VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1931–1933, Seite 23

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2. Cuttings
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erzählen, aber es ist eine Wortkunst, wo
leise Ruf Verweile nochr, mit welchem
Stümperei sich breit niederlassen würde,
echte Dichtung Drang und Sehnelligkeit
und ist doch nicht sachlich und scelenlos;
von Herz und Gedanke immer noch be¬
len
denn hier soll das Leise gehört werden,
siegt hat, um die Seele mit Zeitlosigkeit
ohne dass es laut würde und man es
zu erfüllen.
merkt, und ein Zauber beginnt, eine Er¬
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regtheit, die von jeglicher Absicht unbe¬
Ich las übrigens diesmal von Schnitz¬
lastet bleibt bedeutungsschwer zu machen,
lers erzählender Dichtung nur, was ich
was, so gelähmt in seinem zarten Leben,
früher und, wie ich glaube, eben zu früh
kalt und starr würde wie alles, das sein
schon einmal gelesen hatte, nicht den
Mass verkennt.
„Doktor Gräslers und auch (Fräulein
Schnitz-
Eisen nicht, die ich den Vorzug hatte erst
ler schon
Es kann ein Zeichen künstlerischer
später zu-Gesicht zu bekommen, als ich
ch wusste
Kraft sein, in der Wahl der Motive beharr¬
solche Bücher schon anders zu lesen be¬
die Dinge
lich beim Gleichen zu bleiben, ja sogar,
gann. Gleichviel, der Teil aus Schnitzlers
sichern wie
wie Schnitzler es tut, bei einem oft gleich
Novellenwerk, der von =Sterbenn (1892)
anen
Banalen, — weshalb auch jene Weltleute,
bis ungefähr zum Mörders (1910) reicht,
en
wenn es sie überhaupt als Leser noch gibt,
würde genügen einen dichterischen Ruhm
immer noch der Meinung sein werden,
zu sichern, und für mich ist eDas neue
hier wurden ihre Banalitäten so richtig
Lied (1905) voll des reinen Eigentons, der
genommen, wie sie sie richtig nehmen.
jede Grösse ausmacht, und im Besonderen
Aber es kommt darauf an, dass ein Künst¬
eine Höhe des erzählenden Impressionis¬
ler stark und sicher genug ist, einen auch
müs überhaupt. =Und er dachte an einem
vom flüchtigsten Leben in Lust und
Morgen, an dem er mit ihr denselben Weg
Schmerz, Freiide und Traurigkeit fast
gegangen war, den er jetzt ging, dem leise
cht
bis zum Ueberdruss vernutzten Gegen¬
rauschenden Wald entgegen, der dort
Ende
stand vom Ueblichen zu differenzieren:
chen auf dem Hügel anfing. Sie waren
schreckend
es kommt darauf an, dass er eine neue
beide müde gewesen, denn sie kamen ge¬
lichen wie
Realität daraus macht. Denn das Eigen¬
radenwegs aus dem Kaffechaus, wo sie
tümliche an jeder Kunst ist, nicht nur zu
bis zum Morgengranen mit der ganzen
nders, ver¬
erregen und das Herz zu verbrauchen,
Volkssängergesellschaft zusammengesessen
hmal fast
wie es die übliche Wirklichkeit tut, son¬
waren; nun legten sie sich unter eine
sich ich er¬
dern zu erregen und zu beruhigen in
Büche am Rand eines Wiesenhanges und
ge geheim¬
Einem, und sei es, dass dieser Zustand
schliefen ein. Erst in der heissen Stille
ben erzählt
mit Ironie verwechselt werden kann, was
des Sommermittags wachten sie auf, gin¬
äbe viel zu
immer wieder geschicht. Aber schon aus
gen noch weiter hinein in den Walll,
all diesen
der Wahl der Motive, dieser immer glei¬
plauderten und lachten den ganzen Tag,
Leiden
n.
chen und so gleichgültigen Liebeleien,
ohne zu wissen warum, und erst spat
en Dingen,
Betrugsaffaren, diesen Leiden und Krank¬
abends zur Vorstellung brachte er sie
lichter um¬
heiten entstcht bei Scimitzler eine Mono¬
wieder in die Stadt.... Das ist sehr
n bis zur
tonie von Schvermut und Ernst, aber von
so erzöhlt 1 sparlich im Verwenden erzählender Mit¬
Vunder, der ## tel und es scheint vielleicht einfach, so zu A wunderbarer schwermut und wunderba¬
rem Ernst; denn was jeder Tag berichtel
und das kann in seiner gleichgültigen
Wiederholung schwermütig und ernst ge¬
nug stimmen —, hier wird es so erzählt,
dass man weiss, es ist der Ton einer ein¬
zeinen Seele, oft kaum merklich in ihrer
Individualität, aber so geheimnisvoll ei¬
gen sich mitteilend, dass man sich dem
abstumpfenden Ueblichen nicht mehr
überantwortet fühlt.
Schnitzler war Arzt. Es ist viel darüber
gesprochen worden, seine Art Dichtkunst
sei einzig und allein seinem ärztlichen
Wesen zu verdanken. Das schulmeistert
genau so enge und klassifiziert um jeden
Preis, wie wenn der Genius eines Joseph
Conrad seinem Seefahrertum, die engol¬
hafte Wildheit eines Rimbaud seinem äus¬
seren Schicksal verschrieben werden.
Gewiss, Schnitzler führt Figuranten
vor, in deren Seelenfälle ein Arzt sich bes.
ser auskennen mag als ein Nichtarzt. Was
aber tut er mehr, als Arzt, als dass er
durchblicken lässt, dass ein Todeskandi¬
dat dem hämischen Ressentiment unter¬
worfen ist, seinen baldigen eigenen Tod
auszubeuten; Schnitzler lässt nur durch¬
blicken, dass es sich hier um Zuspätge
kommene handelt, die an verwundeter
Geltung leiden, dort Angstverhaftete,
dort um Willenskranke oder Erotomane
Das aber lässt nur durchblicken, das ver¬
rät nicht einmal, dass er auf Heilung
einnt, was sonst das Vornehmste wäre
für einen Arzt, — und erklärt auch kaum,
wie ein Arzt erklären würde, sondern ver¬
hält sich wie ein Dichter, der eher da¬
durch erklärt, dass er nicht erklärt, des¬
sen besondere Fähigkeit es ist, jeder Er¬
klürung entsagen zu können.
(Schluss folu#
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