VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 127

2. Guttings box 38/4
1867, R. G. Bl. Nr. 141, „provisorische Notverordnung an das Abgeoronetenhaus erfoigte. Tae.
Reichsrat in der S
Gesetzeskraft zukommt, deren Geltungsdauer jedochgegen defiziert diese Bedingung mit der rechtzeitig be¬
zeitige Vorlage der #
wirkten Vorlage der Notverordnung, so daß es für deren
von der noch ausstehenden Beschlußsassung des Reichs¬
weiteres Schicksal ganz irrelevant ist, ob die Regierung schlußfassung gelang
rates abhängt. Da drängt sich notwendig die Frage auf:
dann könnte die Re
Was oll mit diesen 67 Notverordnungen geschehen? Soll nach Schließung der Session oder nach Auflösung des
das Provisorium ewig währen?) Welcher Weg ist ein= Abgeordnetenhauses die unerledigt gebliebene Notverord= auf einfachste Weise
zuschlagen, um die fatalen Reste eines parlamentarischen nung gar nicht mehr oder nicht binnen vier Wochen] Die Regierung könn
Denkweise, des Gef
französelnden Persönlichkeit heraus beobachtet und schildert
also keineswegs etwas Abnormes oder gar in sich Wider¬
in denen, so gering
er nun das heimatliche wienerische Leben und Lieben.
Wien sich verrät, wi
sprechendes, daß dieser Dichter des Todes zugleich mit
Wenn ich etwas von Schnitzler lese, meine ich, franzö¬
virtuosen Photograp
einem Boccaccio oder Pietro Aretino in erotischer Kühn¬
sische Worte, Phrasen und Tonfälle wie aus der Ferne
heit wetteifert. Der Zeugungsakt und das Sterben ver¬
leise mitklingen zu hören. Das soll kein Tadel sein. kennt und empfindet
so sehr die schwere
halten sich nun einmal zueinander wie Komplementär¬
Nur das eigentlich Schnitzlersche an Schnitzler soll
farben; wer die eine stark empfindet, muß, ob er will
namentlich d
charakterisieren, diese einzige Verschmelzung französischer
groben Urwienerisch
oder nicht, auch die andere stark empfinden. Dadurch
Klarheit und prickelnden Pariser Esprits mit Wienerischer
der Welt, aus der
aber sind die erotischen Dichtungen Schnitzlers auch weit
Liebenswürdigkeit, Wienerischer Liederlichkeit, Wienerischer
gesprochen werden.
mehr als Nuditäten; der dunkle Hintergrund des
Traulichkeit und Wienerischem Humor,kurz, mitallen Stoffen,
ihm den Charakter,
großen Mysteriums, vor dem sie sich abspielen und dessen
welche die Atmosphäre Wiens sättigen und ihr die an¬
der Menschen zuflü
unheimliche Nähe man bei Schnitzler immer fühlt, auch
heimende Molligkeit und das charakteristische Aroma ver¬
Sprache, die Lieut¬
wo er seinen Humor leuchten läßt, adelt sie — beinahe
leihen. Sind es doch die Franzosen, welche die Novelle
mit so unfehlbarer
und die Komödie befähigt haben, das nur mit den feinsten
zur Poesie.
Gustl wäre die Ge
Schnitzlers Erotik, das werden auch solche nicht be¬
Nervenspitzen zu empfindende, begrifflich schier undefinier¬
dieser Mensch in d
streiten, die für seine diskrete Kunst die höchste Bewun¬
bare indiriduelle geistige Fluidum einer Stadt und einer
glänzenden Satire
derung hegen, ist eine ziemlich eng begrenzte. Es is
Bevölkerung mit erlesener Sprachkunst zu erhaschen
wienerische Erotik, in deren Mittelpunkt der von Schnitzler
so daß der Leser des Buches mit seiner Braut ü
und festzuhalten,
ins Heimatliche umgebildete Typus des „süßen Mädels“
Stadt, aus deren großem Leben trossen haben. Von
mitten in der
Juben gewesen
Episode
steht. Man# at zu sagen, daß Wolzogen diesen Typus
oder novellistische
eine dramatische
g'macht haben.“E
Atmosphäre
geschaffen hat. Der Name mag von ihm sein, aber der
schildert wird, zu wohnen und ihre
flüchtigen Zuge stig
Typus selbst ist in Wahrheit ebenso alt wie die moderne
zu atmen glaubt. Alle europäischen Nationen haben den
deutsche Poesie. Goethes Gretchen ist die Urgroßmutier
Immer wieder
Franzosen diese Technik abgelernt und sie den besonderen
aller deutschen „süßen Mädeln“, und Melitta und Hero
Zuständen, die sie zu schildern hatten, angepaßt, die Aufforderung gerich
gehören, trotz griechischer Tracht und fünffüßigem Jambus,
großen russischen Romanciers nicht minder als die Stils zuzuwenden.
auch zur Familie. Ob Schnitzler diese seine Lieblings¬
vordischen Dramatiker. Ibsen ohne Dumas und Turgen= obwohl in Wien
gestalt frischweg und unmittelbar aus dem Wiener Leben
angehäuft ist. Wes
je ohne die George Sand ist ebensowenig denkbar als
herausgegriffen hat? Ich zweifle daran. Dem wienerischen
Ferdinand v. Saar ohne den Schüler der Franzosen er zu sehr Poet un
Erdgeschmack, den auch der hornierteste Antisemit
zu können. Die
Turgenjew und — Schnitzler ohne Guy de Maupassant.
Schnitzlers Sachen nicht wird abstreiten können, ist eine
Da liegt nicht Nachahmung vor, sondern Abstammung und feineren Geist
zarte Blume beigemischt, die auf einen anderen Ursprung,
gemütlichen Wien, i
und Familienähnlichkeit. So dürfte auch das „süße
die nach Paris deutet. Schnitzler, wie viele seiner Nach¬
spiel, wie man es
Wiener Mädel“ als lokale Spielart des Pariser Studenten¬
ahmer, die heute das literarische Wien überschwemmen,
müßte er vor allem
liebchens, der Grisette, anzusprechen sein; dieses angenehme
wäre, wenigstens in seiner ersten Zeit, gewiß lieber ein
stände Sinn und
Geschöpf ist also, wie oben angedeutet, auch ein wenig
eleganter junger Pariser Autor gewesen als ein Wiener.
Dichter in ihm ganz
literarischen Ursprungs.
Die „Unatol'=Maske, in welcher er seinen ersten großen
haben nur für dr
Obwohl bei den meisten Sachen von Schnitzler in
Erfolg errang, verrät diese Sehnsucht, dieses der sozialen
und fürs Komödie
Stoff und Stil ein gewisser Parallelismus mit Pariser
Schichte, der Schnitzler entstammt, eigentümliche Heimweh
tur ist er in diese
Urbildern nachgewiesen werden könnte, so muß man ihm
nach Paris. Indem Arthur Schnitzler sich Anatol taufte,
märzes. Deshalb,
doch zugestehen, daß er die angeeigneten Formen mit
gelang es ihm, wie ein Schauspieler, der sich leiblich und
echtem frisch pulsierendem Wiener Blut zu füllen gewußt man ihm zutraut,
feelisch bis an die Grenze der Identifizierung in eine
hat. Zwar nicht das ganze Wien, aber Geist und Wesen schärfste und dis
Rolle hineinlebt, auch sein innerstes, wienerisches Selbst
gewisser Schichten und Koterien der Wiener Gesellschaft Wiens, daß ein ##
im pariserischen Sinne umzufärben und sich fortan so zu
lebt in Schnitzlers Büchern und Komödien. Der Leser wie dieses uns vo
fühlen, als ob er ein geborener Anatol oder Raoul und
die Ringstraße das Boulevard und der Prater das Bois fühlt sich immer wieder froh überrascht, in Schilderung „süßen Mädel“,
wären, und aus dieser ein ganz klein wenig anaffektierten! der Natur und der Menschen gewisse typische Züge der allen Formen.