutschland verfolgen, den uns
erfüllte sich die Sendung Hugo von Hofmannsthals, des allzu¬
sichtbaren Weg, wird in der ersten Hälfte des neuen jüdi¬
früh Heimgegangenen. In dieser Persönlichkeit verwahrt sich,
schen Jahrhunderts seine Gefahr sehr deutlich, deutlicher
weil von jüdischem Geist erkannt, was von Oesterreich
noch als die Leistung — besonders auf dem Gebiet des
unsterblich bleibt. Ein Garten birgt es
Dramas. Die Entwicklung von 1860 bis
für die Nachwelt, kein Museum. Schubert
1890, eine Kopie des französischen
vollendete sich naiv — künstlerische
Theaters und das farblose Rührstück, lag
Genießerfreude mußte, vom Bewußtsein
bei jüdischen Autoren. Paul Lindau,
gepfiezt, jüdische werden in dem Halb¬
Oskar Blumenthal waren damals „Führer“.
juden Hofmannsthal, der sich einem
Adolf L’Arronge wurde geliebt, vor ihnen
Antipoden Schuberts, Richard Strauß.
unterhielt David Kalisch die Großeltern.
gesellte.
Ein zarter Keim zum ersten Tragiker am
Richard Beer-Hofmann aber, der
Anfang des 19. Jahrhunderts erstarb
Dichter Jaakobs und des Grafen von
neben den großen Deutschen: Michael
Charolais, könnte schon an einem er¬
Beer, der Bruder Giacomo Meyerbeers,
träumten Ziel vom jüdischen Drama
der alle Gefahren des jüdischen Er¬
stehen, wenn er es nicht als Oesterreicher
wachsens verkörperte, Michael Beers
in deutscher Sprache schricbe. So rasch.
„Paria“ und „Struensee“ starben bald
wie das Jahrhundert judischer Befreiung
nach ihrem Schöpfer.
fortschritt, zeigte sich dieser echte, aber
Erst als der große, stürmische Abend
„zu glückliche“ Künstler. Kann ein
des 19. Jahrhunderts kam, endete die
Schaffender zu glücklich sein? Die Frage
Pause, in der das deutsche Drama sich
bleibe offen, denn Mozart sank ins
Morit Heimann
scheinbar verloren hatte. Die Fragen der
Gesellschaft traten in den Streit — von (Phot: Fritr Heimann, Berlin-Schmargendorf) Armengrab. Dies aber ist gewiß in
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Norden (Henrik
Jude war zu ernst,
Ibsen), Osten (Leo
um sich ganz ernst
—
Tolstoi, Fedor Dosto¬
zu nehmen, Daneben
g
jewski) und Westen
das kindhafte Schwei¬
(Emile Zola) wurde
fen, Entdecker¬
Deutschland aufge¬
freude in Shake¬
rüttelt. Plötzlich
speares Märchenland,
stand ein Drama
das noch keiner
der Zeit da. Es
betreten
singend
war und konnte
hatte: der siebzehn¬
noch kein jüdisches
wunder¬
jährige,
Drama sein. Aus
same Mendelssohn.
dem Erdreich seines
Ein großer Auf¬
Volkes trat Ger¬
takt jüdischen Schaf¬
hart Hauptmann zu
fens, aber nicht die
Ibsens Forderung
mögliche Höhe, nicht
Aber es zeigte sich,
das Drama. Als es
daß der kostbare
sich regen wollte,
Fund am tiefsten
wurde es schon von
doch von jüdischem
der Gegenseite des
Geist ergriffen und
jüdischen Geistes
gefördert wurde.
die
festgehalten:
Arthur Schnitzler
Gerhart Hauptmann
Georg Hirschfeld
Kritik entstand, das
ohne Otto Brahm,
journalistische
die
den Kritiker, den
Funkenspiel,
Theatermann, hätte doch wohl die dunklen Umwege des
Macht der Zeitung. Hier durfte glänzen, was noch
Deutschen nicht vermieden. Die Klarheit seiner selbst
nicht brennen konnte. Hier war die große Zucht der Ver¬
wurde ihm von jüdischen Freunden vollendet, denn zu Otto
antwortung von vornherein nicht gegeben. Jahrtausendlang
Brahm traten Alfred Kerr und Moritz Heimann.
in Knechtschaft — sollte, konnte man entfesselt sofort
Führer sein? Hatte der „Gast“ gesammelt, in Leid und
Und nun regte es sich auch unter den Schwingen und
Unterdrückung, was nun als des Wirtsvolkes labende Quelle
den Stacheln der empörten Zeit in jüdischer Schaffenskraft.
fließen konnte? Zerrissen fühlte er, im Rausch der „Be¬
Bald nach Hauptmann erschienen Arthur Schnitzler und
freiung“, daß er auch die Quelle von Kanaan nicht mehr in
Georg Hirschfeld Reifend folgten ihinen Hugo von
sich trug. Der Weg war viel zu weit gewesen, der Weg
Hofmannsthal, Richard Beer-Hofmann.
durch die Wüste der Diaspora. Man konnte klagen, singen,
Ein tiefer Zauber und ein tiefes Leid ist um die Er¬
urteilen — keine Tragödie schaffen.
scheinungen dieser ersten jüdischen Dramatiker dichterischer
Heine, der erste große Poet des Judentums, ließ es bei
Prägung. Zuerst werde hier von Sehnitzler, Hofmannsthal
dramatischen Versuchen; Schöpfung erwartete die Welt von
und Beer-Hofmann gesprochen — zuletzt von Hirschfeld.
Nicht zufällig, sehr begründet, traten in Oesterreich die
ihm und seiner geistigen Nachfolge nicht, Schöpfung im
sichersten Könner jüdischer Dramatik auf. Die Gewalt der
Sinne Lessings, Goethes, Schillers. Nur der Anker im
„Weber“ und des „Florian Geyer“ konnte dort nicht los¬
Meeresboden der Seele, der das Judentum geblieben, war
brechen — Oesterreich blieb, von dem starken Tiroler Karl
durch Lessings Nathan, durch Goethes Weltgefühl und
Schönherr abgesehen, Wien, und Wien ging immer abwartend.
Byrons Kain der Neuzeit bewußt geworden. Dramatiker bei
aber liebenswert den sekundären Weg. Nicht das soziale
den Deutschen wurden nur Deutsche. Kleist und Heubel,
Pathos, sondern der gestaltete Zauber des Daseins mußte
Otto Ludwig, Grabbe, Georg Büchner. In Oesterreich Grill¬
hier die Kraft sein. Arthur Schnitzler ist so als Oesterreicher
parzer. Das war die vermärzliche Zeit. Dann grollte das
und als Jude der eigentliche Dramatiker Wiens geworden.
soziale Erwachen, dem Bürger trat das Proletariat entgegen
nach Anzengrubers großer Primitivität. Seine dichterische
blieb künstlerisch bei Mut und Witz, im tiefsten Sinne beim
Kultur ist lebend und sterbend zugleich. Immer wird die
Tagesspiel. Zusammenraffende Kunstwerke entstiegen nicht
junge Wienerin gläubig an seinem Denkmal stehen.
dem Judentum.
In Wien nicht gefangen. çondern aus ihm entstrahlend,
Wenn wir den Weg in Deutschland verfolgen, den uns
erfüllte sich die Sendung Hugo von Hofmannsthals, des allzu¬
sichtbaren Weg, wird in der ersten Hälfte des neuen jüdi¬
früh Heimgegangenen. In dieser Persönlichkeit verwahrt sich,
schen Jahrhunderts seine Gefahr sehr deutlich, deutlicher
weil von jüdischem Geist erkannt, was von Oesterreich
noch als die Leistung — besonders auf dem Gebiet des
unsterblich bleibt. Ein Garten birgt es
Dramas. Die Entwicklung von 1860 bis
für die Nachwelt, kein Museum. Schubert
1890, eine Kopie des französischen
vollendete sich naiv — künstlerische
Theaters und das farblose Rührstück, lag
Genießerfreude mußte, vom Bewußtsein
bei jüdischen Autoren. Paul Lindau,
gepfiezt, jüdische werden in dem Halb¬
Oskar Blumenthal waren damals „Führer“.
juden Hofmannsthal, der sich einem
Adolf L’Arronge wurde geliebt, vor ihnen
Antipoden Schuberts, Richard Strauß.
unterhielt David Kalisch die Großeltern.
gesellte.
Ein zarter Keim zum ersten Tragiker am
Richard Beer-Hofmann aber, der
Anfang des 19. Jahrhunderts erstarb
Dichter Jaakobs und des Grafen von
neben den großen Deutschen: Michael
Charolais, könnte schon an einem er¬
Beer, der Bruder Giacomo Meyerbeers,
träumten Ziel vom jüdischen Drama
der alle Gefahren des jüdischen Er¬
stehen, wenn er es nicht als Oesterreicher
wachsens verkörperte, Michael Beers
in deutscher Sprache schricbe. So rasch.
„Paria“ und „Struensee“ starben bald
wie das Jahrhundert judischer Befreiung
nach ihrem Schöpfer.
fortschritt, zeigte sich dieser echte, aber
Erst als der große, stürmische Abend
„zu glückliche“ Künstler. Kann ein
des 19. Jahrhunderts kam, endete die
Schaffender zu glücklich sein? Die Frage
Pause, in der das deutsche Drama sich
bleibe offen, denn Mozart sank ins
Morit Heimann
scheinbar verloren hatte. Die Fragen der
Gesellschaft traten in den Streit — von (Phot: Fritr Heimann, Berlin-Schmargendorf) Armengrab. Dies aber ist gewiß in