2. Cuttings
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meine Fräulein Wachner, welche die Hero und die Julia mit einer wunder¬
baren, eigenen Kraft und schimmernden Einfalt und Reinheit gab.
Wenn man über Wien redet, muß man wohl vom Theater sprechen; darauf
bildet es sich ja am meisten ein.
Als vor ein paar Jahren ein junger Jurist an die Spitze des Burgtheaters
gestellt wurde, schrieb der väterliche Freund dieser Bühne Ludwig Speidel sehr
heftig gegen die kühnen Neuerungen und bedenklichen Versuche dieses unerfahrenen
Mannes.
Nun leuchtet wieder diesem Director und der jungen Kunst die gütige Sonne
der Gunst dieses Kritikers.
Weil man ihn so oft verkannt und geschmäht hat, wollen wir auch über ihn
einige Worte sagen. Er ist einer der wenigen Menschen, die noch vom Schlage der
Gottfried Keller, Theodor Fontane unter den Lebenden sind.
Er hat noch ein unsäglich treues, sicheres Gefühl für die Größe der Werke,
so daß wir ihn in den letzten Jahren eine wunderbare Wandlung zur neuen Kunst
nehmen sahen. Wir konnten mit Bewunderung betrachten, wie dieser alte Mann
sich zur Größe Ibsens wandte, wie er die Kraft der neuen Maler fühlte und alles, was
wirkliche Größe hatte, mit naivem, jugendlichem Gemüth aufnahm und willkommen hieß.
In seinen lauten Widersprüchen, in seinen offenen Bekehrungen, in seiner lächelnden
Treulosigkeit zeigt sich seine ganze Größe. Und dabei sehen wir ihn niemals sich
an die neuen Wunder verlieren, nie gewährt er das klägliche Schauspiel schmeichelnder
Greise, die um die Gunst der Jugend buhlen, immer hat er den ruhigen
schimmernden Glanz eines reinen und persönlichen Stiles und die feine Sinnlich¬
keit und eine attische Gabe für die besten Spiele der Worte und Bilder.
Man muß von ihm sprechen, wenn man von der Wiener Kunst redet; so
innig ist er mit ihrem Leben verbunden.
Dieser alte Herr hat eine wunderbare Jugend, in seinen ruhigen Sätzen
leuchtet ein stiller Jubel, wie Glut der abendlichen Sonne über Thälern; er ist
wie der alte Anacreon, der um die greise Stirn die jungen Rosen schlingt. Er und
Hermann Bahr, der Führer der jungen Wiener, sind die Herolde der großen
Kunst in unserer Stadt.
Nun sind Sie mir vielleicht schon ungeduldig worden und mögen mir nicht
mehr folgen, wo ich Sie zu dem führen wollte, was mir am meisten lieb ist, zu
den Wiener Dichtern. Ich brauche Sie Ihnen nicht namentlich zu nennen, denn
über alle hat längst schon Hermann Bahr und neulich Franz Servaes sehr
schön geschrieben. Aber die Zahl dieser Dichter wurde heuer um Einen vermehrt.
Ich meine den Peter Altenberg.
Seine Skizzen könnten ein allzurasches Urtheil in dem schönen Wahn einer
Wiener Cultur bestärken; sie haben freilich Cultur, nur ist es nicht die von Wien,
sie sind ja nur in Aeußerlichkeiten wienerisch, in ihrem Wesen sind sie aller vor¬
handenen Cultur fremd, denn sie tragen eine neue, wundervolle in sich und sind
darin schöpferisch. Man hat sie, wie ich glauben möchte, gar zu sehr als reine
Kunstäußerungen genommen und darum vielleicht nicht ganz gut verstanden. Frei¬
lich wirken manche von ihnen auch an sich ungemein stark und weil man von
Skizzen dieses für sich bestehen verlangt, konnten sie nicht immer genügen. Aber
sie bilden ein geschlossenes Ganze. Und das muß man an ihnen entdecken, um sie
zu genießen. Sie sind nicht, wie etwa die Skizzen anderer Meister, im gewöhn¬
lichen Sinn objectiv. Sie befassen sich gar nicht weiter mit der Welt und ihrer
künstlerischen Bezwingung, viel mehr deuten sie das Vorhandene mit einer könig¬
lichen Sonveränität um. Sie spielen nicht in Wien oder Gmunden, am Kohlmarkt
oder irgendwo anders, sondern in der Welt eines neuen Menschen: des Peter
Altenberg. Und wer nicht die Schmiegsamkeit hat, die Dinge so zu sehen, wie
dieser Peter Altenberg, dem werden die Skizzen oft sehr schief erscheinen. Ihrer
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meine Fräulein Wachner, welche die Hero und die Julia mit einer wunder¬
baren, eigenen Kraft und schimmernden Einfalt und Reinheit gab.
Wenn man über Wien redet, muß man wohl vom Theater sprechen; darauf
bildet es sich ja am meisten ein.
Als vor ein paar Jahren ein junger Jurist an die Spitze des Burgtheaters
gestellt wurde, schrieb der väterliche Freund dieser Bühne Ludwig Speidel sehr
heftig gegen die kühnen Neuerungen und bedenklichen Versuche dieses unerfahrenen
Mannes.
Nun leuchtet wieder diesem Director und der jungen Kunst die gütige Sonne
der Gunst dieses Kritikers.
Weil man ihn so oft verkannt und geschmäht hat, wollen wir auch über ihn
einige Worte sagen. Er ist einer der wenigen Menschen, die noch vom Schlage der
Gottfried Keller, Theodor Fontane unter den Lebenden sind.
Er hat noch ein unsäglich treues, sicheres Gefühl für die Größe der Werke,
so daß wir ihn in den letzten Jahren eine wunderbare Wandlung zur neuen Kunst
nehmen sahen. Wir konnten mit Bewunderung betrachten, wie dieser alte Mann
sich zur Größe Ibsens wandte, wie er die Kraft der neuen Maler fühlte und alles, was
wirkliche Größe hatte, mit naivem, jugendlichem Gemüth aufnahm und willkommen hieß.
In seinen lauten Widersprüchen, in seinen offenen Bekehrungen, in seiner lächelnden
Treulosigkeit zeigt sich seine ganze Größe. Und dabei sehen wir ihn niemals sich
an die neuen Wunder verlieren, nie gewährt er das klägliche Schauspiel schmeichelnder
Greise, die um die Gunst der Jugend buhlen, immer hat er den ruhigen
schimmernden Glanz eines reinen und persönlichen Stiles und die feine Sinnlich¬
keit und eine attische Gabe für die besten Spiele der Worte und Bilder.
Man muß von ihm sprechen, wenn man von der Wiener Kunst redet; so
innig ist er mit ihrem Leben verbunden.
Dieser alte Herr hat eine wunderbare Jugend, in seinen ruhigen Sätzen
leuchtet ein stiller Jubel, wie Glut der abendlichen Sonne über Thälern; er ist
wie der alte Anacreon, der um die greise Stirn die jungen Rosen schlingt. Er und
Hermann Bahr, der Führer der jungen Wiener, sind die Herolde der großen
Kunst in unserer Stadt.
Nun sind Sie mir vielleicht schon ungeduldig worden und mögen mir nicht
mehr folgen, wo ich Sie zu dem führen wollte, was mir am meisten lieb ist, zu
den Wiener Dichtern. Ich brauche Sie Ihnen nicht namentlich zu nennen, denn
über alle hat längst schon Hermann Bahr und neulich Franz Servaes sehr
schön geschrieben. Aber die Zahl dieser Dichter wurde heuer um Einen vermehrt.
Ich meine den Peter Altenberg.
Seine Skizzen könnten ein allzurasches Urtheil in dem schönen Wahn einer
Wiener Cultur bestärken; sie haben freilich Cultur, nur ist es nicht die von Wien,
sie sind ja nur in Aeußerlichkeiten wienerisch, in ihrem Wesen sind sie aller vor¬
handenen Cultur fremd, denn sie tragen eine neue, wundervolle in sich und sind
darin schöpferisch. Man hat sie, wie ich glauben möchte, gar zu sehr als reine
Kunstäußerungen genommen und darum vielleicht nicht ganz gut verstanden. Frei¬
lich wirken manche von ihnen auch an sich ungemein stark und weil man von
Skizzen dieses für sich bestehen verlangt, konnten sie nicht immer genügen. Aber
sie bilden ein geschlossenes Ganze. Und das muß man an ihnen entdecken, um sie
zu genießen. Sie sind nicht, wie etwa die Skizzen anderer Meister, im gewöhn¬
lichen Sinn objectiv. Sie befassen sich gar nicht weiter mit der Welt und ihrer
künstlerischen Bezwingung, viel mehr deuten sie das Vorhandene mit einer könig¬
lichen Sonveränität um. Sie spielen nicht in Wien oder Gmunden, am Kohlmarkt
oder irgendwo anders, sondern in der Welt eines neuen Menschen: des Peter
Altenberg. Und wer nicht die Schmiegsamkeit hat, die Dinge so zu sehen, wie
dieser Peter Altenberg, dem werden die Skizzen oft sehr schief erscheinen. Ihrer
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