VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 151

2. Cuttings box 38/4
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Saddel- Tageblah
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51 10
sklaupassant und Schnitzler.
Von Bictor Klemperer. (Nachbrück verboten.)
Die Größe eines Erstlingswerkes nicht wieder zu erreichen,
ist wohl schlimm. Ein traurigeres Schicksal vielleicht,
## und dabei sicher ein häufigeres, scheint aber dies zu
sein: mit reiferen Schöpfungen sehr wohl über das Erstlings¬
werk hinauszuwachsen und dennoch im Munde der Welt
immer als Dichter eben jenes Erstlings genannt zu werden.
So hat Otto Roquette ein langes Leben in tüchtiger Männlich¬
keit gewirkt und ist doch der Jünglingsdichter von „Wald¬
meisters Brautfahrt“ geblieben; und so ist haute wenn nicht
für alle, so doch für reichlich viele, der Dichter des „Einsamen
Weges“ und des „Schleiers der Beatrice“ immer noch der
Dichter des „Anatol“ und allenfalls der „Liebelei". Und wenn
diese vielen über die bloßen Büchtitel hinausgreifen wollen,
so nennen sie Artur Schnitzler den „Dichter des süßen Mädls“,
und wenn sie ihn besonders ehren wollen, geben sie ihm den
Namen eines „österreichischen Maupassant“, wobei das tertium
comparationis offenbar in der geschmeidigen und durchaus
künstlerischen Behandlung erotischer Themen besteht. Nun
birgt ja jedes Schlagwort irgendwo eine Ungerechtigkeit, und
jeder Vergleich hat eine lahme Stelle. Aber freilich: ein
völligeres Totschlagwort und einen unpassenderen Vergleich
als die angeführten wüßte ich nicht zu nennen. Die anein¬
andergefügten Skizzenbilder der beiden Autoren mögen das
beleuchten.
Guy de Maupassant, der unglückliche Mensch, der früh dem
entsetzlichsten Leiden verfällt und nach langer geistiger Um¬
nachtung kaum dreiundvierzig Jahre alt stirbt, zählt als
Schriftsteller zu den allerglücklichsten. Von zwanzig bis dreißig
darf er sammeln und reifen, zu aller Jugendfreude gesellt sich
der Umgang mit bedeutenden Menschen wie Flaubert und
Zola, und die später so oft eintretenden melancholischen Stim¬
mungen sind noch selten, weil die harmlos einsetzende Krank¬
heit ihr Zerstörungswerk vorderhand im Verborgenen voll¬
bringt. Dann, 1880, ist er mit einem Schlage berühmt; die
unerhört sinnlichen Gedichte und „Boule de suif“ sind er¬
schienen. Und nun folgt jene ungeheuer reiche Tätigkeit auf
dem Gebiet der Prosaerzählung, die überhaupt nur verständlich
wird, wenn man das voraufgehende Jahrzehnt als das des
Schätzesammelns betrachtet. Die Novelletten und Skizzen des
Dichters sprudeln förmlich hervor; das Bauern= und See¬
mannsleben der heimatlichen Normandie, die Pariser Salons
und Straßen, der Siebziger Krieg, Psychiatrisches, das er am
eigenen Leibe erfährt oder, derart geschult, aus Freundes= und
Zeitungsberichten schöpft, sind seine Stoffe. Dann, am Neu¬
jahrstage 92, nachdem es schon vorher an zeitweiligen Stö¬
rungen nicht gefehlt hat, endet Maupassants bewußtes Dasein.
Das Glück des Schriftstellers aber mehrt sich von Jahr zu
Jahr. Aus dem in Frankreich Berühmten wird ein Welt¬
berühmter, aus dem bedeutenden Künstler ein unantastbarer
Meister. Wer Maupassants große Begabung bei aller Be¬
wunderung doch nur als eine begrenzte ansieht, der ist ein
über die häufige Erotik der Themen empörter Dunkelmann.
Ein gar nicht übermäßig radikaler Deutscher, Paul Mahn, hat,
auf manche Vorarbeiten gestützt, in seiner umfangreichen, un¬
gemein sorgfältigen und tüchtigen, nur eben überschwäng¬
lichen Maupassantbiographie diese grenzenlose Verehrung des
Novellisten zum erschöpfenden Ausdruck gebracht, er hat ihn
zu den Dauernden, den Unsterblichen gerechnet, „mit denen
(mit wenigsten Ausnahmen) die Begehrte oder Begehrende, zu verspüren. Auch der
die rätselhaft Triebbewegte, die launisch und unberechenbar
ganz anders als Maupc
Gewährende und Versagende. Er ist unerhört reich in der manchmal recht bitter.
Schilderung von physiologischen Verschiedenheiten der Frau — zu einseitig auf die iron
aber es ist eben immer Physiologie, was er bietet. Hier hat selbst lauscht,
sein Urteil
Paul Mahn eine schöne Einwendung gegen Maupassant er¬
Satyrspiele „Abschiedsso
hoben: „Man findet in seinem Werke keine Gestalt, welche die siert. Und doch ist
letzte Tiefe und Bedeutung des Geschlechtes ausschöpfte ... Erstlingswerk angehäuft
Nirgends begegnet bei ihm der Typ. dem man auf Tod und dem Lebenssehnen seine
Leben verbunden ist oder gar nicht, dem gegenüber das mit all der Grübelei,
bißchen Sinnlichkeit zur Bagatelle wird, dem gegenüber! des eigenen Selbst und se
es soviel wichtigere Dinge des Verstehens und Empfindens selber drücken. Anatol ist
Aber diese Bemerkungen, die so ganz den Kern der eigentlich bei den einzel
der Sache treffen, werden paralysiert durch anfechtbarste Lob= zu beglücken vermögen, kl#
sprüche, und in solchen Hymnen ist der Biograph nicht Trauerspiele sind nur ins
originell, sondern nur der Mund der Vielen. Einen beson= junge Schnitzler noch nicht
deren Ruhm hat sich der glückliche Novellist erworben
und deshalb in eine Art
und nach deutschem Wortgebrauch den Namen eines
er dem Schwärmer Anat
Dichters eigentlich erst so recht verdient durch die tragischen
Mar beigesellt, sodann a
Novellen, die von der Zerrüttung des Geistes handeln. Hier
Wesens, das Weiche, Ver
hat man ja auch, und dazu in der äußersten Verfeinerung, die
in den Vordergrund dräm
Maupassantsche Beobachtungs= und Darstellungskunst; und
Und schon zwei Jahre
weiter hat man hier, glaubt man hier aus dem Stoffe selber
evident, daß Schnitzler meh
heraus jenes Seelische zu haben, das der Deutsche nun einmal kunst des Franzosen und
in der Dichtung zu finden liebt. Doch man betrachte
Im „Sterben“ findet er
unbefangen den „Horla“. Der Horla ist das Wahngebilde
das Todesmotiv. Einer
eines Geisteskranken, sein unkörperliches und doch seiendes,
der sicheren Nähe des Tod¬
selbständig handelndes, ja herrschendes zweites Ich. Der
und Größe des Schnitzler
Horla kniet in der Nacht auf der Brust des Leidenden, „Er“
Arzt und sieht viele Mer
zwingt ihn in der einsamen Villa zu bleiben, „Er“ trinkt, wäh¬
Nachher — denn weder Gl
rend der andere schläft, die Wasser= und Milchflaschen leer, „Er“
zuverlässige Auskunft —
tritt zwischen den Beschauer und das Spiegelglas, so daß kein
„Warum reden Sie vom
Spiegelbild sichtbar wird. Den Horla zu vernichten, zündet der
Weg“, und die Antwort l#
Kranke sein Haus an, nachdem er „ihn“ mit vieler List ein¬
Menschen, der in irgend ein
pesperrt hat. Dann fällt ihm ein: Wie kann ein wesenloses
denkt?“
Geschöpf im Feuer Schaden nehmen? Und so wird denn der
Wer so vom immer geg
Besessene vor dem stärkeren Gegner kapitulieren, wird Hand
ist, für den gibt es kein h
an sich selber legen.
Das ist die erschütternd meisterhafte
Lebens, er muß krampfhastk
Darstellung eines halluzinatorischen Wahnes — aber es ist
zustreben, dem gänzlichen
auch nicht mehr als eben nur dies. Kein ärztlicher Bericht¬
Besitzes. Schnitzler tut das
erstatter könnte sein Krankheitsprotokoll in so wundervolles
nießen doppelt gehemmt.
Sprachgewand kleiden, es so ergreifend gestalten, aber im
Hemmungen ergibt sich
letzten Grunde bleibt Maupassants Novelle doch nur ein Krank¬
passantsche, sondern schlech
heitsprotokoll. Wohl macht der Dichter eine Anstrengung,
Reihe tiefer Schöpfungen,
über den Krankheitsbericht herauszukommen; aber sie bleibt
Schlagworte nicht entfernt ###
vergeblich. Ich meine die eingestreute Klage über die Plump¬
Was den Dichter vom ##
heit der menschlichen Sinne, den irren Schlußgedanken, der
dies. Der scheinbar sichere
Horla könne wohl die nächsthöhere Stufe nach dem Menschen
lebenden Ichs erscheint ihm
in der Weltentwickelung bedeuten. Aber worin zeigt sich
Sicheres. Schnitzler, der m
denn dieses „höhere" Wesen? Doch nur in ebenso unsinnigen
hat auch an dem zweifeln gel
wie brutalen Daseinsäußerungen, indem es den von ihm Be¬
sicher hinnehmen. So beunr
sessenen quält und martert, seine Wasserflasche leert, sein
Hypnose, die einen Menschen
Spiegelbild verdrängt. Und wieder ist Mahns Urteil charak¬
sichkeit machen kann. Und
teristisch für Maupassants Geltuna.