VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 58

tt.
2. G#ungs
box 38/4
Kopf= und Herzensrechner
434
Kopf= und Herzensrechner
Si duo faciunt idem
Non est idem.
Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eigenen Stücke,
Die Komödie unsrer Seele
Ddum Prolog zu Arthur Schnihzlers „Anatol“ stehen diese Verse und sie
umschreiben das schicksalsschillernde Wesen der Wiener Dramatik,
diese eigentümliche Eskamotage des Lebens, die sich immer ihres
eigenen Spiels ironisch=melancholisch bewußt ist, und deren „Wahrheit“, wie sie
selbst bekennt, „mit ihrer Lüge durcheinandergleitet, wie eines Taschenspielers
hohle Becher“. Ein quälendes Gefühl der Künstlichkeit unsres Seins, ein ewiger
Zweifel an der Wirklichkeit unsres Gefühls, und ein tiefes Grauen vor der
„Ansicherheit aller menschlichen Verhältnisse“, ist hier bestimmend, eine trieb¬
süchtige Neugier verlangt in all dem Schwankenden und Ungewissen des
eigenen Ichs und der Amwelt wenigstens nach dem Schein eines Endgültigeren:
es wartet auf den Moment der Demaskierung, wo die „letzten Masken“ fallen,
und es sieht in ihm die einzig wahrhaft „lebendige Stunden Doch diese leben¬
dige Stunde ist meist die Todesstunde, im Ewigkeitslicht des Sterbens ent¬
rätselt sich eines Lebens besonderer Sinn.
Es wirkt sehr merkwürdig, wenn solche Gedankengänge, die von Schnitzler
selbst in seinen Dramen viel eher lyrisch als theutralisch, versonnen, in der
Dämmerung durchwandelt werden, nun von einem anderen im scharfen Kreuz¬
feuerlicht der Bühnenbeleuchtung effektberechnet abgemessen werden.
Das erfährt man in dem Einakterzyklus von Felix Salten „Vom
anderen Afer“ (S. Fischers Verlag, Berlin), der im Lessingtheater auf¬
geführt wurde.
Diese drei Stücke sind Rechenkunststücke eines scharfsinnigen Kopfes, dra¬
matische Gleichungen ohne Fleisch und Blut, Gehirnprodukte, und dabei sind
sie vor lauter Aberklugheit doch noch verrechnet.
Die Aufschrift „Vom anderen Afer“ deutet schon darauf hin, daß wir
auf jene geheimnisvollen, enthüllungsträchtigen Schwellengebiete zwischen Leben
und Sterben geführt werden sollen, in jene besonderen Ausnahmszustände, wo
hinter dem Konventionsfirnis, unter starkem atmosphärischen Schicksalsdruck
etwas vom eigentlicheren Wesen eines Menschen bloßgelegt wird. Wo, um
noch einmal die Titelzeichen Schnitzlerscher Dramen anzuführen, die „letzten
Masken“ fallen und nach Schein und Selbsttäuschung die „lebendige Stunde" naht.
Am diesen „fruchtbaren Moment“ zu erlangen, braucht Salten Gewalt¬
maßregeln, er forciert, er zieht ihn an den Haaren herbei.
Er stellt z. B. in dem zweiten Stück, das der „Ernst des Lebens“ heißt,
zwei Widersacher in hochgespannter, kritischer Situation gegenüber, den jungen
Freiherrn, einen ästhetisierenden Genießer, und seinen Schwager, den Arzt,
einen selbstgerechten Konventionsmenschen mit Brustton und Gemeinplätzen.
Diese beiden Menschen können sich, das ist hier die Voraussetzung, nicht gegen¬
seitig ertragen; dem Freiherrn fällt schon die Gegenwart des anderen auf die
Nerven. And nun konstruiert Salten, damit er seine Situation auf Messersschneide
herausbekommt, die Anwahrscheinlichkeit, daß der innerlich so hochmütige und
verschlossene junge Mann, der sich aufgerieben und verbraucht fühlt, sich gerade
den verachteten, ihm unausstehlichen Verwandten als letzte Arzt=Instanz aus¬