VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 37

2. Cuttings

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Schnitzler, Dr. Arthur, Schrift¬
steller. Wenn wir im Gymnasium einen be¬
sonders modernen Professor der Literatur¬
geschichte hatten, pflegte er uns wohl auch
A. Sch. mit ein paar Worten vorzustellen, und
er verfehlte sicher nicht, ihm das einfache
und bequeme Attribut des „Dichters des
Anatol“ zu verleihen. Wie falsch ist es aber,
dieses erste Werk A. Sch.’s als so charak¬
teristisch für seine dichterische Persönlichkeit
hinzustellen, als würde sich seine Bedeutung
in jener geistreich-graziösen Szenenreihe, in
der Gestaltung des „süßen Mädeis“, in der
weltschmerzlich-dekadenten Liebesphilosophie
des jugendlichen Helden vollenden! Wie
wenig nahe kommt man doch der Spannweite
des dichterischen Schaffens A. Sch.'s, der
nicht nur „Anatol“, den „Reigen“ und „Lie¬
belei“, sondern auch „Professor Bernhardi“,
„Der blinde Geronimo und sein Bruder“
„Frau Beate und ihr Sohn“, „Der junge
Medardus“, und in jüngster Zeit von reifer
Weisheit und Reflexion erfüllte Bücher ge¬
schrieben hat, wenn man versucht, ihn mit
der Etikette des „Anatol“ zu charakterisieren,
weil dieser zufällig sein erstes Werk gewesen
ist. — A. Sch. wurde am 15. Mai 1862 als
Sohn des bekannten Laryngologen und Uni¬
versitätsprofessors Dr. Johann Sch. in Wien
geboren. Im Hause des Vaters verkehrten viele
Theaterleute, und es ist kein Zweifel, daß
dieser Umgang auf das frühzeitig erweckte
Interesse des Knaben für Musik und Literatur
von Einfluß gewesen ist. Er absolvierte das
Akademische Gymnasium in Wien und wandte
sich nach der Matura dem Studium der Medi¬
zin zu. Er promovierte 1885 und war bis 1888
als Sekundararzt an der Klinik für interne
Medizin bei Professor Standhartner, dann
auf der psychiatrischen Abteilung bei Meynert
und schließlich auf der Klinik für Hautkrank¬
heiten und Syphilis bei Professor Isidor Neu¬
mann tätig. Dann unternahm er eine Studien¬
reise nach Berlin und London, über die er in
der Wiener Medizinischen Wochenschrift“.
anschaulich berichtete. Bis 1893 war er als
Assistent seines Vaters an der Allgemeinen
Polyklinik tätig und wandte in dieser Zeit
der Hypnose und Suggestion, die in seinem
Werke wiederholt eine Rolle spielen, großes
Interesse zu. Er schrieb damals schon kleine
Gedichte und Novellen, die vorwiegend in der
Zeitschrift „An der schönen blauen Donau“
erschienen. Wesentlich ist aber erst die
Szenenreihe „Anatol“ die 1890 in Buchform
herauskam, und zunächst mehr Entrüstung als
Anerkennung erregte. Es folgte die echt¬
wienerische und vielleicht populärste Dich¬
tung „Liebelei“, kennzeichnendermaßen als
einziges Werk Sch.’s verfilmt. In der Novelle
„Sterben“ kam nicht nur der Dichter, sondern
auch der Arzt zum Wort, der Sch. immer
geblieben ist; er hat auch seine Praxis, tat¬
sächlich auf ein Minimum reduziert, in der
Folge nie offiziell aufgegeben. Sein nächstes
Drama. „Freiwild“, war ein Antiduellstück,
das sich in starken Widerspruch zur Zeit¬
strömung setzte. Es entstanden Novellen, wie
F
„Die Frau des Weisen“, „Der Ehrentag“,
„Die Toten schweigen“, die meisterhafte
Seelenschilderung mit höchster Sprachkunst
vereinen, und dann — Sch.’s umstrittenstes
„Der Reigen“, meisterhaft in der
Werk