VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1928–1931, Seite 38

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1931. Literaturblatt für vermanische und romanische Philologie. Nr. 1—2.
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Wramowitz“); V 285 und 350f. („Der Uebergang“): VI 39
Buch (und ein paar Jahre vorher als Zeitungsfeuilleton) er¬
(„Cvrill Walenta“). In „Am Wege sterben“ ist die leibliche
schienenen Roman „Das Höferecht“ erzählt die Heldin Fanny
Vereinigung (IV 201 f.) nicht einmal angedeutet, sie will er¬
dem verlassenen Jugendgeliebten Gustav Lohner von ihrem
raten sein, und nur aus einer nachträglichen Bemerkung (S. 203)
Leben an der Seite eines Hektikers, dessen verwöhnte Mätresse
erfährt der Leser, dass sich die weibliche Sonntagsbekanntschaft
sie geworden ist (I, 204 f.): „Es sei ihr gar so entsetzlich, an
dem Studenten Siebenschein hingegeben hat. Besonders be¬
Friedrich von Eck gebunden zu sein; diese lebendige Mahnung
zeichnend für die — währender Zeit gewiss sympathische —
an den Tod, der Tag für Tag nachrechne, wieviel von jener
unsentimentale Sachlichkeit Davids in sexuellen Dingen ist
Frist, die er noch zu leben habe, bereits verstrichen sei ... Nur
eine Stelle der „Hanna“ (VI 163). Dort eryählt Florian Peter¬
die Originalität seiner Werbung, die offene Erklärung, mit der
silka von seiner Liebschaft mit Hanka Jefab: „Dann hat sie
er vor sie hintrat: er wisse, er habe höchstens noch fünf Jahre
sich mir gegeben. Ohne dass wir einmal davon gesprochen haben.
zu leben, ob sie ihm helfen wolle, diese geniessend hinzubringen,
wir hätten uns lieb oder wie das einmal mit uns werden will.
habe sie bestochen.“ Es ist das Problem von Schnitzlers be¬
Es war eben ihre Zeit gekommen und der Mann war da, zu dem
rühmter Jugendnovelle „Sterben“. Aber als David diese beim
sie gehört hat.“ Das verhält sich zu Schnitzlers überhitzten
Erscheinen aus des Dichters Hand empfing, hatte er offenbar
Verführungsszenen wie schlichte Wiesenblumen zur treibhaus¬
jene Stelle nicht mehr im Gedächtnis, sonst hätte er doch wohl
gezüchteten Orchidee.
mit einem Worte ihrer Erwähnung getan in dem kurzen Schreiben,
Aber noch wichtiger und gewinnbringender als der Ver¬
das für die Gabe also dankte!:
gleich mit andern Autoren, sei die Frage danach auch richtig
(Wien! 23./12. (18/94.
gestellt und beantwortet, wäre die Anwendung der kompara¬
Werther Herr Doctor!
tiven Methode innerhalb des Davidschen Werkes selber gewesen:
Ich habe Sterben bis nun zwei mal gelesen, und werde wohl
die Untersuchung, nicht welche Figuren und Motive er von
noch darauf zurückkommen. Es ist eine höchst tüchtige und
anderwärts genommen haben könnte, sondern welche tat¬
eine wirklich merkwürdige Arbeit; in der Analyse von wirk¬
sächlich bei ihm selber wiederkehren. Die Zunftgenossen
samster Feinheit und Tiefe. Bewundernswerth ist die Kunst,
merken, dass ich damit eine Arbeitsweise empfehle, die ich
mit welcher Sie den zeitlich so knappen und doch für die Vor¬
bereits wiederholt mit Erfolg angewendet und in der Walzel¬
gänge fast zu weit gesteckten Rahmen mit Leben zu füllen
festschrift von 1924 auch methodologisch zu fundieren gesucht
wissen. Es ist ein vollkommen zielbewusstes Schlendern; was
habe. Für die erlebnisbedingte Wiederholung und Beharrsam¬
Abschweifung erscheinen könnte, führt nur desto sicherer zum
keit typischer Motive bei jedem Dichter kann ich David als
letzten Ende. Manchmal möcht’ ich mir mehr Leidenschaftlich¬
bewussten Kronzeugen anführen. In dem bedeutenden Essay
keit verlangen: besonders am Schlurse könnte ein stärker
„Vom Schaffen“ (Jena 1906, S. 60) bekämpft er das Miss¬
Temperament durchbrechen. Aber: Sie haben in dieser Arbeit
verständnis, Wiederkehr von Motiven als Erlahmen der Dicht¬
Zeinen mächtigen Ruck vorwärts gethan und will ich Ihnen
kraft zu deuten, und setzt hinzu: „Ein Motiv, lebendig erfasst
sagen, in wie ferne mir Arbeit das Höchste dünkt: im Sinne
und im Tiefsten ergriffen, kann durch ein ganzes Leben schreiten,
der Arbeit an sich selbst. Da nun sind Sie tüchtig und ehrlich
zu immer erneuter Betrachtung und Gestaltung zwingen.“
am Werke und darum rücken Sie vor in schönen Erfelgen und
Mir steht hier nicht der Raum zur Verfügung, um ein¬
zu einer ersten Stellung, auf die Sie heute schon Anspruch
lässlich zu zeigen, in welchem Masse dies für David zutrifft.
Haben. Es grüsst und begrüsst Sie herzlichst
Ich deute nur kurz an, wie der schwere Lebenskampf des armen
Ihr
und durch Armut im Studium gehemmten Dichters sich aus¬
David.
prägt zu der bunten Reihe gefährdeter oder gestrandeter
Studenten in den Romanen „Höferecht“, „Blut“, „Am Wege
Mit Schnitzler berührt sich David auch sonst in manchem
sterben“; nehmen sie dort den Vordergrund ein, so spricht
Motiv — so ist etwa der Selbstmord bei ihm nahezu so häufig
etwa i“ der „Troika“ der Eryähler ganz nebenher von einem
wie bei jenem (ich zähle eif Novellen und ein eryählendes Ge¬
Freunde, „dem es mit dem Studium schief ging. Er musste ein
dicht) —, aber wie die beiden ihre Motive behandeln, das geht
Mädel heiraten und so ist er kurzen Weges mit ihr ins Elend
weit auseinander. Ein Beispiel: In Schnitzlers „Berta Garlan“.
und zur Bühne gelaufen“ (V 21). Das Gegenstück zu diesen
so gut wie in Davids „Das Ungeborene“ gibt der Gatte die nach
verlorenen männlichen Existenzen bildet der Reigen mehr oder
stärkeren Sexualgenüssen süchtige geliebte Frau ohne Wider¬
minder verkommender, in Schande, Freitod oder gar beidem
stand an den anderen hin: dort (Anna Rupius) ist ungesättigter
endender Mädchen; auffallenderweise tragen die Heldinnen
Sinnendurst der Antrieb, hier (Ludmilla Gazda) das natürlich¬
von „Blut“ und „Stromabwärts“, die beide draussen in der
gesunde Verlangen nach Mutterschaft. Und nicht nur das unter¬
Welt, dahin es sie aus dem schützenden Heim lockt, kläglich
schiedliche Naturell macht sich in der abweichenden Tönung
Schiffbruch leiden, auch den gleichen Namen: Gabi. Durch
und Gestaltung gleicher Motive geltend, auch der Gegensatz
nahezu alle bedeutenderen Dichtungen Davids wandert die
der örtlichen und sozialen Herkunft: Der Grossstädter und
scharf gesehene Gestalt der tüchtigen, aber auch selbstgerechten
Patrizier Schnitzler-gibt die Reize und Lockungen Wiener Ge¬
Hausfrau, die für Gatten oder Kinder durch ihre Kälte, Strenge.
nusslebens, den melancholischen Leichtsinn eines der Existenz¬
Härte verhängnisvoll wird: Marianne Lohner („Höferecht“
sorgen und Arbeitsmühen überhobenen, darum aber auch
Salome Lohwag („Blut“), Katharina Grenzer („Die Schwachen“),
sinnleeren Daseins wieder; der Dörfler, Kleinstädter, Proletarier
Helene v. Bauer („Regentag“), Frau v. Mallovan („Am Wege
David die Gefahren, Leiden, Schrecken, die unselige Gift¬
sterben“), Poznianskys Gattin („Troika“), Katharina Mayer
wirkung der Metropole auf den in ihr Netz geratenen naiven
(„Uebergang“) und noch manche andere.
Provinzler. Auch der Pessimismus, den beider Werk ausatmet,
Von Handlungsmotiven hat das der feindlichen (oder doch
ist ungleicher Art und Herkunft: bei Schnitzler ein Pessimismus
ungleichen) Brüder den Dichter am beharrlichsten beschäftigt:
der Blasiertheit, der nach Erschöpfung aller Genüsse das Leben
inun r wieder kommt er darauf zurück und wandelt es ab in
schal geworden ist: bei David ein Pessimismus der Lebens¬
allen erdenklichen Variationen: bald muss ein körperlich, geistig,
schwere, aus härtesten Kämpfen und schwersten Niederlagen
seelisch begabterer jüngerer Spross dem Hasse des schlechter
geboren.
ausgestatteten älteren erliegen („Höferecht“), bald der aus Güte
Womöglich noch bezeichnender ist die unterschiedliche
schwäche Aeltere einem glänzenderen, aber charakterlosen
Behandlung des Erotischen. Wird dieses bei Schnitzler fast
Geschwister („Blut“), bald der von Natur wohlausgestattete
immer.schwül empfunden und dargestellt, mit Vorliebe in
Erstgeborene dem ob seiner Minderwertigkeit von der Mutter
dlen Mittelpunkt gerückt und möglichst in langen Tönen aus¬
geschützten Nachkömmling („Die Schwachen“); noch in „For¬
gehalten. so übergeht David dergleichen absichtlich mit keuschem
tunats Tochter“ treffen wir das ungleich geartete, wider¬
Stillschweigen. So wird in „Blut“ z. B. (II 325, 327) kaum an¬
strebende Brüderpaar und, wie sonst auch, zwischen ihnen das
gedeutet, dass in der verhängnisvollen Sommernacht Franz
von beiden begehrte Weib. Mord und ein als Strafe für die
Rüttemann die Gabi Wagner zum Weibe gemacht hat. Wieder¬
Bluttat erlittener oder auch freiwillig gewählter Sühnetod
holt werden ähnliche Situationen mehr verhüllt als dargestellt:
stehen gern am konsequenten Ausgang so schwerer Konflikte,
I 166 („Höferecht"); II 14 („Petre quo vadis“): IV 101 („Das
sie erscheinen auch in den des Brudermotivs entbehrenden Er¬
Wunder des heiligen Liborius“); V 153f. („Die Mühle von
zählungen „Totenlied“, „Am Wege sterben“, „Uebergang“,
„Cvrill Walenta“, „Rüzena Capek“. In „Blut“ kommt der
Herr Dr. Arthur Schnitzler war so gütig, mir seine ge¬
Schürzenjäger Franz Rüttemann beim Rettungsversuch der
samte Korrespondenz mit David zur Einsicht und Benützung
vor seiner Nachstellung ins Wasser geflüchteten Gabi um:
anzuvertrauen.