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2. Cuttings
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Richard Wengraf, Eduard Poehzl
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kastischem Blinzeln unter die Nase zu gucken. Nur
Züge entdeckte, aus dem juristisch gleichgültigsten
dort, wo es sich um die Auswüchse moderner Kunst
geständigen Diebe eine prachtvolle, lustige Stizze,
und modernen Kunstgewerbes handelte, die vor
ein Kabinettstückchen liebevoller Charakteristik.
einigen Jahren stark grassierten, da hatten wir
Es war klar, daß man ein solches Talent nicht
Jüngeren Poetzl oft im Verdachte, als nähere er
auf die Dauer an den „Gerichtssaal“ verschwenden
sich bedenklich der Auffassung seines Helden. In
durfte, und so vollzog sich Poetzls Übergang zum
seinen feuilletonistischen Karikaturen der „Sezession“
Feuilleton. Seine Kriminalhumoresken aber haben
sondert er nicht immer Echtes von Unechtem, un¬
keine Fortsetzung und keinen Nachahmer gefunden.
klares, aber redliches künstlerisches Ringen von be¬
„Rund um den Stefansturm“ führte er seitdem
wußter schwindelhafter Mache. Fast schien es eine
seine Leser. Dies Gebiet ist nicht groß an Umfang,
Zeitlang, als habe Eduard Poetzl seinen Anhang
wenn es sich auch über das Weichbild der Stadt
unter der Jugend Wiens ver¬
hinauserstreckt und die Gren¬
loren. Aber als ein paar
zen nicht strenge gezogen sind.
Jahre ins Land gegangen
Vos den sanftgeschwungenen
waren, da zeigte sich's, wie
Kuppen des buchengrünen
so manches von der „neuen
Wienerwaldes gesehen, taucht
Kunst“ tatsächlich nichts ge¬
die feine Nadel des Turmes
wesen war als lecker Bluff,
aus dem Dunstkreise der Stadt
und man zürnte dem Kritiker
in lichte Höhen, von den
nicht mehr, der bisweilen
Niederungen des Marchfeldes,
übers Ziel geschossen hatte.
wo Sonntagsjäger sich zu
Poetzls bleibende kultur¬
fröhlicher Hühnerjagd zusam¬
historische Bedeutung liegt in
menfinden, kann man sie er¬
seinen humoristischen Schilde¬
blicken, und ist das ehrwürdige
rungen kleinbürgerlicher und
Wahrzeichen auch längst dem
proletarischer Typen?): Fiaker¬
Auge entschwunden, der Wie¬
kutscher, Omnibusschaffner, be¬
ner vom alten Schlag trägt
schäftigungslose, lichtscheue
es immer im sehnsüchtigen
„Pülcher“, Blumenweiber,
Herzen. So ein Wiener vom
Aushilfskellner, Kanzleigehil¬
alten Schlag mit all seinen
fen, Handwerker nicht ein¬
Vorzügen und Fehlern ist
mal die Kanalräumer, die
Eduard Poetzl, und daß er mit
„Könige der Nacht“, fehlen.
Tausenden seiner Mitbürger
Die Schwestern und Töchter
sind nicht gerade die
all dieser Herrschaften sind
schlechtesten — alle Dinge aus
als „süße Mädel“ längst lite¬
der Stefansturmperspektive be¬
raturfähig geworden. Junge
trachtet und empfindet, das
Dichter haben sie auf der
ist das Geheimnis seiner Po¬
Mariahilferstraße auf dem
pulorität. Dennoch, wer seine
Heimwege aus der Arbeit an¬
Schriften aufmerksan gelesen
Eduard Poetzl
gesprochen, haben ihnen Sonn¬
hat, wird wohl erkennen, daß
tags drauf die Schönheiten
ein gebildeter und kultivierter,
des Wienerwaldes gezeigt und nicht viel später die
sogar weitgereistei Mann sie geschrieben hat; daß er
schummerigen Heimlichkeiten verborgener Absteige¬
zwar den Dialekt beherrscht, philologisch beherrscht wie
quartiere. Haben sie auch heimgeleitet und ihnen
kaum ein Zweiter, daß er aber nicht von ihm be¬
vor dem Haustor die Hand geküßt, mit jener zärtlich¬
herrset wird. Nicht leicht kann man ein gepflegteres,
dankbaren Galanterie, die bei uns wenigstens die
sorgsameres Hochdeutsch schreiben als dieser Dielest¬
jungen Männer auch für die flüchtigen Gefährtinnen
autor; wenige seiner Landsleute sind so frei wie er
rasch verflogener Frühlingstage empfinden. Aber
von unbeabsichtigten Austriazismen, von saloppen
vor dem Haustore sind die Jünglinge die dichten¬
Sprachwendungen. Aber Poetzls Trick ist, daß er
den wie die anderen = immer wieder umgekehrt.
sein Wissen und seine Bildung zu verstecken weiß:
Man könnte glauben, daß die „süßen Mädel“ auf den
wohlerzogene Leute protzen in Gesellschaft nicht mit
Ringstraßenbäumen wachsen, wären nicht ihr Milien,
großen Banknoten. Oberflächliche, vielleicht auch
ihre Verwandten, ihre künftigen Gatten in Eduard
böswillige Kritik hat darum mitunter versucht, Poetzl
Poetzis Skizzen festgehalten. Wer den Schnitzler
mit seiner Schöpfung, dem „Herrn von Niger!“
des „Anatole“ und der „Liebelei“ recht verstehen
zu identifizieren. Das ist nicht das Schlimmste, was
will, muß durch sie durchgegangen sein. Der Um¬
man einem nachsagen könnte: denn der Herr von
weg mag niemand gereuen. Es steckt viel Lebens¬
Nigerl ist zwar ein ziemlich kräftig entwickelter
ernst in dem frohen Gelächter, das Poetzl entfesselt.
Spießbürger, der eine gewisse phäakische Freude
Aber auch dieses Gebiet, das ihm zu verdientem
an den nahrhaften Genüssen des Diesseits nicht
Ruhme verholfen hat, das humoristisch=ethno¬
verleugnet, aber er hat eine angeborene Noblesse
graphische, möchte ich nicht als Poetzls eigenste
in sich und eine altväterisch=verschämte Art, Gutes
Domäne ansprechen. Am reinsten sind seine Wir¬
zu tun, die den behäbigen Mann unbedingt sym¬
pathisch macht. Poetzl erklärt sich nicht solidarisch
mit Nigerl, bewahre, aber er hat viel für ihn übrig
Vgl. auch „Wiener Straßenleben“ von Eduard Poetzl.
Westermanns Monatshefte, Oktober 1909.
und für seine gesunde Art. den Dingen mit sar¬
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kastischem Blinzeln unter die Nase zu gucken. Nur
Züge entdeckte, aus dem juristisch gleichgültigsten
dort, wo es sich um die Auswüchse moderner Kunst
geständigen Diebe eine prachtvolle, lustige Stizze,
und modernen Kunstgewerbes handelte, die vor
ein Kabinettstückchen liebevoller Charakteristik.
einigen Jahren stark grassierten, da hatten wir
Es war klar, daß man ein solches Talent nicht
Jüngeren Poetzl oft im Verdachte, als nähere er
auf die Dauer an den „Gerichtssaal“ verschwenden
sich bedenklich der Auffassung seines Helden. In
durfte, und so vollzog sich Poetzls Übergang zum
seinen feuilletonistischen Karikaturen der „Sezession“
Feuilleton. Seine Kriminalhumoresken aber haben
sondert er nicht immer Echtes von Unechtem, un¬
keine Fortsetzung und keinen Nachahmer gefunden.
klares, aber redliches künstlerisches Ringen von be¬
„Rund um den Stefansturm“ führte er seitdem
wußter schwindelhafter Mache. Fast schien es eine
seine Leser. Dies Gebiet ist nicht groß an Umfang,
Zeitlang, als habe Eduard Poetzl seinen Anhang
wenn es sich auch über das Weichbild der Stadt
unter der Jugend Wiens ver¬
hinauserstreckt und die Gren¬
loren. Aber als ein paar
zen nicht strenge gezogen sind.
Jahre ins Land gegangen
Vos den sanftgeschwungenen
waren, da zeigte sich's, wie
Kuppen des buchengrünen
so manches von der „neuen
Wienerwaldes gesehen, taucht
Kunst“ tatsächlich nichts ge¬
die feine Nadel des Turmes
wesen war als lecker Bluff,
aus dem Dunstkreise der Stadt
und man zürnte dem Kritiker
in lichte Höhen, von den
nicht mehr, der bisweilen
Niederungen des Marchfeldes,
übers Ziel geschossen hatte.
wo Sonntagsjäger sich zu
Poetzls bleibende kultur¬
fröhlicher Hühnerjagd zusam¬
historische Bedeutung liegt in
menfinden, kann man sie er¬
seinen humoristischen Schilde¬
blicken, und ist das ehrwürdige
rungen kleinbürgerlicher und
Wahrzeichen auch längst dem
proletarischer Typen?): Fiaker¬
Auge entschwunden, der Wie¬
kutscher, Omnibusschaffner, be¬
ner vom alten Schlag trägt
schäftigungslose, lichtscheue
es immer im sehnsüchtigen
„Pülcher“, Blumenweiber,
Herzen. So ein Wiener vom
Aushilfskellner, Kanzleigehil¬
alten Schlag mit all seinen
fen, Handwerker nicht ein¬
Vorzügen und Fehlern ist
mal die Kanalräumer, die
Eduard Poetzl, und daß er mit
„Könige der Nacht“, fehlen.
Tausenden seiner Mitbürger
Die Schwestern und Töchter
sind nicht gerade die
all dieser Herrschaften sind
schlechtesten — alle Dinge aus
als „süße Mädel“ längst lite¬
der Stefansturmperspektive be¬
raturfähig geworden. Junge
trachtet und empfindet, das
Dichter haben sie auf der
ist das Geheimnis seiner Po¬
Mariahilferstraße auf dem
pulorität. Dennoch, wer seine
Heimwege aus der Arbeit an¬
Schriften aufmerksan gelesen
Eduard Poetzl
gesprochen, haben ihnen Sonn¬
hat, wird wohl erkennen, daß
tags drauf die Schönheiten
ein gebildeter und kultivierter,
des Wienerwaldes gezeigt und nicht viel später die
sogar weitgereistei Mann sie geschrieben hat; daß er
schummerigen Heimlichkeiten verborgener Absteige¬
zwar den Dialekt beherrscht, philologisch beherrscht wie
quartiere. Haben sie auch heimgeleitet und ihnen
kaum ein Zweiter, daß er aber nicht von ihm be¬
vor dem Haustor die Hand geküßt, mit jener zärtlich¬
herrset wird. Nicht leicht kann man ein gepflegteres,
dankbaren Galanterie, die bei uns wenigstens die
sorgsameres Hochdeutsch schreiben als dieser Dielest¬
jungen Männer auch für die flüchtigen Gefährtinnen
autor; wenige seiner Landsleute sind so frei wie er
rasch verflogener Frühlingstage empfinden. Aber
von unbeabsichtigten Austriazismen, von saloppen
vor dem Haustore sind die Jünglinge die dichten¬
Sprachwendungen. Aber Poetzls Trick ist, daß er
den wie die anderen = immer wieder umgekehrt.
sein Wissen und seine Bildung zu verstecken weiß:
Man könnte glauben, daß die „süßen Mädel“ auf den
wohlerzogene Leute protzen in Gesellschaft nicht mit
Ringstraßenbäumen wachsen, wären nicht ihr Milien,
großen Banknoten. Oberflächliche, vielleicht auch
ihre Verwandten, ihre künftigen Gatten in Eduard
böswillige Kritik hat darum mitunter versucht, Poetzl
Poetzis Skizzen festgehalten. Wer den Schnitzler
mit seiner Schöpfung, dem „Herrn von Niger!“
des „Anatole“ und der „Liebelei“ recht verstehen
zu identifizieren. Das ist nicht das Schlimmste, was
will, muß durch sie durchgegangen sein. Der Um¬
man einem nachsagen könnte: denn der Herr von
weg mag niemand gereuen. Es steckt viel Lebens¬
Nigerl ist zwar ein ziemlich kräftig entwickelter
ernst in dem frohen Gelächter, das Poetzl entfesselt.
Spießbürger, der eine gewisse phäakische Freude
Aber auch dieses Gebiet, das ihm zu verdientem
an den nahrhaften Genüssen des Diesseits nicht
Ruhme verholfen hat, das humoristisch=ethno¬
verleugnet, aber er hat eine angeborene Noblesse
graphische, möchte ich nicht als Poetzls eigenste
in sich und eine altväterisch=verschämte Art, Gutes
Domäne ansprechen. Am reinsten sind seine Wir¬
zu tun, die den behäbigen Mann unbedingt sym¬
pathisch macht. Poetzl erklärt sich nicht solidarisch
mit Nigerl, bewahre, aber er hat viel für ihn übrig
Vgl. auch „Wiener Straßenleben“ von Eduard Poetzl.
Westermanns Monatshefte, Oktober 1909.
und für seine gesunde Art. den Dingen mit sar¬
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