VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 152

Klaupassant und Schnihter.
Von Birtor Klemperer. (Nachdruck verboten.)

ie Größe eines Erstlingswerkes nicht wieder zu erreichen,
) ist wohl schlimm. Ein traurigeres Schicksal vielleicht,
i## und dabei sicher ein häufigeres, scheint aber dies zu
sein: mit reiferen Schöpfungen sehr wohl über das Erstlings¬
werk hinauszuwachsen und dennoch im Munde der Welt
immer als Dichter eben jenes Erstlings genannt zu werden.
EREE
So hat Otto Roquette ein langes Leben in tüchtiger Männlich¬
keit gewirkt und ist doch der Jünglingsdichter von „Wald¬
meisters Brautfahrt“ geblieben; und so ist haute wenn nicht
für alle, so doch für reichlich viele, der Dichter des „Einsamen
Weges“ und des „Schleiers der Beatrice“ immer noch der
Dichter des „Anatol“ und allenfalls der „Liebelei“. Und wenn
diese vielen über die bloßen Büchtitel hinausgreifen wollen,
so nennen sie Artur Schnitzler den „Dichter des süßen Mädls“,
und wenn sie ihn besonders ehren wollen, geben sie ihm den
Namen eines „österreichischen Maupassant“, wobei das tertium
comparationis offenbar in der geschmeidigen und durchaus
künstlerischen Behandlung erotischer Themen besteht. Nun
birgt ja jedes Schlagwort irgendwo eine Ungerechtigkeit, und
jeder Vergleich hat eine lahme Stelle. Aber freilich: ein
völligeres Totschlagwort und einen unpassenderen Vergleich
als die angeführten wüßte ich nicht zu nennen. Die anein¬
andergefügten Skizzenbilder der beiden Autoren mögen das
beleuchten.
Guy de Maupassant, der unglückliche Mensch, der früh dem
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entsetzlichsten Leiden versaut und nach langer geistiger Um¬
nachtung kaum dreiundvierzig Jahre alt stirbt, zählt als
Schriftsteller zu den allerglücklichsten. Von zwanzig bis dreißig
darf er sammeln und reifen, zu aller Jugendfreude gesellt sich
der Umgang mit bedeutenden Menschen wie Flaubert und
Zola, und die später so oft eintretenden melancholischen Stim¬
mungen sind noch selten, weil die harmlos einsetzende Krank¬
heit ihr Zerstörungswerk vorderhand im Verborgenen voll¬
bringt. Dann, 1880, ist er mit einem Schlage berühmt; die
unerhört sinnlichen Gedichte und „Boule de suif“ sind er¬
schienen. Und nun folgt jene ungeheuer reiche Tätigkeit auf
dem Gebiet der Prosaerzählung, die überhaupt nur verständlich
wird, wenn man das voraufgehende Jahrzehnt als das des
Schätzesammelns betrachtet. Die Novelletten und Skizzen des
Dichters sprudeln förmlich hervor; das Bauern= und See¬
mannsleben der heimatlichen Normandie. die Pariser Salons —
und Straßen, der Siebziger Krieg, Psychiatrisches, das er am
eigenen Leibe erfährt oder, derart geschult, aus Freundes= und
Zeitungsberichten schöpft, sind seine Stoffe. Dann, am Neu¬
jahrstage 92, nachdem es schon vorher an zeitweiligen Stö¬
rungen nicht gefehlt hat, endet Maupassants bewußtes Dasein.
Das Glück des Schriftstellers aber mehrt sich von Jahr zu
Jahr. Aus dem in Frankreich Berühmten wird ein Welt¬
berühmter, aus dem bedeutenden Künstler ein unantastbarer
Meister. Wer Maupassants große Begabung bei aller Be¬
wunderung doch nur als eine begrenzte ansieht, der ist ein
über die häufige Erotik der Themen empörter Dunkelmann.
Ein gar nicht übermäßig radikaler Deutscher, Paul Mahn, hat,
auf manche Vorarbeiten gestützt, in seiner umfangreichen, un¬
gemein sorgfältigen und tüchtigen, nur eben überschwäng¬
lichen Maupassantbiographie diese grenzenlose Verehrung des
Novellisten zum erschöpfenden Ausdruck gebracht, er hat ihn
zu den Dauernden, den Unsterblichen gerechnet, „mit denen
das große, glühende Herz der Menschheit geht“.
Und doch ist eine Grenze der Maupassantschen Begabung
scharf erkennbar, eine Grenze, innerhalb deren wohl für Be¬
wunderungs=, nicht aber für so Anbetungswürdiges Raum ist.
Maupassant erzählt einmal von sich: „Ich bin groß geworden
am Strand des Meeres, des grauen, kalten Meeres des
Nordens, in einer kleinen Fischerstadt. Sie war immer heim¬
gesucht vom Wind, vom Regen und den Wellenspritzern. Sie
war immer erfüllt vom Fischgeruch, sowohl vom frischen, auf
die Dämme hingeworfenen Fisch, dessen Schuppen auf dem
Straßenpflaster leuchteten, als auch vom gesalzenen, in Fässer
eingelegten Fisch oder vom gedörrten Fisch . .. gedörrt in den
braunen, von Ziegelschornsteinen überragten Häufern, deren
Rauch weithin über das Land die starken Düfte des Herings
trug.“ Aus diesem Satz könnte man Maupassants ganzes
Wesen erklären. Denn die Schilderung ist so charakteristisch
für die ungemeine Sinnenschärfe, die er den Dingen entgegen¬
bringt, für die Bemühung, mit der er der Sprache den ana¬
logen Ausdruck, die feinste Unterscheidung abzwingt. Er mag
Land oder See, ein Katzenfell oder einen Frauenleib be¬
sehreiben, so wird nicht nur der Eindruck des Auges über¬
mittelt, auch was das Ohr, die Hand, die Nase empfindet, ist
Ssprache geworden. Das ist Maupassants große und immer
wieder bewundernswerté Kunst — — aber es ist auch seine
größte. Ich meine, er ist der vortrefflichste Erzähler, der
glänzendste Stilist, der allerschärfste Beobachter physischer und
soozusagen nervlicher Zustände und Vorgänge. Aber Seelisches,
steelische Aufwärtsentwickelungen wird man bei ihm nicht
fiinden. Man prüfe doch daraufhin Maupassants Dar¬
stiellungen der Liebe und seine Frauenporträts. Liebe ist ihm
fast immer nur das sexuelle Moment, und wie ihm das
Stexuelle an sich gar so wesentlich ist, so sieht er in der Frau
(mit wenigsten Ausnahmen) die Begehrte oder Begehrende,
zu verspüren. Auch der Auto¬
die rätselhaft Triebbewegte, die launisch und unberechenbar
ganz anders als Maupassan
Gewährende und Versagende. Er ist unerhört reich in der manchmal recht bitter. Ma
zu einseitig auf die ironische
Schilderung von physiologischen Verschiedenheiten der Frau —
lauscht, hat sein Urteil zu
aber es ist eben immer Physiologie, was er bietet. Hier hat selbst
Satyrspiele „Abschiedssouper
Paul Mahn eine schöne Einwendung gegen Maupassant er¬
siert. Und doch ist schon r
hoben: „Man findet in seinem Werke keine Gestalt, welche die
Erstlingswerk angehäuft.
letzte Tiefe und Bedeutung des Geschlechtes ausschöpfte.
dem Lebenssehnen seines
Nirgends begegnet bei ihm der Typ, dem man auf Tod und
mit all der Grübelei, all
Leben verbunden ist oder gar nicht, dem gegenüber das
des eigenen Selbst und seiner
bißchen Sinnlichkeit zur Bagatelle wird, dem gegenüber
selber drücken. Anatol ist ein
es soviel wichtigere Dinge des Verstehens und Empfindens
der eigentlich bei den einzelnen
Aber diese Bemerkungen, die so ganz den Kern
gibt
zu beglücken vermögen, kleine
der Sache treffen, werden paralysiert durch anfechtbarste Lob¬
Trauerspiele sind nur ins Tra¬
sprüche, und in solchen Hymnen ist der Biograph nicht
junge Schnitzler noch nicht den
originell, sondern nur der Mund der Vielen. Einen beson¬
und deshalb in eine Art rom
deren Ruhm hat sich der glückliche Novellist erworben
er dem Schwärmer Anatol d
und nach deutschem Wortgebrauch den Namen eines
Mar beigesellt, sodann auch,
Dichters eigentlich erst so recht verdient durch die tragischen
Wesens, das Weiche, Verschle
Novellen, die von der Zerrüttung des Geistes handeln. Hier
in den Vordergrund drängt.
hat man ja auch, und dazu in der äußersten Verfeinerung, die
Und schon zwei Jahre nach
Maupassantsche Beobachtungs= und Darstellungskunst; und
evident, daß Schnitzler mehr zu
weiter hat man hier, glaubt man hier aus dem Stoffe selber
kunst des Franzosen und die
heraus jenes Seelische zu haben, das der Deutsche nun einmal
Im „Sterben“ findet er zun
in der Dichtung zu finden liebt. Doch man betrachte
das Todesmotiv. Einer w
unbefangen den „Horla. Der Horla ist das Wahngebilde
der sicheren Nähe des Todes.
eines Geisteskranken, sein unkörperliches und doch seiendes,
und Größe des Schnitzlerschen
selbständig handelndes, ja herrschendes zweites Ich. Der
Arzt und sieht viele Menschen
Horla kniet in der Nacht auf der Brust des Leidenden, „Er“
Nachher — denn weder Glaul
zwingt ihn in der einsamen Villa zu bleiben, „Er“ trinkt, wäh¬
zuverlässige Auskunft — erfü
rend der andere schläft, die Wasser= und Milchflaschen leer, „Er“
„Warum reden Sie vom Ster
tritt zwischen den Beschauer und das Spiegelglas, so daß kein
Weg, und die Antwort laute
Spiegelbild sichtbar wird. Den Horla zu vernichten, zündet der
Menschen, der in irgend einer
Kranke sein Haus an, nachdem er „ihn“ mit vieler List ein¬
denkt?“
gesperrt hat. Dann fällt ihm ein: Wie kann ein wesenloses
Wer so vom immer gegenn
Geschöpf im Feuer Schaden nehmen? Und so wird denn der
ist, für den gibt es kein heit
Besessene vor dem stärkeren Gegner kapitulieren, wird Hand
Lebens, er muß krampfhaft den
an sich selber legen . . . Das ist die erschütternd meisterhafte
zustreben, dem gänzlichen Ern
Darstellung eines halluzinatorischen Wahnes — aber es ist
Besitzes. Schnitzler tut das u
auch nicht mehr als eben nur dies. Kein ärztlicher Bericht¬
nießen doppelt gehemmt.
erstatter könnte sein Krankheitsprotokoll in so wundervolles
Hemmungen ergibt sich die
Sprachgewand kleiden, es so ergreifend gestalten, aber im
passantsche, sondern schlechthit
letzten Grunde bleibt Maupassants Novelle doch nur ein Krank¬
Reihe tiefer Schöpfungen, der
heitsprotokoll. Wohl macht der Dichter eine Anstrengung,
Schlagworte nicht entfernt gere
über den Krankheitsbericht herauszukommen; aber sie bleibt
vergeblich. Ich meine die eingestreute Klage über die Plump¬
Was den Dichter vom Leb
heit der menschlichen Sinne, den irren Schlußgedanken, der
dies. Der scheinbar sichere Be
Horla könne wohl die nächsthöhere Stufe nach dem Menschen
lebenden Ichs erscheint ihm ga
in der Weltentwickelung bedeuten. Aber worin zeigt sich
Sicheres. Schnitzler, der möd
denn dieses „höhere“ Wesen? Doch nur in ebenso unsinnigen
hat auch an dem zweifeln geler
wie brutalen Daseinsäußerungen, indem es den von ihm Be¬
sicher hinnehmen. So beunruh
sessenen quält und martert, seine Wasserflasche leert, sein
Hypnose, die einen Menschen
Spiegelbild verdrängt. Und wieder ist Mahns Urteil charak¬
lichkeit machen kann. Und no
ein hypnotischer Traum erschein
teristisch für Maupassants Geltung. Es heißt von dieser
Nichts=als=Krankheitserscheinung: So wird dies Wahngebilde
lichen Schlaf. Da werden
Wünsche rege, die dem Wachen
zu einer dichterischen Prophetie. Es steht mit dem einen Bein
in der realistischen Begreifung äußerster Menschenmöglich¬
ist nun wahre Natur, wahres
keiten drin und fußt doch mit dem anderen mitten im er¬
im Wachen oder Träumen? 1
träumten dichterischen Jenseits. Die der Kausalität ent¬
Traum und Wachen, und wel
bundene Gefügigkeit des Wahns muß dem Künstler taugen,
Wirrnis, und welch ein seiner
in hohe und liebe Phantasien aller Menschheit hinaus zu deu¬
fremder Hand ist der einzelne?
Maupassant, der unglückliche Mensch, war ein sehr
an das Psychiatrische, als desse
ten“
glücklicher Schriftsteller. Zu den vielen schönen Gaben, die er
wies. Aber wo Maupassant n
besaß, schenkte ihm die Nachwelt die schönste hinzu; er gilt als
schildert Schnitzler das Leiden d
der Meister im Beobachten und Darstellen des Physischen, sie
die Qual des Menschen, den so
erhöhte ihn zum Seelenkünder, zum Aufwärtsentwickler. ——
Auskosten des ersehnten Genuf
Dem „österreichischen Maupassant“, dessen künstlerische
Unterschied zwischen Schnitzler
Laufbahn im Todesjahr des Franzosen begann, ist es nicht so
wenn man unter dem angegeb
gut geworden — brauchte es vielleicht nicht so gut zu werden,
celsus“ neben den „Horla“ stell
weil der Besitzende keiner Geschenke bedarf. Das Beiwort,
liches — sicherlich zwei Kunstwe
das ihn schmücken soll, erwirbt Arthur Schnitzler sogleich mit
ist in letzter Hinsicht mit dem #
belegen, einem Titel, den der ##
seinem Erstlingswerk, der „Anatol =Suite. Diese Gespräche
enthalten die ganze Grazie des Franzosen, sie spielen aufs an¬
unmoderne, doch wohl nur de
mutigste mit erotischen Themen, sagen alles und bleiben doch
Kunstwerken beilegt.
künstlerisch; auch ihnen eignet vor allem die ganze Schärfe im
Und das zweite, das sich zu
Auffassen und Wiedergeben der Dinge, auch so verschwimmen¬
süchtige und den Genuß des
der wie der Töne und Stimmungen. Und später wird sich
Dichter noch entschiedener von #
noch mancher Anklang an Maupassant bei Schnitzler finden.
zum geringeren Künstler, siche
Schnitzler ist so unfähig zu jed
Die unerhörte Deutlichkeit des Physischen in „Frau Bertha
Garlan“, wo der Arzt, im „Reigen“, wo der hanebüchene
ihm alles naive Empfinden,
Satiriker das Wort führt, erinnert in ihrer vollendet künst¬
und Hassen versagt ist. Ohne
lerischen Durchführung durchaus an den französischen Meister
aber, die sich oft genug als
ruhiger Sicherheit zwischen Frei
dieses Gebietes. Aber blickt man tiefer, so steht doch schon der
recht unterscheidet, ist ein kraf
„Anatol“=Dichter dem Franzosen meilenfern. Hinter Mau¬
denkbar. Doch gerade aus diesem
passants erotischen Novellen ist immer ein behagliches Lächeln

NsuEr