VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 51

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2. Cuttings
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Lässigkeit von der modernen Culturtrunksucht fern und lassen die Dinge in gutem
Humor sich erproben. Liebliche, angenehme Barbaren sind sie, aber von den schweren
Deutschen noch immer die, welche sich von allerhand Einflüssen der Fremde oder
der Eigenart tragen lassen; ein helleres Blut strömt beweglicher in ihren Adern
und ihr Dialekt, auch ein köstliches Culturfragment, das alte Geschmeide der mittel¬
hochdeutschen Mundart, fördert den Ausdruck ihrer wärmeren Empfindungen. Sie
haben schon eine südliche Art in sich; das Wiener Mädchen hat zu dem blonden
Haar ihrer kühleren Rasse zugleich diese holde „Seelen=Schlamperei“ der südlichen
Stämme. An diesem Menschenschlag hat Nord und Süd gebaut, die Kreuzung
vieler Völker und mannigfachen Geblütes ergiebt eine biegsame, leichte bewegliche
Masse, die sich gern den Ereignissen gewährt und sich von ihnen beseelen läßt.
Aber Athen ist es darum noch lange nicht. In ein paar Lebenskreisen ist eine
Art von Cultur da; in den Ständen, Berufsklassen gewisse Rudimente, die aber
gar nicht zusammenstreben oder in ein Ganzes münden. Es giebt ja ein paar!
Künstler, die das Wesen ihrer Stadt sehr schön ausdrückten; so beweist man jat
Sieht!
gerne die Wiener Cultur aus den Schöpfungen des Arthur Schnitzler.
man diese deutlich an, so erkennt man als die tiefe Ursache ihrer Wirkung gerade
die seltsame und wahrhafte Antithese von gemütlicher Volksbarbarei und vereinzelter
Cultur. Seine Wiener Lebebuben sind so ein bißchen Culturmenschen und werden!
zusammengebracht mit der naiven Kraft, Ursprünglichkeit und Sentimentalität
eines einfachen Volksschlages. Daraus ergiebt sich die ganze Wirkung der „Liebelei“;
oder des „Sterbens.“ Was ist denn das rührende an dem ersten Werk, als
das starke Spiel der Gegensätze? Diese naive, treuherzige, zuthunliche Christine
mit ihrer ganz ungebrochenen einfachen Seele angeschmiegt an einen raffinierten,
psychologischen, überfeinerten Jüngling. Das ist vielleicht mehr als man glauben
möchte, ein „Wiener“ Stück, darin liegt sehr klar und fein und bestimmt das
Wesen der Stadt, ihre Barbarei, die ja auch eine gewisse Anmuth hat.
Aber wir sehen nirgends die Größe der Werke mit der Größe der Menge,
den Sinn der Kunst mit den Außerungen des Lebens, die Meinungen der Höchsten
mit den Thaten der Geringsten das Gehirn der Weisen mit den Geberden und
der Anschauung der Gesammtheit eine wunderbare Gleichung bilden; die kleinsten
Formen des Daseins müssen die höchsten Linien einer natürlichen Schönheit aus¬
drücken. Dann kann man von Cultur sprechen.
Davon ist wenig, nichts zu spüren. Und die Entwickelung der Künstler spielt
sich meist nicht in ihrem Leben und an demselben, sondern gleichsam über dem¬
selben ab. Fertig und gelassen, fast unveränderlich beginnen sie und tragen einen
Grundton durch alle Werke.
Grillparzer, die schöne Tradition unserer Dichter ging in ein heroisches Griechen¬
land und was seinen Werken diesen rührenden, wienerischen Schimmer verleiht, ist
eben nur, daß seine Stadt und ihre Menschen mit ihrem Wesen und ihrer Sprache
in seine Verse und Gestalten dringen. Und Loris! Auch er sucht diese fernen,
fremden Wege und scheint ins Weite zu entwandern. Und gerade diese stille
Resignation, die sich an der fernen Schönheit genügen läßt, weil sie an ihrer grellen
Zeit verzweifelt, scheint das Wesen seiner Gedichte.
Wien hat nicht den geschlossenen Styl seiner Bauten, Kunstwerke, Straßen,
Menschen, Gedichte, den sich eine fertige Cultur baut. Wien und sein Wesen ist
in den verschiedensten Werken leichtsinnig verstreut. Aber vieles verspricht, einmal
sich zusammenzuschließen und nur unsere zärtliche Liebe zu dieser Stadt, die ja
wirklich so vieles Schöne hat, bewog uns alle Widersprüche zu einem guten und
hohen Ganzen zusammenzustimmen und aus einem Volksbewußtsein, einer Wiener
Volkseele blühen zu lassen, der wir Cultur andichteten, weil wir sie cultivirt
wünschten. Denn es ist ja etwas sehr schönes, sich einzubilden, daß im Prater,
oder beim Stalehner, oder draußen in Währing, oder beim „Heurigen“ oder im
Sechsschritt oder bei den Volkssängern Cultur sei; Cultur in den kleinsten und
größten Dingen, in den Straßen, in unserer Sprache, in unsern Walzern und
unsern Geliebten, in unseren Sehnsuchten und in unserer Trägheit, in der Kärntner¬
straße und im Cafféhaus. Ueberall Cultur, Cultur, Cultur!
Wie könnten wir stolz sein, wenn das wahr wäre!
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