VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 132

—.—
2. Cuttings box 38/4
V. 1oeMe.. T.. Molltter. U.. —
Leiche. Der Verstorbene war erst 24 Jahre alt.
ist unlangst ein mit der Tollwut behafteter Hund getötet
Straf. Von
u. Pillkallen, 24. August. [Angefundene Brieftaube.
worden. Aus diesem Grunde ist über die Ortschaften Laußen,
von Spreng¬
Unglücksfall.] Vor einigen Tagen fand sich in dem Dorfe
Schwirslauken und Korehlen, hiesigen Kreises, die Hundesperre bis!
die Granate
Endruhnen eine bräunliche Brieftaube an, welche am Fuße einen sil¬
Dem Vaterländi¬
abgebrochen,
zum 8. November angeordnet worden.
lschen Frauen=Zweigverein für das Kirchspiel Laukischken] bernen Ring mit den Zeichen „W. S. 28.1900“ trug. Der Amtsvorsteher
er Umgebung
„Bertha v. Oesterreich“, in dem er ähnlich wie Raimund mit einer
Spiel, das vielfach diesen Darstellungen einen hervorstechend eigen¬
on dem ver¬
rührenden Unbeholfenheit nach Kränzen, die ihm versagt sind, greift.
tümlichen Zug gibt: die Vertrautheit mit physiologischen und patholo¬
Und selbst
Aber das ist es nicht, was ich meine. Anzengruber bannt in diese
gischen Zuständen, der ausgebildete Sinn für die Verwandtschaft
ins Auge zu
Sphäre alle Menschheitsfragen hinein, die Tragik der wirtschaftlichen
zwischen Leidenschaft und Krankheit. Die Richtung
ichte an.
Gegensätze, des Proletariats und des Protzentums, die Fragen der
des Blickes für solche Erscheinungen war für Schnitzler von Hause aus
nt, von Nei¬
Religiosität und der Gewissenssophistik, den Kampf zwischen Ver¬
bestimmt. Sohn eines Professors der medizinischen Fakultät, eines
be und Licht
dummung und Aufklärung, das Schwanken zwischen Verzweiflung
angesehenen Laryngologen, wurde er selbst früh zum Arzt gebildet:
al seine Ge¬
und beglückender Resignation, er ist in all seiner Begrenzung universell.
er übte bereits die Praxis aus, als seine ersten dichterischen Werke
Skizze aus
weil er den Menschen in seinem Verhältnis zum Universum faßt.
an die Oeffentlichkeit traten. Unter den dichtenden Aerzten,
adu“, oder
Anders Schnitzler. Die Gegenwart, die er meint und behandelt,
deren von Justinus Kerner bis Leander=Volkmann
kleier der
ist nicht nur lokal und zeitlich, sondern auch innerlich begrenzt, eine
eine lange Reihe in unserer Literatur zu verzeichnen ist, ist Schnitzler
ur, aus der
ganz bestimmte Welt von Interessen, in die er sich immer tiefer ein¬
wohl derjenige, bei dem der Beruf am meisten auf die Dichtung abge¬
dere Schicht
wühlt, ohne über sie hinaus zu kommen, die Sphäce der sexuellen
färbt hat. Ich denke dabei nicht nur an all die Krankheitsszenen, die
d Erziebung
e
Täuschungen und Selbsttäuschungen, in der der moderne Gesellschafts¬
in der Novelle „Sterben“, im Schauspiel „Vermächtnis“
die in einem
mensch — in seiner Darstellung der Wiener und die Wienerin —,
in den Skizzen „Abschied" und „Die Toten schweigen“
endung ins
die Lebenskraft oder das Leben selbst an Illusionen, an schöne
und vollends in der feinen und tiefsinnigen Spitalkomödie „Letzte
ist eine an¬
Träume oder an häßlichen Taumel dahingibt. Das ist für manchen
[Masken“ enthalten sind, sondern vor allem an den Mut, mit dem
Bauern¬
Menschen der Lebenskern und ist dennoch nicht das Leben. Schnitzler
Schnitzler einen eigentümlichen tragischen Zusammenhang bloßlegt.
orden. In
begnügt sich darin; allen seinen Werken könnte man eine Frage aus
eine besondere Seite der Lebenstragik, das Anein¬
lschaftstypen
seinem Jugenddrama: „Unsere lustigen Arentüren, sind sie nicht
anderstoßen und Ineinanderwirken des sinnlichen Genusses und der
ünstler von
eigentlich unsere traurigen?“ als Motto an die Stirne schreiben.
körperlichen Hinfälligkeit, die Abhängigkeit des ausschweifenden und
es auch gut¬
Der Kreis seiner Beobachtungen und Menschenergründungen ist
leidenden und vergehenden Menschen von denselben Nerven, die Him¬
des Leicht¬
eigentlich in den drei ersten Arbeiten in der höchst originellen Folge
mel und Hölle für ihn bedeuten, die psychophysische Einheit im Be¬
senen Kreise
von Dramoletts: „Anatol“ (1893), in der Novelle „Sterben“
gehren und Verzweifeln, die Schnitzler bald in unheimlichen Ueber¬
nGrisetten
(1895) und in dem Schauspiel „Märchen“ (1894) beschlossen.
gängen, bald in jähen Umstimmungen so ergreifend darzustellen weiß,
Seite, die er
Vertieft hat er wohl seither die bisher aufgeworfenen Fragen, erweitert
daß selbst das Verwegen=Sinnliche dadurch der Gemeinheit entrückt
hat er sie nicht. Ja, was die Gespräche „Anatol“ anlangt, so kann
und in Lebenstragik gewandelt wird. Selbstverständlich war auch
n Grenz¬
man sagen, daß er sie seither nicht übertroffen hat. Aehnliche kleine
dieser Boden schon bereitet. Ganz naiv zeigen schon die alten italieni¬
den breiten
Meisterücke des satirischen Humors h## er später nicht wicher geboten.
schen Novellisten diese grauenhafte Kehrseite der Sinnlichkeit, und
sich mit der
sie fallen offenbar in die erste Zeit seiner Nachdenklichkeit über die
Nachklänge dieser tiefen organischen Beziehungen findet man in einer
urchzukosten,
Frivolität und haben infolgedessen noch einen naiven Schivimer den
Novelle von Kleist, in einer merkwürdigen Geschichte von Goethe, und
gebundenheit
Selbstironie, der später im Lichte einer bewußten Reflexion verblaßt.
vereinzelt bei französischen Erzählern. Aber Schnitzler hat die Dur#h¬
tnisse ist das
Sie sind das Hauptwerk seiner homoristischen Begabung. Anatol,
bilbung dieses Zusammenhanges zu seiner Spezialitär gemacht: die
ng. In die
ein jungeelicher Weibernarr, der sich einbildet, ein Lebemann zu
Verwandtschaft von Taumel und Tod, vom Vergehen in erotischer
Resignation
sein und es in gewissem Betracht auch ist, aber jedes Abenteuer mit
Verzückung und pathologischer Verzweiflung schlägt fast überall bei
e ans Licht
vergeblichen Glücksträumen und Zweifeln beschwert, wird durch eine
ihm durch.
Toren des
ganze Folge von Liebesverhältnissen hindurch geführt, in denen er
Schnitzler ist nicht allzu früh hervorgetreten; 1862 geboren,
sich charak¬
immer wieder zweifach bestßmt wird, in seiner Schwäche und seinem
hatte er das dreißigste Lebensjahr überschritten, als seine ersten
er Lebewelt,
energielosen Idealismus. Ein nüchterner Freund ist ihm als hilf¬
größeren Arbeiten ans Licht kamen. Dennoch gehört er zu den früh
llungen hin¬
reicher Mephisto beigegeben, während in den Frauengestalten sich alle
entwickelten Talenten; er zeigte sich als ein „Fertiger“, geschlossen
rmeintlichen
Abarten der galanten Weiblichkeit spiegeln. Die Ironie dieser Ge¬
in der Form, begrenzt in der Welt seiner Anschauungen; Ton, Stoff¬
cht. die mit
spräche ist von der feinsten und graziösesten Art. Charaktere werden
kreis und die Art, die Motive zu fassen, waren in ihm vorgebildet,
weite Leben
in Meisterstrichen angedeutet, kostbare Einfälle absichtslos hingestreut
die Virtuosität wie die Enge, die in innerer Beziehung zu
llschaft aus¬
trotzdem fast nichts auf die Augenblickseffekte berechnet ist und die
einander stehen. Das Entscheidende daran ist nicht, daß er vor¬
Existenzen
meisten Wendungen nur von Feinschmeckern genossen werden können,
wiegend eine lokal bestimmte Gegenwart, eine besondere Sphäre des
rschen Dich¬
haben einzelne dieser dramatischen Humoresken auch auf der Szen¬
Wiener Lebens behandelt, und wenn er darüber hinausgreift, eigent¬
scher Satire
geloirkt, hier und dort die „Episode" und „Denksteine“, am
lich nur dieselben Gestalten in andere Kostüme steckt. Auch Anzen¬
Mensch sich
häufigsten das „Abschiedssouper“ mit dem köstlich derbfeinen
[gruber bewegt sich nur in zwei gegenwärtigen Sphären, die nah
schütternden
Humor der Tänzerin, deren naive Rücksichtslosigkeit den Hochmut des
aneinander grenzen, in der alpinen Bauernwelt und in dem Wiener
der sie das
Lebejünglings, der sich von ihr trennen will, übertrumpft.
Vorstadtleben — abgesehen von einem nicht ganz gelungenen Salon¬
(Schluß folgt.)
Bildung ins stück und einem fragmentarischen Versuch in der Jambentragödie