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2. Guttings
Opur
1898
Nr. 33
Das Magazin für Litteratur.
die geräuschvollen Seenen der großen Welt. Mit weicher
sie codificierten und deren Ursprünglichkeit und Unumstö߬
Art wird uns erzählt von dem weisen Manne, der die
lichkeit verkündeten. Ippolito fällt, getötet durch die
Sünde seines Weibes gesehen hatte und sich davonschlich,
Hüter des menschlichen Gesetzes, und Atalanta wird er¬
nichts sagte, verzieh und vergaß. .. Von dem kleinen
drosselt! „Sie hatte nur ein Alter von sechzehn Jahren
Mädchen vernehmen wir mit leiser Trauer die in Liebe
und wenig Tagen erreicht.“
starb und dem Geliebten noch nach dem Tode Blumen¬
So bekämpfen, lerne ich aus diesem Geschehnis aiter
grüsse sendet, gleichsam aus dem Grabe ihn rufend. ..
Zeit, die Menschen einander; und manchmal will es
Von dem Komödianten lassen wir uns sagen, mit dessen
scheinen, als werde in der einen Partei die Natur be¬
Künstlersehnsucht frohe Jünglinge ein frivoles Spiel
kämpft; und die sie töten, die scheinen uns die Hüter des
treiben, und der dann gekränkt, in seine Garderobe geht,
Rechtes. Es muß um unsere Augen schlecht bestellt sein.
In aller Stille ohne
nichts sagt und sich erhängt..
Wir sehen das Licht und wir sehen den Schatten; wer
viele Geberden sind diese Menschen Helden, weil sie
aber darf unserer Seele die Gewißheit geben, daß wir
Menschen sind, trotzdem sie Menschen sind..
nicht die Finsternis das Licht und die glänzende Helle
Dann sind zwei Novellen da, die den Tod vor unsere
Schatten nennen?
Augen stellen. „Der Abschied“ heißt die eine. Das ist
So lehrt die eine der Geschichten des toten Jünglings
eine traurige Geschichte, wie die Geliebte, eines Anderen
Otto Sachs, daß die höchste Kraft der menschlichen
Weib, stirbt, und der Geliebte in das Haus ihres
Leidenschaft keinen Zweifel läßt an der Berechtigung des
Mannes gehen muß, um die Leiche noch einmal zu sehen.
Menschen, sich auszuleben, sondern nur Fragen zeugt über!
Sie starb, und er muß seine Trauer verbergen. Er darf
die Richtigkeit und Wahrheit unserer Begriffe und Ge¬
der Welt nicht sagen, was sie ihm war, bis der Tod
danken.
kam, der in ihr jugendfrisches Leben eingriff, der sie ihm
Die zweite der Novellen schildert eine Seelenqual.
raubte, der große Tod, unser aller willkürlicher Herr.
Ein Mann hat einem Weibe durch seine Liebe den Tod
Die tiefste dieser Novellen ist „Die Toden schweigen“.
gegeben, ohne sie wahrhaft geliebt zu haben. Nur Lanne
Zwei Liebesleute fahren in die Einsamkeit hinaus. Dort
hatte ihn sie verführen lassen, Freude am Tändeln mit
schenkt die Verlassenheit ihrem ehebrecherischen Verhältnis
gebrechlichem Spielzeug. Die Krankheit rächt die tote
Ruhe. Ein Unglück passiert. Die Pferde des Wagens
Frau an dem Mörder.
schenen. Der Mann ist tot. Und während man um
Ein schöner Sinn liegt in diesen beiben Novellen.
Hilfe geht, bleibt das junge Weib bei der Leiche. Die
Ihre Moral ist: Das größte Verbrechen, das die Welt
Nacht ist still, schaurig. Da regt sich die Furcht. Ihm
brandmarkt, mag uns im Gegensaßz zum Alltagsrecht als
kann sie ja nicht mehr helfen. Aber sie wird man sehen.
menschlich große Tat erscheinen, und die vom Gesetz
Man wird fragen, forschen; und ihre Ehe wird zerstört
nicht strafbare Verwüstung eines Frauenglücks entringt
sein. Da flieht sie, läßt den toten Geliebten allein und
uns Entrüstung. Der Geist der Taten richtet diese.
in wilder Hast eilt sie nach Hause. Wie sie aber mit
Den müssen wir suchen. Dann werden wir die Codices
dem Gemahl und ihrem Kinde zu Hause sitzt, da wird
nicht verehren müssen. Wir werden nicht zum nieder¬
sie sich der Feigheit bewußt. Und dann kommt die Angst:
geschriebenen Recht beten müssen; in unserer Seele wird
wenn er doch lebt und sie jetzt verrät? „Aber die Toden
sich Recht und Unrecht erweisen, untrüglich, weil da die
schweigen.“ Fast laut sagt sie das vor sich hin. Da
Seele die Seele prüft, nicht der Intellekt das äußere
erkennt der Mann ihr Geheimnis.
Geschehnis.
Und in seinen Augen liest sie, daß sie ihm nichts
mehr
verbergen kann; und lange sehen die beiden einander
Arthur Schnitzler.
an.
„Bring' den Buben zu Bett,“ sagt er dann zu ihr,
Das ist ein seltsames Wort: Ein Sturm im Wasser¬
„ich glaube, Du hast mir noch etwas zu erzählen ..
glas.
In spöttischer Art will man damit sagen, daß es
„Ja,“ sagte sie.
Verhältnisse gibt, die zu enge sind, um große Leiden¬
Und sie weiß, daß sie diesem Manne, den sie durch
schaften zu gestatten. Aber man täuscht sich am Scheine.
Jahre betrogen hat, im nächsten Augenblick die ganze
Der Sturm tobt im Wasserglas, nur die brandenden
Wahrheit sagen wird.
Wogen fehlen. Die äußeren Anzeichen sind nicht da,
Und während sie mit ihrem Jungen langsam durch
das Wesentliche mangelt auch im engen Raume nicht.
die Tür schreitet, immer die Augen ihres Gatten auf sich
So ist es auch um die menschlichen Schicksale bestellt.
gerichtet fühlend, kommt eine große Ruhe über sie, als
Ein organisches Gesetz leitet alle. Aber die Aeußerungen
würde vieles wieder gut.
sind wandelbar. Auch dürftige Verhältnisse werden von
Das ist ein Lebensdrama voller Größe, in leiser Art
mächtigen Affekten heimgesucht, allein die großen Worte
erzählt. Sein Hintergrund ist der Tod, der die äußersten
fehlen hier. Die Lebenstragödie spielt sich in leisen
Gedanken des Menschen zwingt, und den man nicht ver¬
Tönen ab; die Stimmen flüstern, während die Seelen
gessen kann, solange man lebt. Und das ist weise: denn
Von der Art sind die Lebensdramen, von
zittern.
diese ewige Erinnerung läßt uns oft Schönes tun, dann
denen Arthur Schnitzler's Novellen*) vermelden.
zieht Ruhe in unser Herz, wie in das der sündigen Frau
Die Menschen des Lebens, in das sie führen, tragen
in Arthur Schmitzler's Novelle.
nicht die Kkeider des Helden, nicht die Pose des Unglück¬
Die Geschichten dieses Dichters tragen eine stille,
lichen. Nur ihre verschwiegene Seele ist manchmal helden¬
ruhige Schönheit in sich, sie bringen uns weiche, traurige
haft und ihr Herz unglücklich. Es sind kleine Menschen
Stimmungen und ein felten reines Gefühl vom Leben
des Alltags, junge Leute der Gesellschaft. Und ihre
um uns.
Lebenstragödien sehen von der Weite betrachtet so winzig
aus, daß man an das Tragische nicht glauben will.
Emil Rechert.
Allein diese feinen Stizzen Arthur Schnitzler's lassen uns
Wie wir die Menschen sehen, das ist die einzige
erkennen, daß manche dieser Tragödien intensiver sind als
Frage. Nach unseren Blicken richtet sich unser Lachen
*) „Die Frau des Weisen“.Bet S. Fischer, Berlin, 1898. und unser Weinen. Letzthin habe ich in hübschen Ge¬
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Das Magazin für Litteratur.
die geräuschvollen Seenen der großen Welt. Mit weicher
sie codificierten und deren Ursprünglichkeit und Unumstö߬
Art wird uns erzählt von dem weisen Manne, der die
lichkeit verkündeten. Ippolito fällt, getötet durch die
Sünde seines Weibes gesehen hatte und sich davonschlich,
Hüter des menschlichen Gesetzes, und Atalanta wird er¬
nichts sagte, verzieh und vergaß. .. Von dem kleinen
drosselt! „Sie hatte nur ein Alter von sechzehn Jahren
Mädchen vernehmen wir mit leiser Trauer die in Liebe
und wenig Tagen erreicht.“
starb und dem Geliebten noch nach dem Tode Blumen¬
So bekämpfen, lerne ich aus diesem Geschehnis aiter
grüsse sendet, gleichsam aus dem Grabe ihn rufend. ..
Zeit, die Menschen einander; und manchmal will es
Von dem Komödianten lassen wir uns sagen, mit dessen
scheinen, als werde in der einen Partei die Natur be¬
Künstlersehnsucht frohe Jünglinge ein frivoles Spiel
kämpft; und die sie töten, die scheinen uns die Hüter des
treiben, und der dann gekränkt, in seine Garderobe geht,
Rechtes. Es muß um unsere Augen schlecht bestellt sein.
In aller Stille ohne
nichts sagt und sich erhängt..
Wir sehen das Licht und wir sehen den Schatten; wer
viele Geberden sind diese Menschen Helden, weil sie
aber darf unserer Seele die Gewißheit geben, daß wir
Menschen sind, trotzdem sie Menschen sind..
nicht die Finsternis das Licht und die glänzende Helle
Dann sind zwei Novellen da, die den Tod vor unsere
Schatten nennen?
Augen stellen. „Der Abschied“ heißt die eine. Das ist
So lehrt die eine der Geschichten des toten Jünglings
eine traurige Geschichte, wie die Geliebte, eines Anderen
Otto Sachs, daß die höchste Kraft der menschlichen
Weib, stirbt, und der Geliebte in das Haus ihres
Leidenschaft keinen Zweifel läßt an der Berechtigung des
Mannes gehen muß, um die Leiche noch einmal zu sehen.
Menschen, sich auszuleben, sondern nur Fragen zeugt über!
Sie starb, und er muß seine Trauer verbergen. Er darf
die Richtigkeit und Wahrheit unserer Begriffe und Ge¬
der Welt nicht sagen, was sie ihm war, bis der Tod
danken.
kam, der in ihr jugendfrisches Leben eingriff, der sie ihm
Die zweite der Novellen schildert eine Seelenqual.
raubte, der große Tod, unser aller willkürlicher Herr.
Ein Mann hat einem Weibe durch seine Liebe den Tod
Die tiefste dieser Novellen ist „Die Toden schweigen“.
gegeben, ohne sie wahrhaft geliebt zu haben. Nur Lanne
Zwei Liebesleute fahren in die Einsamkeit hinaus. Dort
hatte ihn sie verführen lassen, Freude am Tändeln mit
schenkt die Verlassenheit ihrem ehebrecherischen Verhältnis
gebrechlichem Spielzeug. Die Krankheit rächt die tote
Ruhe. Ein Unglück passiert. Die Pferde des Wagens
Frau an dem Mörder.
schenen. Der Mann ist tot. Und während man um
Ein schöner Sinn liegt in diesen beiben Novellen.
Hilfe geht, bleibt das junge Weib bei der Leiche. Die
Ihre Moral ist: Das größte Verbrechen, das die Welt
Nacht ist still, schaurig. Da regt sich die Furcht. Ihm
brandmarkt, mag uns im Gegensaßz zum Alltagsrecht als
kann sie ja nicht mehr helfen. Aber sie wird man sehen.
menschlich große Tat erscheinen, und die vom Gesetz
Man wird fragen, forschen; und ihre Ehe wird zerstört
nicht strafbare Verwüstung eines Frauenglücks entringt
sein. Da flieht sie, läßt den toten Geliebten allein und
uns Entrüstung. Der Geist der Taten richtet diese.
in wilder Hast eilt sie nach Hause. Wie sie aber mit
Den müssen wir suchen. Dann werden wir die Codices
dem Gemahl und ihrem Kinde zu Hause sitzt, da wird
nicht verehren müssen. Wir werden nicht zum nieder¬
sie sich der Feigheit bewußt. Und dann kommt die Angst:
geschriebenen Recht beten müssen; in unserer Seele wird
wenn er doch lebt und sie jetzt verrät? „Aber die Toden
sich Recht und Unrecht erweisen, untrüglich, weil da die
schweigen.“ Fast laut sagt sie das vor sich hin. Da
Seele die Seele prüft, nicht der Intellekt das äußere
erkennt der Mann ihr Geheimnis.
Geschehnis.
Und in seinen Augen liest sie, daß sie ihm nichts
mehr
verbergen kann; und lange sehen die beiden einander
Arthur Schnitzler.
an.
„Bring' den Buben zu Bett,“ sagt er dann zu ihr,
Das ist ein seltsames Wort: Ein Sturm im Wasser¬
„ich glaube, Du hast mir noch etwas zu erzählen ..
glas.
In spöttischer Art will man damit sagen, daß es
„Ja,“ sagte sie.
Verhältnisse gibt, die zu enge sind, um große Leiden¬
Und sie weiß, daß sie diesem Manne, den sie durch
schaften zu gestatten. Aber man täuscht sich am Scheine.
Jahre betrogen hat, im nächsten Augenblick die ganze
Der Sturm tobt im Wasserglas, nur die brandenden
Wahrheit sagen wird.
Wogen fehlen. Die äußeren Anzeichen sind nicht da,
Und während sie mit ihrem Jungen langsam durch
das Wesentliche mangelt auch im engen Raume nicht.
die Tür schreitet, immer die Augen ihres Gatten auf sich
So ist es auch um die menschlichen Schicksale bestellt.
gerichtet fühlend, kommt eine große Ruhe über sie, als
Ein organisches Gesetz leitet alle. Aber die Aeußerungen
würde vieles wieder gut.
sind wandelbar. Auch dürftige Verhältnisse werden von
Das ist ein Lebensdrama voller Größe, in leiser Art
mächtigen Affekten heimgesucht, allein die großen Worte
erzählt. Sein Hintergrund ist der Tod, der die äußersten
fehlen hier. Die Lebenstragödie spielt sich in leisen
Gedanken des Menschen zwingt, und den man nicht ver¬
Tönen ab; die Stimmen flüstern, während die Seelen
gessen kann, solange man lebt. Und das ist weise: denn
Von der Art sind die Lebensdramen, von
zittern.
diese ewige Erinnerung läßt uns oft Schönes tun, dann
denen Arthur Schnitzler's Novellen*) vermelden.
zieht Ruhe in unser Herz, wie in das der sündigen Frau
Die Menschen des Lebens, in das sie führen, tragen
in Arthur Schmitzler's Novelle.
nicht die Kkeider des Helden, nicht die Pose des Unglück¬
Die Geschichten dieses Dichters tragen eine stille,
lichen. Nur ihre verschwiegene Seele ist manchmal helden¬
ruhige Schönheit in sich, sie bringen uns weiche, traurige
haft und ihr Herz unglücklich. Es sind kleine Menschen
Stimmungen und ein felten reines Gefühl vom Leben
des Alltags, junge Leute der Gesellschaft. Und ihre
um uns.
Lebenstragödien sehen von der Weite betrachtet so winzig
aus, daß man an das Tragische nicht glauben will.
Emil Rechert.
Allein diese feinen Stizzen Arthur Schnitzler's lassen uns
Wie wir die Menschen sehen, das ist die einzige
erkennen, daß manche dieser Tragödien intensiver sind als
Frage. Nach unseren Blicken richtet sich unser Lachen
*) „Die Frau des Weisen“.Bet S. Fischer, Berlin, 1898. und unser Weinen. Letzthin habe ich in hübschen Ge¬
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