box 38/3
2. Cuttings
*
Seiissad Schhescde
ARTHUR SCHNITZLER
Von Richard Specht
durchzogen werden, voller Scheidegrüße und Melancholien des
„Und klagt Ihr wieder Eure krit'sche Hot,
Ich wüßte nur von Lieb' und Spiel und Cod
überreifen herzens, und es ist ein hinreißend leichtschwebender,
Das wohlvertraute Lied Euch vorzusingen —
allem tief fragwürdigen, wirklich: der Frage würdigen lächelnd
So seid getrost: in diesen ew'gen drein
zugewandter Geist, dessen Lichter über sie hinsprühen; ein Geist
Ist alle Wahrheit und ihr Spiegelschein
der gewissensvollen Skepsis, der distanzierenden Grazie und
Und Sinn und Seel' von allen Erdendingen.“
einer milden Ironie von bezwingendem Sauber.
Buch der Sprüche und Bedenken.
Mit diesem Geist hat Arthur Schnitzler auch seine Gestalten
Arthur Schnitzlers Werk ist das Abschiedslied vom
beschenkt; diese unerhört lebendigen Gestalten einer kaum noch
alten österreich. Ein wundervoller herbstgesang
entschwundenen Zeit und einer Gesellschaftsschichte, die bei aller
A jenes Landes, das in der Dorkriegszeit ein Schein¬
zweifelhaften Moral und aller Unverantwortlichkeit in mensch¬
stdasein führte und das jetzt, nach seinem äußerlichen
lichen und sozialen Dingen doch eine so unvergleichliche
Zerfall, in herzen und in der Seele weniger auser¬
Kultiviertheit des Betragens, eine so gute haltung in der
wählter Uenschen sein wahres und gültiges Leben lebt. Und
Konversation, einen so unwiderstehlichen Stil der Unaufrichtig¬
dazu das wehmutvoll bezaubernde Abbild Wiens, seiner Donau¬
keit und Derdorbenheit und in ihren anziehenden Figuren
landschaft und Rebengelände, seiner kühlen Barockpaläste und
einen solchen Reiz der unpathetischen, unaufdringlichen, herz¬
seiner alten Gassen und Plätze, der goldig grünen, heiß durch¬
lichen Empfindung hat, daß man es doch beklagen muß, wenn
sonnten Waldwege seiner hügelgegenden, seiner ganzen, von
so viel angenehme, mühelose Wohlerzogenheit, solcher Anstand,
Kirchenglocken, Brunnenrauschen und Buschenschenkenliedern
so viel Gefühl für gute
durchklungenen Atmosphäre
Form und eine fast sportliche
und seiner bürgerlich patrizi¬
Bravour des guten Tons ver¬
schen Gesellschaft, die freilich
schwinden mußte, um einer
seit den Tagen des Umsturzes
verpöbelten Uenschheit Platz
derart umgeschichtet und in
zu machen, die einem ihre
ihren Verkehrsformen, ihren
Aufrichtigkeit und Dorurteils¬
Sitten und der ganzen Art
losigkeit mitten ins Gesicht
ihrer Lebensführung und Le¬
spuckt. Oder besser: man
benswünsche so sehr verändert
müßte es beklagen, wenn
scheint, daß man auch den
diese Gesellschaft wirklich so
in
Schöpfungen gegenüber,
gewesen wäre, wie sie sich in
denen sie zu dauerndem Da¬
Schnitzlers Komödien, in den
sein aufbewahrt ist, anders
gespielten und den bloß er¬
eingestellt ist als zur Zeit
zählten, gespiegelt hat und
ihrer Entstehung: das Gesetz
wenn man von diesem Bild
der Verwandlung gilt auch
nicht alles abziehen müßte,
hier. Man empfindet gerade
was dem Dichter allein ge¬
jene dramatischen und erzäh¬
Trotzdem: er hat das
hört.
lenden Werke, mit denen
jener Jahre nur be¬
Bild
Arthur Schnitzler damals in
reichert, nicht gefälscht — und
volle Gegenwart gegriffen und
es bleibt bestehen. Gerade
sie in der einzigartigen, geistia
weil Schnitzler niemals ein
leuchtenden, ironischen Anmut
Arzt seiner Zeit sein und nie¬
seines Wesens gestaltet hat,
mals als Satiriker, nicht ein¬
gleichsam schon als historische
mal als Sittenschilderer und
Stücke und Novellen; wäh¬
nur als Gestalter besonderer
rend seine wirklichen ge¬
Menschen und Schicksale,
schichtlichen oder auch nur in
Wiener Uenschen und Wiener
früheren Epochen mit erfun¬
Schicksale zumeist, schaffen
denen Stofflichkeiten spielen¬
wollte, hat sein Werk die
den, vollends aber jene Dich¬
Gültigkeit des Dokumenta¬
tungen, die ganz zeitlos sind
rischen. Und hat Dauer. Die
und ewige Menschenprobleme
Dauer der Wahrhaftigkeit und
im Gleichnis zeigen, in leben¬
einer Künstlerschaft, die jeder
diger Fülle und der vollen
Erscheinung das Stigma des
Gegenwartskraft des Dauern¬
Lebens ausprägt.
den inmitten alles Wechsels
Bei alledem: es ist kein Zu¬
und aller Wiederkehr des
fall, daß dieser Dichter auch
von Anbeginn Beständigen
ein Arzt war und geblieben
zu jedem sprechen. Es ist
ist; immer wieder befruchtet
eine entzückende, ahnungsvoll
der eine den anderen. Schon
schwermütige, traurig - süße
Guttar
—. der gleichsam diagnostische
Melodie, von der diese Werke
2. Cuttings
*
Seiissad Schhescde
ARTHUR SCHNITZLER
Von Richard Specht
durchzogen werden, voller Scheidegrüße und Melancholien des
„Und klagt Ihr wieder Eure krit'sche Hot,
Ich wüßte nur von Lieb' und Spiel und Cod
überreifen herzens, und es ist ein hinreißend leichtschwebender,
Das wohlvertraute Lied Euch vorzusingen —
allem tief fragwürdigen, wirklich: der Frage würdigen lächelnd
So seid getrost: in diesen ew'gen drein
zugewandter Geist, dessen Lichter über sie hinsprühen; ein Geist
Ist alle Wahrheit und ihr Spiegelschein
der gewissensvollen Skepsis, der distanzierenden Grazie und
Und Sinn und Seel' von allen Erdendingen.“
einer milden Ironie von bezwingendem Sauber.
Buch der Sprüche und Bedenken.
Mit diesem Geist hat Arthur Schnitzler auch seine Gestalten
Arthur Schnitzlers Werk ist das Abschiedslied vom
beschenkt; diese unerhört lebendigen Gestalten einer kaum noch
alten österreich. Ein wundervoller herbstgesang
entschwundenen Zeit und einer Gesellschaftsschichte, die bei aller
A jenes Landes, das in der Dorkriegszeit ein Schein¬
zweifelhaften Moral und aller Unverantwortlichkeit in mensch¬
stdasein führte und das jetzt, nach seinem äußerlichen
lichen und sozialen Dingen doch eine so unvergleichliche
Zerfall, in herzen und in der Seele weniger auser¬
Kultiviertheit des Betragens, eine so gute haltung in der
wählter Uenschen sein wahres und gültiges Leben lebt. Und
Konversation, einen so unwiderstehlichen Stil der Unaufrichtig¬
dazu das wehmutvoll bezaubernde Abbild Wiens, seiner Donau¬
keit und Derdorbenheit und in ihren anziehenden Figuren
landschaft und Rebengelände, seiner kühlen Barockpaläste und
einen solchen Reiz der unpathetischen, unaufdringlichen, herz¬
seiner alten Gassen und Plätze, der goldig grünen, heiß durch¬
lichen Empfindung hat, daß man es doch beklagen muß, wenn
sonnten Waldwege seiner hügelgegenden, seiner ganzen, von
so viel angenehme, mühelose Wohlerzogenheit, solcher Anstand,
Kirchenglocken, Brunnenrauschen und Buschenschenkenliedern
so viel Gefühl für gute
durchklungenen Atmosphäre
Form und eine fast sportliche
und seiner bürgerlich patrizi¬
Bravour des guten Tons ver¬
schen Gesellschaft, die freilich
schwinden mußte, um einer
seit den Tagen des Umsturzes
verpöbelten Uenschheit Platz
derart umgeschichtet und in
zu machen, die einem ihre
ihren Verkehrsformen, ihren
Aufrichtigkeit und Dorurteils¬
Sitten und der ganzen Art
losigkeit mitten ins Gesicht
ihrer Lebensführung und Le¬
spuckt. Oder besser: man
benswünsche so sehr verändert
müßte es beklagen, wenn
scheint, daß man auch den
diese Gesellschaft wirklich so
in
Schöpfungen gegenüber,
gewesen wäre, wie sie sich in
denen sie zu dauerndem Da¬
Schnitzlers Komödien, in den
sein aufbewahrt ist, anders
gespielten und den bloß er¬
eingestellt ist als zur Zeit
zählten, gespiegelt hat und
ihrer Entstehung: das Gesetz
wenn man von diesem Bild
der Verwandlung gilt auch
nicht alles abziehen müßte,
hier. Man empfindet gerade
was dem Dichter allein ge¬
jene dramatischen und erzäh¬
Trotzdem: er hat das
hört.
lenden Werke, mit denen
jener Jahre nur be¬
Bild
Arthur Schnitzler damals in
reichert, nicht gefälscht — und
volle Gegenwart gegriffen und
es bleibt bestehen. Gerade
sie in der einzigartigen, geistia
weil Schnitzler niemals ein
leuchtenden, ironischen Anmut
Arzt seiner Zeit sein und nie¬
seines Wesens gestaltet hat,
mals als Satiriker, nicht ein¬
gleichsam schon als historische
mal als Sittenschilderer und
Stücke und Novellen; wäh¬
nur als Gestalter besonderer
rend seine wirklichen ge¬
Menschen und Schicksale,
schichtlichen oder auch nur in
Wiener Uenschen und Wiener
früheren Epochen mit erfun¬
Schicksale zumeist, schaffen
denen Stofflichkeiten spielen¬
wollte, hat sein Werk die
den, vollends aber jene Dich¬
Gültigkeit des Dokumenta¬
tungen, die ganz zeitlos sind
rischen. Und hat Dauer. Die
und ewige Menschenprobleme
Dauer der Wahrhaftigkeit und
im Gleichnis zeigen, in leben¬
einer Künstlerschaft, die jeder
diger Fülle und der vollen
Erscheinung das Stigma des
Gegenwartskraft des Dauern¬
Lebens ausprägt.
den inmitten alles Wechsels
Bei alledem: es ist kein Zu¬
und aller Wiederkehr des
fall, daß dieser Dichter auch
von Anbeginn Beständigen
ein Arzt war und geblieben
zu jedem sprechen. Es ist
ist; immer wieder befruchtet
eine entzückende, ahnungsvoll
der eine den anderen. Schon
schwermütige, traurig - süße
Guttar
—. der gleichsam diagnostische
Melodie, von der diese Werke