VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 7

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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus
Neue Züricher Zeitung
vom:

Wiener Kunst.
(Bis zum Frühjahr.)
Von Paul Stefan.
Das aufgeregte Treiben in den Wintermonaten ist
vorbei. Seine Unnatur läßt sich schon daran erkennen,
doß man jedesmal im Frühjahr wie erlöst aufatmet;
und hätte man nicht das tiefe, unbezwingbare Ver¬
langen nach Kunst, so wäre unsere Sehnsucht im
Herbst — nach der ebenso unnatürlich langen Som¬
'merpaufe — nicht zu verstehen. Denn die Enttäu¬
schungen wachsen. Und indem ich mich zu einer mei¬
ner Uebersichten von neuem anschicke, bekenne ich, daß
mir diese Saison eine recht große Enttäuschung ge¬
bracht hat, soviel auch versucht wurde, soviel auch
glückte. Vereinzelte Anregungen, ibenig Erleönisse.
Ich nenne, wie immer, zuerst die Verluste. Der
Tod traf die Kunst des Wortes und des Dramas.
Max Burckhard bedeutete uns viel, weniger
durch das, was er schrieb, so Kluges und hell Geschau¬
tes es da gab, als durch das, was er war: Einer, auf
den man sich verlassen konnte, ein Wächter gegen die
Reaktion in allem Geistigen, die in Oesterreich er¬
schreckend vorrückt, ein Kenner dieser öffentlichen
Verlogenheit, die hier „Gemütlichkeit“ geheißen wird.
Dem Theater konnte er, der Burgtheaterdirektor von
einst, kaum noch als Kritiker etwas sein; er war
müde, und dann lag es am Theater. Wenn einmal
Hermann Bahr, sein bester Freund, von seinem Leben
erzählt, wenn seine Briefe erscheinen und der Kata¬
log seiner großartigen, nun zu versteigernben Bücher¬
sammlung herauskommt, oder wenn man mit
Frauen, denen er zugetan war, von ihm spricht, dann
gibt es ein Bild von ungewohnten Farben.
Die Schauspieler Ernst Hartmann und Kon¬
rad Löwe wurden dem Burgtheater entrissen. Hart¬
manns reife Anmut, seine unnachahmliche Vornehm¬
heit vom besten alten Stil ist nicht zu ersetzen und
gerade jetzt nicht, wo sie so nötig wäre; Löwe, eine
herbe, treue, sich willig unterordnende Natur, ein
guter Sprecher, gehörte zu den Stützen seines Hauses.
Hermann Wis#eimann starh, eine Sagengestalt
aus der Zeit der Wagnerkämpfe, noch vor wenigen
Jahren unübertrefflich als Florestan, ein Tristan von
# Lelben Gnaben. Nür wige Hent rühie #o aus,
längst schon nach Verdienst Ehrenmitglied der Hof¬
oper.
Böse Zeichen für Wien sind die Verluste durch
„Abwanderung“ Arnold Schönberg, der als
Komponist Freunde und Gegner aus ihrer Ruhe ge¬
scheucht hatte, als Lehrer fast schon berühmt war und
seinen Ruf durch eine nun auch verlegte Harmonie¬
lehre glänzend gerechtfertigt hat, ist der Unfreibeit
der Wiener Verhältnisse nach Berlin entflohen. Ale¬
xander von Zemlinsky, der Dirigent und Mit¬
schöpfer der Volksoper, hat als Opernchef des Prager
Deutschen Landestheaters ein weiteres Feld gefun¬
den; man hätte es ihm in Wien gewünscht. Hofkapell¬
meister Bruno Walter ist für längere Zeit nach
München beurlaubt und drohte ganz verloren zu
gehen. Die Kapellmeister Franz Schalk und Ferdi¬
nand Löwe werden immer häufiger in Beziehungen
zu anderen Städten gebracht. Eines Tages werden
sie nicht zurückfinden. Der Maler Egger=Llenz.
der einem Liebling des Hofes zu Gefallen die ihm
sichere Professur an der Akademie nicht erhalten
konnte, ist nach Weimar gegangen. Viele wirken
draußen, die Wien gut gebrauchen könnte. Andere
wiederum, die hier wirken, würde mon dem Ausland
gönnen.
Ein Heimberufener, Baron Berger, kann als
Leiter des Burgtheaiers seine Hamburger Er¬
folge nicht recht erklären. Materiell ging es ja seinen
1 Bühne wie den meisten anderen in diesem Winter,
recht gut. Sein größter Erfolg waren eben „#ie
fünf Frankfurter“ Besser klingt der Ruhm on
Schnitzlers Schauspiel „Das weite Land“. Nur da## #s
mie die Grenzen bonnhentigen San
nen, und das nach dem Zwischenspiel“, nach dem
„Einsamen Weg“, ungünstig verschob. Dieses „Weite
Land“ ist ein enger, nicht einma. wienerischer Bezirk.
Wie gering wog dieses Stück neven der Tragibie
großer Menschlichkeit, dem nachgelassenen Dra####
Tolstois vom „Lebenden Leichnam"! Bei allers
Kunstlosigkeit der Form kam es wie eine heilsame
Erschütterung über das Publikum dieses Hausés.
Wertvoll wurden zwei von Albert Heine inszenierte
Stücke. „Die Sprache der Vügel“ von Adolf Pau¬
nd Shulos „Enfar und Kleopatra“, weil sich wieder
etwas neues Leben regen durfte. Auch hatte beidema##
der Maler Remigius Geyling für schöne, neu ge¬
arteie und fesselnde Bühnenbilder gesorgt. Kleopatra
war eine Fünfzehnjährige, Fräulein Buchmann, die
jedenfalls das eine erreicht hat, daß sie durch ihr
Jugend aufgefallen ist, eine Ausnahme im Burg¬##
theater. „Lotichens Geburtstag“ von Thoma und Wid¬
manns „Der Kopf des Crassus“ hatten nicht gar vie
zu sagen, Fuldas „Seeräuber“ noch weniger; Dite
Ernsts „Die Liebe höret nimmer auf“ aber gar nichts.
Bleibt eine Aufführung des „Zerbrochenen-Kruses
zur Kleist=Feier, trotz Thimig ohne Wesen und In¬
halt. Das war das Burgtheater.
Auch had eteile (Scankuln