VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1928–1931, Seite 37


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2. Cuttings
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1931. Literaturblatt für germanische und romanische Philologie. Nr. 1—2.
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ohne jede Perspektive: Wichtigstes und Nebensächlichstes
Dichter geworden. Denn die Urerlebnisse seines jungen Auges
erfährt die gleiche Behandlung, Stoff und Motiv, Gehalt und
und Herzens sind an Sprache und Sang, Leben und Lieben des
Idee, Weltanschauung und Stilgebung kollern kunterbunt
tschechischen Dorfes gebunden, die nachmals in deutscher
durcheinander; das Werk des Tichters wird heillos atomisiert.
Sprache zu gestalten durch die restlos deutsche Bildung be¬
nirgends in seiner Ganzheit aufgebaut und geschaut und der¬
dingt ward, so er an den Gymnasien zu Kremsier, Troppau und
gestalt gar keine Möglichkeit geboten, es in seiner völligen
Teschen, an der Universität zu Wien genossen hat. Aber wie
Gestalt zu bewerten.
er in seiner Schreibweise die Slawismen nie los geworden ist
Vorzüge wie Schwächen der Arbeit treten am sichtbarsten
(ein krasses Beispiel etwa S. W. II, S. 385: „Es ging sich ihr
im vierten Kapitel hervor; es bemüht sich um die wichtige Frage
schlecht“), ja sie bisweilen absichtlich mehrt, um auch sprach¬
nach Davids Verhältnis zu literarischen Vorgängern und Zeit¬
lich das Milieu zu treffen, so stellt sich die Frage oft ein, ob dieses
genossen. Viel Fleiss und gute Schrifttumskenntnis weiss der
ganze Werk sich nicht noch besser, wurzelhafter, echter — und
Verf. einzusetzen, aber beides verpufft sinn- und ergebnislos
grösser in tschechischer Sprache ausgenommen hätte; mindestens
ins Leere infolge gänzlicher Begriffsverwirrung in den Prinzipien.
hätte da vieles originaler geklungen, was jetzt bisweilen wie
Groeneweg arbeitet immer noch mit jener albernen, in den
Uebersetzung anmutet. Was ich hier andeute, ist nicht in die
Verfallsjahren unserer Wissenschaft grassierenden, heut aber
blaue Luft geschwätzt. Otokar Fischer hat jüngst überraschend
doch längst aufgegebenen Vorstellung von Einflüssen, die den
gezeigt (Xenia Pragensia, 1929), wie der Führer der tschechischen
Dichter gleich einem unselbständigen Gelehrten nicht aus
Romantik, Mächa, erst als deutscher Poetaster mit windiger
dem Ingenium und der eigenen Weltempfängnis, sondern „auf
Epigonenlyrik begann, um von dem Augenblick an, da er der
Grund der vorhandenen Literatur“ schaften lässt. Statt mit
angestammten slawischen Sprache sich bediente, zum grossen
der so wertvollen komparativen Methode, durch Erweis von
Dichter seines Volkes aufzusteigen, ohne dass im übrigen
Uebereinstimmungen und Abweichungen, Davids besondere
Motivik und Metaphorik seines Dichtens sich viel geändert oder
Figur von der ihm örtlich, zeitlich, stofflich, stilistisch, welt¬
vertieft hätten.
anschaulich nahestehender Dichter abzuheben, gerät der Verf.
Wie als Sohn seiner Heimat, so fällt David auch als Ver¬
in eine Art Plagiatschnüffelei, die besonders erheiternd dort
treter deutschen Schrifttums in einen Zwischenraum. Groene¬
wirkt, wo mangels jeden greifbaren Bezugs die selbstverständ¬
weg, dessen fleissige, aber oberflächliche, nur die greifbarsten
lichsten, in der Sache oder Sprache selbst gelegenen, Gleichungen
Motive, nicht aber die hintergründigen Probleie gewahrende
als beweisend angeführt sind. So wird z. B. S. 179 ein „Einfluss“
Schrift auch die vorstehenden Erwägungen vermissen lässt,
von Goethes „Ipnigenie“ auf Davids „Tochter Fortunats“ allen
#ringt so mühsam wie vergebens nach Verständnis seiner geistes¬
Ernstes mit diesen Worten festgestellt:
geschichtlichen Stellung. Die ist schon mit Davids Geburtsjahr
„Iphigenie schildert (IV, 4), wie ihr, der Einsamen, nur
und der österreichischen Herkunft gegeben, als welche ja im
langsam die Gedanken und Entschlüsse reifen. Mit fast wört¬
ganzen 19. Jahrhundert ein Nachzüglertum bedeutete: er bildet
die Fuge vom Spätrealismus der Saar, Anzengruber, Raabe,
licher Uebereinstimmung heisst es von Renata (146): „Denn
sie war in der Einsamkeit langsam von Gedanken und Ent¬
Fontane zum Frühnaturalismus und zur Hleimatkunst. Sein
Erstling, „Das Höferecht“, weist in Struktur, Motivik, Welt- und
schlüssen geworden.“ Iphigenie beschleicht (IV, 5) die Furcht,
dass der Fluch ihres Geschlechtes ewig sein könne. Renata
Menschenanschauung auf jene Vorgänger hin; „Am Wege
glaubt fest an eine vorherbestimmte Glücklosigkeit (148).“
sterben“ zeigt naturalistische Unerbuttlichkeit; die Spätwerke
bemühen sich um scharfe Wiedergabe einer Atmosphäle, sei's
Eine — bestimmt nicht vorhandene — Abhängigkeit von Storm
Wiens („Der Uebergang“), sei's der mährischen Heimat („Die
wird (S. 188) also begründet:
Hanna“). An diesen beiden Stätten, dem eigenen Lebensraum
„Wenn es in Davids Höferecht von Fanny Bermann
des Dichters, siedelt nahezu sein ganzes Werk; nur ein paar
heisst: -Sie fühlte sich heimatlos, und manchmal beschlich
historische Novellen sind in anderen Gegenden, meist Italiens,
sie ein Heimweh) (I, 129) — ähnlich drückt sich der Dichter
lokalisiert, von den Gegenwartsgeschichten die einzige, wenig
wiederholt aus —, so fällt uns unwillkürlich die Heimat¬
bedeutsame Erzählung „Woran starb Sionida“. Ausschliesslich
sehnsucht Stormscher Helden ein.“
in Wien spielen: „Ein Poet“, „Frühschein“, „Das königliche
Wo aber wirklicher Einfluss vorliegt, ja vom Dichter selbst
Spiel“, „Digitalis“, „Schuss in der Nacht“, „Die Troika“,
bezeugt ist, da möchte Groeneweg, originalitätssüchtig, ihn
„Der Talisman“, „Der Uebergang“; teils in Wien, teils in.
wegleugnen: Davids Abhängigkeit von C. F. Meyer, die doch
Mähren das Schauspiel „Ein Regentag“ und die Romane
mit Händen zu greifen, durch die Widmung eines Aufsatzes
„Höferecht“ und „Am Wege sterben“; letzterer ist ja nicht
(VII, 262) bestätigt ist; von Anzengruber, dem David eine
sowohl ein Wiener Roman als der Roman vom mährischen
eigene Schrift gewidmet und dessen Technik er als Dramatiker
Studenten in Wien. Nahezu alles, was David sonst geschrieben
und Romancier („Der Uebergang“ ist undenkbar ohne das
hat, ist in Mähren behelmatet.
„Vierte Gebot“) sich zu eigen gemacht hat, — wind als „Legende“
Es ist gewiss verdienstlich, das Werk dieses Heimatdichters
abgelehnt.
auf die bodenständigen Elemente hin zu untersuchen, auf seine
Das meiste Kopfschütteln erregt aber Groenewegs Bemühen,
Echtheit zu prufen; aber ist das nicht ein Unternehmen, das
Davids Werk mit ganz inkommensurablen Schrintdenkmäleln
bloss dem Kenner von Land und Leuten, dem Sohn dieser
zu vergleichen, wie mit denen des Hieronymus Lorm, des
E.de glücken kann? Bücherweisheit genügt da nicht, denn
Adalbert Stifter. Was sollte David, der sichtbarer- und ein¬
was der Dichter will und wi. kt, geht doch gerade im Eigentlichen,
gestandenermassen zur Philosophie zeitlebens gar kein Ver¬
im Besten veit hinaus über das, was die statistische, geographi¬
hältnis besass, mit dem mährischen Denker, was seine tragisch
sche, volk-kundliche Wissenschaft mit ihren gröberen Arbeits¬
zugespitzte, dramnatisch bewegte, impressionistisch-pittoreske
mitteln überhaupt erfassen kann. Groeneweg, der Davids Dar¬
Erzänlkunst, Satire im Sinne der Schillerschen Teiminologie,
stellung an den gedruckten Landeskunden der Vor- und Nach¬
mit Stifters plastisch-starter, episch-geruhiger Idyllik zu
kriegszeit misst, erinert mit solchen Vergleichen bisweilen an
tun haben?
jenen Reisenden, der, den Bädeker in der Hand, an die Sehens¬
Ich fürchte, zu solchen Albernheiten und Abwegen ist der
würdigkeiten herantritt, nicht um sie genau zu beschen, sondern
Verf. nicht aus eigenem Ungeschick gekommen, sondern ver¬
um betriedigt festzustellen, dass die Angabe in seinem Führer
führt durch eine Methode, die — das Buch ging aus dem Nym¬
stimmt. Andernorts wieder will der Verf. das Gras wachsen
weger Seminar von Wilhelm Kosch hervor — letzten Endes
hören, wenn er etwa in dem vom Dichter selbst ganz anders
auf Sauers Schule zurückführt. Denn wo Grocneweg selbständig
erklärten Titel der Novelle,Troika“ Einfluss eines kleinrussischen
forscht, macht er manchen guten Fund; so hat er wohl als
Volksliedes (S. 13), in dem rumänischen Schachmeister von
erster eine gewisse Verwandtschaft Davids mit Raabe auf¬
Königliches Spiel“ (den jeder Kenner Altösterreichs auf den
gezeigt und auf eine solche mit K. E. Franzos hingewiesen,
ersten Blick als rumänischen Juden agnosziert) eine „willkürlich
der ja gleich David ein innerhalb slawischer Umgebung in
zum Rumänen gemachte“ mährische Gestalt (S. 22), in dem
deutscher Kultur aufgezegener Jude war; nur wird leider auch
Gemeindekind Eduard Böhm einen Judensprössling (S. 29),
hier wieder innere Strukturähnlichkeit als äussere Beeinflussung
in der Russin von „Sionida“ eine tschechische Frau entlarven
missdentet.
zu können meint.
Wunderlicherweise hat sich der Verf. einen Vergleich
Mit derselben fleissigen, aber bedauerlich geistlosen Methode
entgehen lassen, der fruchtbarer gewesen wäre als die Mehr¬
wie hier Stamm und Landschaft, werden im zweiten Kapitel
zahl der überflüssigerweise von ihm vorgebrachten: den mit
die geschichtlichen, im dritten die gesellschaftlichen Elemente
Arthur Schnitzler. In Davids Erstlingswerk, dem 1890 als
von Davids Gesamtwerk herausanalysiert. Dies geschicht