VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 108

2. Cuttings

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hat im Verhältnis zu dem Geräusch, mit dem sie ein¬
setzte, nicht sehr viel Dauerhaftes geschaffen. Ihr
bester Bühnendichter Gerhart Haudtmann kam von
einer Seitenlinie zu ihr, aber er ist ihr Haupt geworden
und ist es vorläufig auch noch, trotz des so oft verkün¬
deten „Bankrotts seiner Kräfte. Besonderes Theater¬
blut hatten seine „realistischen“ unter lbsens Einfluß
nach Zeit-Stoffen gestalteten Bühnenwerke nicht,
(„Vor Sonnenaufgang“, „Friedensfest“, „Fuhrmann
Henschel“, „Biberpelz“), aber Leben hatten sie.
Und Leben haben auch die „Märchendramen“ und
„Legendenspiele“, in denen Hauptmann nun eine
sinnende und träumende, aber auch anschauungs¬
kräftige und oft ganz merkwürdig symboltiefe, an
Lebenserfahrung und an Naturgefühl so feine wie
reiche Kunst vor uns ausbreitet, mitunter nur mit zu
flüchtiger Ausführung („Versunkene Glocke“, „Han¬
nele“, „Und Pippa tanzt“, „Kaiser Karls Geisel").
Wer’s kann, sollte doch seine Gesamtwerke kesitzen.
Hennann Sudermann wurde vor zehn Jahren mit ihm
in einem Atem genannt; heute werden sich unsere
Leser wohl begnügen, aus literarischem oder kultur¬
geschichtlichem Interesse zwei oder drei seiner früheren,
besseren Werke kennen zu lernen (etwa „Die Ehre“
und „Sodoms Ende“). Aus demselben Grunde wäre
einer der Versuche zu einem „konsequent natura¬
listischen“ Drama, etwa Holz-Schlafs „Familie Selicke“
oder Schlafs „Meister Oelze“ zu empfehlen. Freilich,
sowohl Holz wie Schlaf stehen an Kunsternst weit
über Sudermann. Halbe hat leider nur in zerstreuten
Einzelheiten gehalten, was er mit seiner lebenswarmen,
wenngleich etwas sentimentalen „Jugend“ und dem
kräftigen Heimatstück „Mutter Erde“ versprach.
Hartleben eroberte mit dem „Rosenmontag“ die Bühne,
mehr Kunst steckt aber in dem satirischen Schliff
seiner kleinen Komödien. Otto Ernst erreichte nicht an¬
nähernd wieder die lebendige Frische und Tüchtigkeit
seiner „Jugend von heute“, deren Schwächen wir damals
hinter ihren Stärken übersahen. Auch der Münchner
Joseph Ruederer brachte beim ersten frischen Griff ins
Menschenleben mit seiner „Fahnenweihe“ sein Bestes.
Wedekind wird man als Zeiterscheinung gelten lassen
und wenigstens in einzelnem kennen lernen wollen,
auch wenn man die sensationellen Erfolge seiner
Theaterstücke („Frühlings Erwachen, „Erdgeist“)
andern Gründen zuschreibt, als seine Verehrer tun.
Wenn wir nach ihm Arthur Schnitzler nennen, geschicht
dies im Bewußtsein des weiten Abstandes, der diesen
oft gar zu feinen Analytiker und zagen Former gerade
von Wedekind trennt. Die Dramen „Der einsame Weg“
und „Liebelei“ dürften ihn am besten kennzeichnen.
Verwandt mit ihm, aber ungleich wärmer im dichte¬
rischen Empfinden ist Graf Eduard Kepserling
(„Frühlingsopfer“, „Benignens Erlebnis“). — Auf an¬
deren Wegen als diese Genannten, die sich noch mehr
oder minder um Ton und Gebärde des Alltags mühen,
gehen die „Stil“sucher, deren äußere Erfolge freilich
bisher gering genug waren. Zu ihnen dürfen wir vor
allem Carl Hauptmann rechnen. Der schillernde, ton¬
und tönchenreiche Hugo von Hofmannsthal kam auf
der Bühne, trotz seiner Erfolge auch bei Literaturleuten,
über mehr sprachlich erlesene, als ursprünglich ge¬
schaffene stimmungsweiche Dialoge selten hinaus,
sein Bestes ist wohl die „Hochzeit der Sobeide“.
Gleich ihm war früher mit Stephan George eng ver¬
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bunden Karl Pollmoeller, der die matte, aber fein¬
gefeilte „Katharina von Armagnac“ schrieb. Um ein
neues „großes“ oder „historisches“ Drama ringen
manche, die in Vorreden und Büchern auch als Asthe¬
tiker das Wort ergriffen haben. Zu ihnen gehört, als
der bis jetzt im Erfolge glücklichste und dichterisch
der bedeutendste Wilhelm von Scholz („Jude von
Konstanz“, „Meroé“), Hans von Gumppenberg („König
Konrad 1“, „König Heinrich 1“), Julius Bab („Der
Andere“), Paul Ernst („Demetrios“), der Literatur¬
historiker „d. Bartels (Luthertrilogie) und sein bit¬
terster Feind Samuel Lublinski („Peter von Rußland“),
sowie Otto Erler („Zar Peter“). Der Rheinländer
Herbert Eulenberg vermochte sich mit keinem seiner
zahlreichen Werke auf der Bühne zu behaupten,
ebensowenig Leo Greiner mit seinem „Liebeskönig“.
Wenigstens Aussicht dazu haben vielleicht Ernst Mardt
(„Kampf ums Rosenrote“), und Eberhard König („Kö¬
nig Saul“), Karl Röfler („Der reiche Jüngling“) und
Cimmerthal („Aschenbachs“).
In Fortsetzung der „realistischen“ Linie, zum
Teil mit bedenklichen Konzessionen an die Bühnen¬
wirksamkeit, haben sich in den letzten Jahren
eingeführt: Otto Falckenberg, Heinrich Liiensein.
Hermann Stehr (vergl. die Liste). Erich Schlaikjer
hatte mit „Des Pastors Rieke“ einen ehrlichen Erfolg.
Große Hoffnungen starben mit dem jungen Ham¬
burger Fr. Stavenhagen („De ruge Hoff“, „Mutter
News“). Der kräftige Österreicher Karl Schönherr
schlägt auf Anzengrubers Bahnen auch eigene Töne
an („Sonnwendtag“ und „Erde“). Reich an Ge¬,
staltung, Herzenskraft und Humor ist Emil Strauß'
„Hochzeit“; auf der Bühne wird sie freilich so Gen
zu halten sein wie sein „Dom Pedro“. Zum Schlul##
noch einen Hinweis auf zwei Märchenspiele: „Dorn-
röschen“ von Ricarda Huch und „Das böse Prinze߬
chen“ von Gabriele Reuter. Sie möchten helfen, die
albernen „Weihnachtsmärchen“ auf unseren Bühneng
überflüssig zu machen.
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