VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 99

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2. Cuttings

im C
hat man zum Visavis? Da sitzt der Herr von sah ihren Ruf als Patriotin gefährdet und fuhr
licht. Alles Leben spielt sich innen ab. Draußen?
struier
gewandt fort: „Ich meine ja nur so. Natürlich,
Hoffmannsthal und der Doktor Schnitzler. Und
Also Sie stehen auf, gehen spazieren, sind an
Straß
wie kann man vergleichen! Aber diese schlanken
der alte Baumeister redet mit Klimt. Und der
die Leipziger-, Potsdamerstraße gewöhnt, an
Leutnants in den süßen knappen Uniformen — zum 2
Schönherr liest Zeitung, und Jakob Wassermann
die großen Plätze Berlins; Sie sind gewöhnt,
wie reizend sind sie! Gar nicht so unerschwing= wie si
kommt so gemächlich herein, und der elegante
zugleich rechts und links, nach vorn, nach hinten
blich wie bei uns. Einfach Menschen! Junge sein kö
Herr Korff macht einen neuen Mantelschnitt
zu sehen; sind darauf trainiert, an Auto,
diese A
Männer, Herren, die erreichbar sind, legitim zu
populär. Und drüben lacht die Niese, ganz so
Tram, Droschke vorbeizuspringen, zu laufen,
„O,
ekobern! Und überhaupt, die Wiener Herren!
rührend=lustig, wie auf der Bühne. Und die
zu flüchten; sind an größte Eile gewöhnt, an
kennen
Frau Gerti kommt und holt ihren Mann ab. auter Anatols und Fritzen, manchmal auch ein
riesige Entfernungen. Hier! In Wien? Welch
lichkeit
Mar dazwischen. Und die Mädels — lauter
Und in einem anderen Kaffeehaus sitzt die Opes
liebes, gemächliches Treiben, welches freund¬
die P#
Christinen und Mizzis. Die Luft ganz Liebe,
und dort die ganz junge Literatur. Und es sieht
liche Warten der Elektrischen, bis man über
schon,
Sinnlichkeit, Leichtsinn, schnell getrocknete
doch wirklich aus, als ob's in Wien nur berühmte
den Damm hinüber ist. Wenn sich zwei Autos
allen
Tränen; Wehmut, die lächelt; Heiterkeit, die
Leute gäbe. Und alle so populär. Jedes Kind
begegnen, bedeutet es eine Verkehrsstockung
Fraue
leise weint. Und der Kahlenberg! Wer glücklich
sagt zum anderen: „Du, da kommt der Herr von
wegen Ueberlastung der Straßen. Und überall
schön
ist, fährt hinauf. Und darum ist er immer voll.
Beer=Hofmann. Geh, sag' ihm Grüß Gott.“
an allen Ecken Wachmänner, die mit gro߬
steller
Kann man in Wien unglücklich sein? Wien ist
Und alle so herzig freundlich, ganz wie richtige
artigen Gebärden einen unsichtbaren Verkehr
Fraue
Tanz!“
Leute. Und dann alle zur Spazierfahrt in den
#regeln, die weißbehandschuhten Hände immer
halten
Aber da sah das Fräulein plötzlich, daß der
Prater.“
verzweiflungsvoll in der Luft, als gälte es,
von K
Herr neben ihr ganz ernst und still geworden
unüberwindliche Schwierigkeiten zu entwirren.
„Ja, aber man traut sich kaum einen Fiaker
1a?“
Genie
war. „Was haben Sie?“ rief sie wieder.
zu engagieren. Denn die Kutscher sehen akkurat
Aber man — das heißt: der Berliner — staunt
Und da sagte er: „Ja, Anatol und Christin'.
.N
wie die Grafen aus. Sie kaufen ihre Garderobe
nur sprachlos diese Stadtleere an.“
Aber erinnern Sie sich nur: auch in Wien gibt's
gend,
gewiß in einer Kleiderschwemme und tragen
„Natürlich, denn alles sitzt ja im Café.
den Herrn von Sala, gibt's die Johanna, die
Ich fi
nur englische Sportpaletots und Hofschneider¬
Drinnen die Literaten bei den Zeitungen, die
Genia und ihren Mann. Wissen Sie, was ich
keitn
röcke. Und sie fahren wie der Teufel, toll und
Künstler bei den Journalen. Draußen die
Wien 1
glaube: ganzes, tiefes Unglück gibt's nur in
sicher, stolz wie ein Herzog, der seinen Gast
Nichtstuer, die medisieren und warten, ob doch
Wien, wie es dort die heiterste Freude gibt.
zerrt
führt. Ihnen gehört die Stadt, und sie zeigen
nicht mal einer vorübergeht, den man heran¬
Nur daß dort Unglück sich leichter verklärt.“
zusam
sie voll eitler Anspruchslosigkeit.“
rufen oder bekritteln kann.“
Wiens
„Aber nun,“ rief das Fräulein, „möchte ich
„Und im Prater,“ fuhr das Fräulein ver¬
„Glauben Sie eigentlich, daß man in Wien
„Go
doch wirklich wissen, woher Sie so gut Wiens
zückt fort, „welches süße, harmlose, un¬
arbeitet?“
ist Wi
Seele kennen, als Fremder, nie Dort¬
schuldig - ausgelassene Volkstreiben! Welche
„Kaum. Wenigstens merkt man's nie.“
mit r##
gewesener...“
delikate Eleganz! Tausend Wagen fahren an¬
„Aber es gibt doch so viele Dichter dort!“
Arbeit
„Ja, ich bitte Sie, wozu hat Berlin seine
ekhander vorüber. Da zeigt sich Wiener Schick
„Wissen Sie, im Vertrauen, die dichten im
Verkeh
Zeitungskorrespondenten dort? Lesen wir hier
und Anmut, Vornehmheit und Liebenswürdig¬
Eafé. Wir wissen doch hier ganz gut, daß
Ausga
in unseren Blättern nicht jede Woche so eine
keit. Die Herren zu Roß daneben. Ein ewiges
Piebelei einfach zwischen unzähligen Melangen
und
reizende Plauderei, aus denen zusammen man
Grüßen, Plaudern hinüber, herüber. Bois de
und Kaffeehaut geschrieben wurde und der
korrig
sich dann jenes Bild von Wien macht, das ich
Boulogne verblaßt. Die Wiener Gesellschaft
Graf von Charolais“ auf einem Marmortisch¬
nen, d
Ihnen soeben entwarf? Diese jungen Wiener
ist die erste Europas. Die Offiziere...“
chen am Ring, während man am Nebentisch
„Na
Literaten schicken uns ja Feuilletons und
„Ha!“ rief der Herr und fühlte sich ganz
auf die Schimpfredner im Parlament
und st
Bücher, die sich mit Wien beschäftigen.“
preußischer Unteroffizier, bis wohin er es ge¬
schimpfte.“
Tiefste
„Aber,“ sagte das nachdenkliche Fräulein,
bracht hatte. „Ha!“ Und eine furchtbare
Das Fräulein rief entzückt: „Ach je, das Café!
sie nuß
„ob das auch stimmt? Ob nicht vielleicht diese
Drohung lag in diesem Ausruf.
Ich bitte Sie, man kommt hinein, ißt göttlichen
Ruchen, trinkt himmlischen Kaifen und men! Das Fräulein, total eingeschuchtert, erschreckt, blassen und ätberischen jungen Herren sich da! Ber
M