2. Cuttings
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Kopf= und Herzensrechner
nicht mehr hineingehörig, und überall wittert er in den Mienen einen stillen
Vorwurf der unberechtigten, störenden Anwesenheit.
Und in einer — im Theaterstück freilich glatter als in der Lebenswirk¬
lichkeit funktionierenden — restlosen Konsequenz erfüllt er seinen „Hinterbliebenen“.
einen Teil seines Testamentes, macht unter seine bisherige Existenz einen ener¬
gischen Schlußstrich, löst sich aus allen Zusammenhängen und geht auf Reisen,
um ein wahres neues Leben anzufangen.
Nicht von den letzten Masken auf der Schwelle des Todes, sondern von
Maskenspielen des lebendigen Lebens handelt, freilich nur ganz skizzenhaft, der
Auftakt des Abends, „Graf Festenberg“. Salten schwebte dabei die so inter¬
essante Psychologie des Hochstaplers vor, deren flüchtige Amrisse man so oft
in den vermischten Nachrichten der Zeitungen findet: diese Naturen, die durch¬
aus nicht allein aus äußerer Gewinnsucht, sondern auch aus Eitelkeit und einer
entschiedenen äußeren und inneren Begabung zur höheren gesellschaftlichen Rolle
ihre „Fortune korrigieren“, dabei autosuggestiv an sich glauben und fast immer so
vollendet echt auftreten, daß die echten Kreise sie unbedenklich akzeptieren. Hier
steckt etwas von jenem Begriff der „Wahrheit der Masken“, etwas Seelen¬
wanderisches vielleicht, und ganz gewiß ein dichterisches Thema. Salten hat
dies Thema vom genialen Hochstapler, der sich innerlich als Aristokrat fühlt
und dem die aus „innerer Berufung“ angenommene Rolle sogar besser sitzt
als manchem legitimen Wappenträger, leider nicht zur menschlichen Ausgestal¬
tung geführt, sondern nur theoretisch in der Form von Vortrag und Diskussion
zur Verhandlung gebracht. Sie wird dadurch veranlaßt, daß der „Graf Festen¬
berg“ von dem eifersüchtigen Vetter seiner adligen Frau als Kellner entlarvt
und der Polizei übergeben wird. Als Abgangsspeach gibt es den durch Zwischen¬
rufe mühsam dramatisch gemischten Monolog über den hochstaplerischen In¬
dividualismus.
Auch in diesem Rechenexempel steckt wieder ein Rechenfehler, der das
Ganze brüchig macht. Alte Familien würden wohl in einem solchen „Reinfall¬
Fall“ immer den Skandal und die unheilvolle Kompromittierung durch Polizei¬
aktion und Prozesse vermeiden, sie jedenfalls nicht wie hier freiwillig provo¬
zieren. Salten denkt an so etwas gar nicht, er denkt nie weiter als an seine
Szene und was er aus ihr für Augenblickswirkung schlagen kann. In die
Begriffszusammenhänge und in die Gesamtvorstellungswelt seines Personals
versetzt er sich nicht. Es ist für ihn nur eine Spielzeugtruppe, die für einen
Augenblick effektvoll aufgestellt, dann wieder eingepackt und vergessen wird.
Wir gehen aus dem Theater und tun desgleichen ...
Wenn zwei dasselbe kun, dann ist es nicht dasselbe . .. Auch Bernard
Shaw, der Ire, der Hexenmeister ironischer Lebensspiegelung, den diese Be¬
richte oft im exzentrischen Reifensprung zeigten, ist ein Rechner; kein Schöpfe¬
rischer, dem seine Dichtung in einer Gestalt leibhaftig aufgeht, sondern ein
Denker und Philosoph, bei dem zuerst die „Idee“, der Einfall da ist. Sie
wird dann personifiziert und die darstellerischen Vorgänge sind im Grunde
Schachzüge des Verfassers, der eine programmatische Partie abspielt ...
Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe . .. Bei Salten ging die
Rechnerei durchaus auf einen Augenblickseffekt der dramatischen Situation aus,
auf etwas qualitativ ziemlich Niedriges, bei Shaw dagegen ist die Mathematik,
um im Bilde zu bleiben, sphärisch. Seine Kombination, sein spekulativer Aus¬
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Kopf= und Herzensrechner
nicht mehr hineingehörig, und überall wittert er in den Mienen einen stillen
Vorwurf der unberechtigten, störenden Anwesenheit.
Und in einer — im Theaterstück freilich glatter als in der Lebenswirk¬
lichkeit funktionierenden — restlosen Konsequenz erfüllt er seinen „Hinterbliebenen“.
einen Teil seines Testamentes, macht unter seine bisherige Existenz einen ener¬
gischen Schlußstrich, löst sich aus allen Zusammenhängen und geht auf Reisen,
um ein wahres neues Leben anzufangen.
Nicht von den letzten Masken auf der Schwelle des Todes, sondern von
Maskenspielen des lebendigen Lebens handelt, freilich nur ganz skizzenhaft, der
Auftakt des Abends, „Graf Festenberg“. Salten schwebte dabei die so inter¬
essante Psychologie des Hochstaplers vor, deren flüchtige Amrisse man so oft
in den vermischten Nachrichten der Zeitungen findet: diese Naturen, die durch¬
aus nicht allein aus äußerer Gewinnsucht, sondern auch aus Eitelkeit und einer
entschiedenen äußeren und inneren Begabung zur höheren gesellschaftlichen Rolle
ihre „Fortune korrigieren“, dabei autosuggestiv an sich glauben und fast immer so
vollendet echt auftreten, daß die echten Kreise sie unbedenklich akzeptieren. Hier
steckt etwas von jenem Begriff der „Wahrheit der Masken“, etwas Seelen¬
wanderisches vielleicht, und ganz gewiß ein dichterisches Thema. Salten hat
dies Thema vom genialen Hochstapler, der sich innerlich als Aristokrat fühlt
und dem die aus „innerer Berufung“ angenommene Rolle sogar besser sitzt
als manchem legitimen Wappenträger, leider nicht zur menschlichen Ausgestal¬
tung geführt, sondern nur theoretisch in der Form von Vortrag und Diskussion
zur Verhandlung gebracht. Sie wird dadurch veranlaßt, daß der „Graf Festen¬
berg“ von dem eifersüchtigen Vetter seiner adligen Frau als Kellner entlarvt
und der Polizei übergeben wird. Als Abgangsspeach gibt es den durch Zwischen¬
rufe mühsam dramatisch gemischten Monolog über den hochstaplerischen In¬
dividualismus.
Auch in diesem Rechenexempel steckt wieder ein Rechenfehler, der das
Ganze brüchig macht. Alte Familien würden wohl in einem solchen „Reinfall¬
Fall“ immer den Skandal und die unheilvolle Kompromittierung durch Polizei¬
aktion und Prozesse vermeiden, sie jedenfalls nicht wie hier freiwillig provo¬
zieren. Salten denkt an so etwas gar nicht, er denkt nie weiter als an seine
Szene und was er aus ihr für Augenblickswirkung schlagen kann. In die
Begriffszusammenhänge und in die Gesamtvorstellungswelt seines Personals
versetzt er sich nicht. Es ist für ihn nur eine Spielzeugtruppe, die für einen
Augenblick effektvoll aufgestellt, dann wieder eingepackt und vergessen wird.
Wir gehen aus dem Theater und tun desgleichen ...
Wenn zwei dasselbe kun, dann ist es nicht dasselbe . .. Auch Bernard
Shaw, der Ire, der Hexenmeister ironischer Lebensspiegelung, den diese Be¬
richte oft im exzentrischen Reifensprung zeigten, ist ein Rechner; kein Schöpfe¬
rischer, dem seine Dichtung in einer Gestalt leibhaftig aufgeht, sondern ein
Denker und Philosoph, bei dem zuerst die „Idee“, der Einfall da ist. Sie
wird dann personifiziert und die darstellerischen Vorgänge sind im Grunde
Schachzüge des Verfassers, der eine programmatische Partie abspielt ...
Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe . .. Bei Salten ging die
Rechnerei durchaus auf einen Augenblickseffekt der dramatischen Situation aus,
auf etwas qualitativ ziemlich Niedriges, bei Shaw dagegen ist die Mathematik,
um im Bilde zu bleiben, sphärisch. Seine Kombination, sein spekulativer Aus¬