VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1931–1933, Seite 10

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„OBSERVER“
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WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Neue Freie Fresse. Wier
vom: 23 „H 193
Worüber lachen wir?
Witz und Humor.
Von Dr. Alfred Winterstein.
„Wo er einen Spaß macht, liegt ein
Problem verborgen.“
Goethe über Lichtenberg.
Freuds Buch über „den Witz und eine Beziehung
zum Unbewußten“ (1905) ist in seiner psychologischen Be¬
deutsamkeit selbst innerhalb des Kreises der analytischen
Autoren zumeist nicht entsprechend gewürdigt worden.
Theodor Reik ist der einzige, der selbständig die For¬
schungen seines Lehrers auf diesem Gebiete nach verschiedenen
Richtungen fortgesetzt hat, wovon seine beiden Bücher „Lust
und Leid im Witz“ (Internationaler Psychoanalytischer
Verlag, Wien, 1929) und das im Jahre 1933 unter dem
Titel „Nachdenkliche Heiterkeit“ (ebenda) ver¬
öffentlichte Zeugnis ablegen. In dem ersten Werke versucht
Reik, durch Analyse des einzelnen Witzes und des Witzes
als seelischen Phänomens überhaupt darzulegen, aus welcher
Quelle die unbewußte Lust an ihm herrührt und wieviel
unbewußtes Leid er verheimlicht und gleichzeitig zum Aus¬
druck bringt. Es handelt sich bei der Psychologie des Witzes
eben nicht nur um ästhetische Probleme; seine analytische
Untersuchung ergibt über den besonderen Anlaß hinaus einen
wichtigen Beitrag zur Erforschung des unbewußten Seelen¬
lebens. Auch in dem neuen Buche Reiks, das eine Reihe
kleinerer Arbeiten in „gelockerter Sonatenform“ zusammen¬
fügt, leitet die Analyse der verschiedenartigsten Beispiele aus
dem Reiche des Komischen unmittelbar zur Erkenntnis der
sehr ernsthaften seelischen Hintergründe über, aus denen diese
Heiterkeit erwächst; wir sehen Triebregungen und Arbeits¬
weisen des Unbewußten auch hier als die eigentlich wirksamen
Mächte am Werk. Die Spannweite des Bogens reicht „vom
Witz, der verhöhnt, bis zum Humor, der versöhnt“; sie um¬
faßt auch die beiden verwandten Begriffe der Ironie und
des Sarkasmus. Interessant ist die von Reik aufgezeigte
Verbindn zwischen gewissen Ausdrucksformen des Witzes
und der unbewußten Bedeutung zwangsneurotischer Sym¬
ptome. Die Darstellung durch das Gegenteil und die Ueber¬
treibung, der latente Hohn, der sich zur Aeußerung zumeist
der Anspielung bedient, endlich die aggressiven Triebimpulse,
sind Züge, die beispielsweise den Zwangsgedanken und der
dem Witz benachbarten Ironie gemeinsam sind. Eine noch
schärfere Ausdrucksart als die Ironie ist der Sarkasmus
(das Wort leitet sich von dem griechischen sarkazo —
„ich zerfleische“ her). Reik bezeichnet ihn als den typischen
Ausdruck des Wortkannibalismus und erinnert bei dieser
Gelegenheit an die sarkastischen Reden Shylocks, der ein
volles Pfund Fleisch aus seines Schuldners Leib zu schneiden
begehrt. Von dem analytischen Autor darüber belehrt, welchen
Einfluß ehemalige, tiefverdrängte Regungen und Denk¬
weisen auf das Zustandekommen der komischen Lust haben,
werden wir auch nicht erstaunt sein, zu hören, daß das
Kindische, welches der Erwachsene in scherzhaften oder
scherehaft sein sollenden Gebilden künstlich produziert, eine

übrigen Versuchen anreiht, mit den traumatischen Eindrücken
des Lebens fertig zu werden. Die Auslassung, die Ersparung
von Hemmungsa swand ist neben dem Ueberraschungs¬
moment eine wei##e wesentliche Voraussetzung der Witz¬
wirkung. In dem letzten Kapitel des Buches will dann Reik
den Schritt zurückverfolgen, der vom Schrecklichen oder
Erhabenen zum Lächerlichen geführt hat. Er knüpft daher
an die eben skizzierte Theorie der Lustwirkung des Witzes
an und bemüht sich um ein psychologisches Verständnis der
Art jener verpönten Vorstellungen, die beim Hören eines
Witzes den unbewußten Schreckaffekt erregen. Die ersten
beiden Aufsätze dieser Reihe „Das Unbewußte in der Zote“
und „Die Zote in Goethes „Faust“ bilden, obwohl auf das
gleiche Thema gerichtet, trotzdem nur eine lose Einheit. Selbst
die witzige Zote, die so offensichtlich sonst Verleugnetes dar¬
bietet, birgt nach Reiks Ausführungen in der ersten Arbeit
noch Unbewußtes. In der zweiten Studie versucht er, nicht
ganz im Einklang mit dem Titel, weniger das Element des
(beabsichtigten) Zotigen im „Faust“ (namentlich im ersten
Teil) nachzuweisen als die Goethe selbst größtenteils ver¬
borgene sexuelle Bedeutung des zweiten Teiles der Dichtung.
Auch die Eignung mancher feierlicher „Faust"=Verse zu an¬
stößigen Zwecken, die die Erfahrung innerhalb und außer¬
halb der psychoanalytischen Praxis bekräftigt, gibt dem Ner¬
fasser Anlaß zu einigen psychologischen Vemernungen. Ich
besorge, daß eine Betrachtungsweise, die sich dem verdrängten
Unbewußten des Dichters und nicht der gegenständlichen
Bedeutung des Kunstwerkes zuwendet, keineswegs nach dem
Geschmack des Lesers sein wird. Dieser Leser wird aber
durch die nachfolgende dichterische Variation über die beiden
Themen Tod und Liebe (In memoriam Arthur
Schnitzler) entschädigt. Hier wird gezeigt wie Schmiler
von der Höhe seiner Erkenntnis## einem schwermiligen.
Lächeln nicht nur auf die Liebe, sondern auch auf den Tod,
den „großen Wurstel“, hinabgeblickt und doch gewußt hat,
daß die Sehnsucht, geliebt zu werden, und die Angst zu
sterben, die Brennpunkte all unseres Denkens und Tuns
sind. Eine Abhandlung über „Humor und Gnade“ bildet
gleichsam den Schlußakkord des musikalisch komponierten
Werkes. Freuds Humoruntersuchung wird darin nach einer
bestimmten Seite fortgeführt. Die humoristische Einstellung,
die mit einem Lächeln das Schicksal zu besiegen vermag, ist
gewissermaßen Sache der Gnade. Reik meint, man könnte
den Humor als einen Gnadenakt des Ueber=Ichs, des ver¬
innerlichten Abkömmlings der Elterninstanz, auffassen.
Für den analytisch Unerfahrenen bildet das Buch sicher¬
lich keine leichte Lektüre, aber der stoffliche Reiz der dem
Versasser verschwenderisch zur Verfügung stehenden Beispiele
aus dem Umkreis des Komischen wird auch jenen fesseln, der
den scharfsirnegen Gedankengängen Reiks nicht zu folgen
imstande oder gewillt ist.