VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 52

2. Cuttings

box 38/4
206
Und Maurice Barrês fühlte sich im Herzen von Frankreich, im Gehirn
der Welt, in der ewigen Stadt der neuen Menschen, in Paris unter Barbaren! —
Irgendwo ist dieses leichtsinnige Wort aufgeflogen und es ist die Mode
dieses Jahres geworden. Man trägt es wie eine neue Cravatte. Es ist sehr
schade, daß es nur so gar nicht wahr ist!
Fürchten Sie sich nicht, daß ich die Schönheit dieser Stadt antaste, aber
auch die Naivetät der Barbaren, hat ihre Anmuth und eine verletzende Barbarei ist
hier gewiß nicht, sondern eine fast zärtliche, oft nur ein bisserl gemeine. Und alles
Wienerische hat einen gewissen odeur de kemme, den ich sehr liebe. ....
Aber dieser Geruch der Heimath und der eigenen Art in allen Erzeugnissen
einer Stadt, ist ebenso wenig ein Beweis von Cultur, wie Volkslieder, die doch
diesen Duft viel stärker und inniger haben und gerade den Barbaren und nur
diesen gelingen.
Sie werden also in Wien wenig für die Entwicklung der Kunst, der
Lebensformen, der Culturfragen oder dergleichen feierlicher Themen finden. Aber
Faulheit, liebliches Schlendern, glückliches naives Gelingen ist noch lange nicht
Cultur. Nur daß man keine Revolutionen macht, beweist noch lange nicht die
beste der Welten. So ist dieses Jahr bei uns ein bummelnder Gang der Monate
gewesen, die hie und da eine Blume ausstreuten, eine pflückten.
Von Neuigkeiten wissen nur immer die Zeitungen.
Aber Sie haben mich ja nicht bestellt, Ihnen zu sagen, daß ich nichts zu
sagen habe.
Ich habe nur das, wovon ich sprechen will, was mir sehr am Herzen liegt,
die Kunst, von einem trügerischen und gefährlichen Zusammenhange lösen wollen.
Man soll die Werke unserer Künstler nicht abschließen, sondern in die freie Sonne
der Welt stellen.
Ich möchte einen neuen Punkt der Betrachtung gewinnen, die Wiener Kunst
und Wien selbst anzusehen. Nicht eingeschlossen, schenu, ein enges Vaterland aus¬
drückend, will ich sie haben. Und nicht ich, sondern das will die Kunst von den
Künstlern. Vielleicht war dieses Wort von der Wiener Cultur eine Nothlüge, die
Welt ihnen geneigt zu stimmen. Nun müssen sie sich schon selbst bewähren. Sie
sollen Helden sein und eine Cultur schaffen! — Nicht herabgesetzt, erhöht haben
wir sie in unseren Gedanken. Es hieße die Sorglosigkeit der Künstler bestärken,
wenn man sie mit der Vollendung des Lebens und Volkes, der Welt betröge. Noch
braucht man Helden.
Warum man das bessere Wort von den „jungen Europäern“ vergaß?
Wir haben vom guten Boden gesprochen, in dem viele Stämme sich kreuzten
und von einem Volke, dem Norden und Süden glückliche Anlagen schenkten, an
Körper und Seele mitbauten.
Das ist Wien: ein guter, vielleicht der beste Culturboden in Deutschland.
Heuer ist der Bildhauer Victor Tilgner gestorben. Er war Wiener nicht
durch Geburt, sondern durch die Macht der Stadt, wie so viele, die aus der Fremde
herkommen und bleiben. Das Wienerische, das Wesen der Stadt war ihm aus¬
geliefert, seinem graziösen, spielerischen, eleganten Talent. Alle seine Werke haben
eine feine Anmuth, ohne Größe. Die schmalen Grenzen seiner Begabung füllte
er mit den glücklichsten Werken aus. Seine letzte Schöpfung zeigt sein Wesen,
mit diesem Mangel des Heroischen am besten. Sie gilt dem Hausgott von Wien:
Mozart.
Das ganze Denkmal ist sehr lieb und wienerisch, nur drückt es nicht so sehr
die olympische Heiterkeit und Würde Mozarts aus, sondern wird vielmehr zu einem
Symbol der Stadt.
Der göttliche Mozart steht in einer sehr tanzmeisterlichen Haltung .. Muß
die Barocke scheint doch den
.. Kleine Putten,
denn alles tanzen in Wien?
Stadtcharakter des älteren Wien am meisten zu bestimmen — schweben rechts und




0