VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 138

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eines Tages ein jähes Ende nimmt. Sie langweil# viel innere Phnlichkeit. Das mutet aber nicht wie
ihn, oder eine andere gefällt ihm besser, oder beides
eine Wiederholung an. Immer sind es andere Menschen,
trifft zu. Mit unnennbar rührender Anast klammeri
die andere wollen, anderes erleben und anderes lei¬
sie sich an die geringste Hoffnung: es ist ihr ja so
den abes das sonderbare Gemisch von Traurigkeit und
schwer, das Gräßliche zu begreifen. — Sie lernt es
Sentimentalität haben alle. Anatol gehört der ver¬
bald. Sie sieht ein, daß das Ende des einen Ver¬
mö#nden Bürgerklasse an, dem Stande, in dem
hältnisses für ihn nur der Anfang des neuen ist und
Scmitzlers Dichtungen zumeist spielen. Man geberdet
daß sie ihm nicht mehr war als viele andere vor
suh hier oft international, raucht ägyptische Cigaretten,
ihr, eine Zerstreuung. Datötet sie der Schmerz oder
ragt englische Kravatten und schwärmt von Paris.
er macht sie leichtsinnig. Nach einer kurzen Halbtra#
Aber diese Buntheit ist nur äußerlich. Im Grunde
finde ch wieder so ein lieber Kerl und das Schifer¬
sind die Leute Wiener, wenn auch der Dialekt der
##el v##innt von Neuem. Das ist dr Wman des
Vororte hier nur schüchtern durch die Portieren
mr Nädels, für das Schnitzler den Namen „Das
dringt, wenn auch die derbe Lustigkeit der unteren
####e Mädel“ gefunden hat.
Schichten sich hier nur in einer, durch überfein¬
#ultur stilisierten Art giebt. Aus dieser Gesellschaft
In Wirklichkeit ist das Vorstadtmädel vielleich“
#umt Anatol und ihr steht er auch gegenüber. Der
n.# oder nicht ganz so. Aber immer findet me:
Lebemann verletzt ihre Moral, ihre Banalität sein
be##Einien und Züge, die auch die von Schnitzter
Künstlertum.
geschafene Figur hat. Er hat gleichsam das Besondere
vieler dieser Mädchen benützt, um eine einzige Figur
Das waren lange Zeit die für Schnitzler charak¬
damit auszustatten.
teristischen Personen. Schon glaubte man Schnitzler
Drumatisiert wurde diese Gestalt zum ersten
zu kennen wenn man den „Anatol“ gelesen hatte.
Male im „Anatol“. Es ist dies eine Reihe drama¬
Man fand, daß dieses eine Thema in den übrigen
tischer Skizzen, welche anmutig und geistvoll die
Werken nur variiert sei. Die Dramen: „Märchen",
Verhältnisse eines jungen Lebemannes mit seiner
„Liebelei", „Freiwild“, „Das Vermächtnis“, „Die
Geliebten behandeln. Sie findet sich aber auch später
Gefährtin“ und die Novellenbücher: „Sterben“, „Die
Frau des Weisen“, alles was Schnitzler schrieb, wurde
häufig, sowohl in Dramen wie in Novellen. Aber
immer tritt sie uns als ein anderes Wesen entgegen,
auf seinen Gehalt an Anatol geprüft und man freute
abgesehen davon, daß sie einmal Ballerine, das zweite
sich stets über das günstige Resultat der Untersuchung.
Mal Schaufpielerin und dann wieder Probiermam¬
Da mit einem Male kam eine Überraschung.
sell ist. Es ist, wie wenn Schnitzler in dem Vor¬
Mit den Einaktern „Die Gefährtin“ und „Paracelsus“
wurde am selben Abend im Burgtheater die Groteske
stadtmädel etwas entdeckt hätte, was er in jeder
Wiener Frauengestalt wiederfindet und ihm anheimelnd
„Der grüne Kakadu“ aufgeführt. Sie ist die be¬
und sympathisch entgegenleuchtet. Dieses Etwas ist
deutendste Schöpfung Schnitzlers, ist im Vergleich
das wienerische Element und was er uns giebt, ist
zu den anderen Dichtungen wie ein Koloß, ein
das Spiegelbild dieses Elements in seiner Seele.
Felsblock in einer anmutigen Au. Man liebelt hier
Die Art des Wiener Mädels ist bei der Gestaltung
nicht, man liebt, haßt und mordet. Keine müden und
eines Wiener Weibes also Voraussetzung, der Kern,
halben Regungen. Kunst, Scheinkunst, Rachsucht,
um den er die Einzelheiten gruppiert, die in der Ge¬
Liebesraserei, mit Füßen getretene, angespieene
samtheit den Charakter bedeuten.
Autorität, Freiheit, Freiheitswahnsinn Naivetät,
plumpe Spekulation, Dekadenz, Brandstiftung, —
Noch nie aber hat Schnitzler eine Frau geschildert,
ein Chaos von Affekten, Episoden und Kontrasten,
die für den Mann Lebensinhalt oder deren Ein¬
die mit der raffiniertesten Technik gegeneinander
fluß auf den Lebenslauf eines Mannes bestimmend
ausgespielt werden. Auf diesem tosenden Meer
wäre. Immer ist sie nur eine „Episode“ und das ist
schwimmt die unendlich einfache Handlung. Der
um so merkwürdiger, als die Frau in der modernen
Schauspieler Henri entdeckt, daß ihm seine Geliebte
Litteratur zumeist von außergewöhnlicher Macht ist.
mit dem Herzog von Cadignan untreu ist und tötet
Sowohl bei Strindberg, wie bei Ibsen und d'Annunzio.
diesen. Das geschieht in einem kellerartigen Lokal,
Auch bei Hauptmann und Sudermann liegt in ihrer
dem „grünen Kakadu“, in dem das mondaine Paris
Eigenart oft das wesentlichste Motiv des Dramas.
Ludwigs XVI. dem Laster der Straße Rendezvous giebt.
Wenn man einem „süßen Mädel“ ähnliche Gestalten
Von außen dringt der schmetternde Freiheitsjubel
finden will, so mag man vielleicht an Goethes
der Marseillaise in den Keller, man hört die Schritte
„Klärchen“ denken.
der Banden, die gegen die Bastille ziehen und unten
In seiner Einfachheit ist das süße Mädel eigent¬
wird die Blüte der französischen Aristokratie unter
lich wenig geeignet, einen Konflikt herbeizuführen.
dem wiehernden Freudengejohle des Pöbels gemordet,
Dagegen sind die meisten männlichen Charaktere
während die adeligen Damen dem seltenen Schau¬
Schnitzlers im besten Sinne dramatisch. Und wie
spiel, einen wirklichen Herzog töten zu sehen, Bei¬
für seine Frauen im süßen Mädel, so ist für seine
fall spenden.
männlichen Figuren im Anatol ein Schlüssel zu finden.
Das wienerische Mädel ist hier nicht zu finden.
Ihre Doppelnatur ist hier besonders markant und
Mit großem psychologischem Können sind alle Cha¬
deutlich ausgeprägt. Anatol ist halb Roué und halb
raktere, der Zeit und dem Orte entsprechend, gezeichnet.
Künstler. Ein lyrisch veranlagter Genußmensch, ein
Das ist das Paris der Revolution, das sind die
subtil empfindender poetischer Müßiggänger. Ein
Letzten des altfranzösischen Adels, das ist der Mob,
seltsames Ineinanderfließen ist in ihm von Lebens¬
der im Freiheitstaumel Säulen und Kunstwerke
lust und Traurigkeit, von Blasiertheit und Liebes¬
zerstörte, Könige schlachtete und sich endlich von
sehnsucht, alles zart abgetönt, von Affekten bewegt,
Robespierre und Bonaparte knechten ließ. Nur der
die wie Leidenschaften aussehen und von trüben
müde, lebenssatte junge Herzog, mit seinen Träumen
Mit diesem Anatol¬
Todesahnungen gedämpft.
haben die männlichen Charaktere der übrigen Sti#von einem erhabenen Dirnentum, seinem Geist und
seinem Sinn für Schönheit mag ein wenig
die Erinnerung an Anatol wecken. Eine innige
Harmonie besteht zwischen der Empfindung und dem
Geist, von welchem die Sprache des Stückes erfüllt
wird. Jeder Teil des Dialoges ist interessant, oft
wie ein gutes Aperzu, oft wie eine große Wahrheit,
neue Ideen offenbarend.
Und sonderbar: Das Gedankliche des Gespräches
wird überhaupt bei Schnitzler nie aufdrinalich
sein sollen.“ Die Schlichtheit dieser,
eine Bitte aussehenden Forderung ha
nehmend Mildes. — Wir sollen gut
zeihen! So klingt es, wie eine wur
Musik, in allen seinen Werken wiede
zarte Erklingen ist ein großer Teil
Gehaltes seiner Dichtungen. Bei man
den Novellen: „Die Frau des Weisen“n
und bei dem Einacter: „Die Gefährtin