VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 5

2. Guttings
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deres Recht, das Wort zu ergreifen. Er hat es orga¬
nisirt. Lange bevor eine Einigung der verschiedenen
suchenden Elemente im Anzuge war, hat er, von franzö¬
sischen Einflüßen ausgehend, das Sinnlich=Uebersinnliche
als Ueberwindung des Naturalismus gepriesen. In
amusanter Weise setzte er in seiner Conferenee aus¬
einander, wie sich die Wiener „junge Schule“ aufgethan
hat: zuerst nach der richtigen Wiener Art im Caféhause,
und zwar in dem berühmt gewordenen „Grünsteidl“,
dann in stillen Zusammenkünften bei Arthur Schnitzler.
Da brachten sie seltsame Reime auffällige Adjective, und
wer nicht das vorzubringen hatte, doch wenigstens eine
eigenartige Cravatte und eine Stirnlocke. Ihre Absicht
war zunächst, anders zu sein als die Anderen, und all¬
mälig bildete sich mit Bewußtsein der Grundgedanke
heraus, Wienerisch, österreichisch zu sein. Bahr meinte,
daß Grillparzer und Saar gewiß auch Wiener sind, aber
doch nicht so bewußt als die junge Schule. Schade nur,
daß Hermann Bahr Raimund, Nestroy und Anzengruber
aus dem Spiele gelassen. hat, denen man das richtige,
bewußte Wienerthum gewiß nicht absprechen kann. Dieses
—Soncordia“=Vortrag. Am Sonntag sprach Wienerthum nun ist das Gepräge, auf das am meisten
Hermann Bahr über „Jung=Oesterreich“ oder, wie Werth gelegt wird, und. von diesem Standpunkte aus
der sein Thema näher präcisirte, Jung=Wien. Trotz der wird Manches gelobt und anerkannt, was anderswo
gleichzeitigen großen Veranstaltungen, welche viel Pu=eben wegen dieses besonderen Duftes nicht gewürdigt?
blienm anzogen, hatte sich eine sehr zahlreiche Zuhörer= werden kann. Obn daran etwas Großes sei, fragt
schaft eingefunden, um den bekannten Schriftsteller per= Bahr, und antwortet selbst: Die „jungen Wiener“ haben
sönlich kennen zu lernen. Und hier gilt das „persönlich“es verstanden, das Dichten wieder in die Mode zu
noch in ganz besonderem Sinne. Hermann Bahr ist es bringen; sie verdrängen Niemanden, und wenn sie nicht
nicht nur gelungen, durch seine wirklich geistvollen Essays das Große, im alten Style Bedeutende bieten, so geben
und Kritiken, durch seine kühn vorwärts dringende pole= sie doch etwas Achtenswerthes überhaupt. Aus diesem
mische Art die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, Grunde verlangt er für die Leistungen von Jung=Wien
sondern — und er gesteht es kokett ganz offen ein — auchs etwas Achtung und bischen Neigung, Nun, was die
durch die äußere Form seines Gehabens das Interesse Achtung und Reigung anlangt, so haben sich die besten
weiter Kreise auf sich zu lenken. Nun, es ist wirklich Köpfe von Jung=Wien über Mangel daran nicht zu be¬
etwas Ungewöhnliches, was er in seinem Vortrage bietet. klagen. Arthur Schnitzler vor Allen hat sich den Boden
Seine Darstellung ist ohne Zwang, untermischt mit vollständig erkämpft, und von Hugo von Hofmannsthal
kleinen Künsten, die ihre Wirkung nie verfehlen; sein spricht man doch überall mit Achtung und wird ihm auch
gern die Neigung zuwenden, Daß Jung=Wien unter der ##
Organ hat einen starken Reiz, den er in allen Modula¬
tionen zur Geltung zu bringen weiß; die lässige Art, Führung Bahr's so bescheioen sei, wie Bahr selbst an¬
die speciell das Wienerthum bedeuten sdlll steht ihm sogibt, können wir nun nicht empfinden. Aber warum
gut, daß man von seiner=Causeyte dassilbe/ Vexgnügen sollen wir nicht auch den Wiener stolz lieben wie den?
hat, wie von einem feinen Gesellschaftslunspiele, das von Spanier!
Die Proben, die Hermann Bahr las, waren, von
den besten Schauspielern des Burgtheaters aufgeführt
der ersten abgesehen, nicht gerade geeignet, das Dichter¬
wird. Was er uns zu sagen hatte, schien fast Nebensache
thum Wiens besonders glänzend darzustellen. Wir kennen
gegenüber dem Gesammteindrucke der für Prag neuen
viel Besseres von ihnen. Aber da es sich um eine Vor¬
Form des Vortrags.
lesung handelt, bei der das Merkmal von Jung=Wien:
Bahr sprach also über Jung=Wien, und wenn wir
das Grüblerisch=Sinnende, das Duftig=Unfaßbare nicht
ihm sonst gern das Recht zugestehen wollen, in allen
gut zum Vor hein treten kann, so wollen wir auch
Fragen der Kunst mitzusprechen, so hat er, wie man
daraus keinen Vorwurf schmieden. Nur auf etwas möchten
weiß, in der Frage Jung=Wiens noch ein ganz beson¬
wir noch zu sprechen kommen, auf Hugo von Hofmanns¬
thal. Dieser junge Dichter ist, noch fast Gymnasiast, mit
einem reizenden dramatischen Bilde aus der Renaissance¬
zeit hervorgetreten: „Gestern“. Das kleine Büchlein ist
voll echter Poesie. Seither haben wir etwas so Erqnicken¬
des und Offen=Schönes von Hofmannthal nicht gelesen.
Wir sagen Offen=Schönes, weil die Dichtungen, die Hof¬
mannsthal seitdem veröffentlicht hat, sehr sein und tief
sind, aber doch keine freie Wirkung üben. Es ist eine
Poesie für die obersten Tausend. Und das hat Hermann
Bahr auf dem Gewissen. Die Jung=Wiener schwören
mit Recht auf die hohe Begabung Hofmannsthal's, aber
es muß ihm sein wie einem Zauberer, dem man immer¬
sort auf die Finger sieht, oder wie einer Frau, die auf
einem Balle als die voraussichtliche Königin erwartet
wird. Es scheint ihn die Verpflichtung zu drücken als
Dichter immer etwas absonderlich Neues, etwas aus der
tiefsten Tiefe Geholtes zu bieten, und darüber geht seine
im Inneren frische Kraft für das eigentliche Volk ver¬
toren. Ich habe einige der letzten Gedichte von Hof¬
mannsthal mit Verwunderung gelesen. Man liest und
weiß nicht recht, worauf diese „schönen Adjectiva“ hin¬
zielen, und schließlich bleibt nur ein unbestimmtes
Klingen im Ohre zurück. Wir möchten nur wünschen,
daß Jemand dem Dichter den Muth beibrächte, einmal
nicht originell zu sein und sich zu geben, wic rr ist. Ich
denke, wir bekämen Dinge zu hören, die uns Alle herz¬
lich erfreuen würden. Wir bitten darum, nicht immer
„anders als die Anderen“; denn darin liegt zwar der —