VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 153

yrte oder Begehrende, zu verspüren. Auch der Autor des „Anatol“ lächelt — aber, Betrachtung seelischer Zustände. Man wunte gerabezu sagen,
ich und unberechenbar ganz anders als Maupassant, immer sehr wehmütig und wie Maupassant durch seine Krankheit immer wieder zur Be¬
unerhört reich in der manchmal recht bitter. Man hat im allgemeinen viel trachtung des Erotischen geführt werde so zwinge den öster¬
edenheiten der Frau — zu einseitig auf die ironischen Töne in diesen Szenen ge¬
reichischen Dichter seine seelische Zerrissenheit immer wieder
er bietet. Hier hat selbst
zum Ergründen des Psychischen.
lauscht, hat sein Urteil zu sehr auf die beiden völligen
gegen Maupassant er¬
Satyrspiele „Abschiedssouper" und „Hochzeitsmorgen“ ba¬
Zu solchem seelischen Mehr scheint mir bei Schnitzler noch
eine Gestalt, welche die
siert. Und doch ist schon reichlich viel Tragik in diesem
ein anderes zu kommen. Er beginnt allmählich ein Gebiet zu
gechtes ausschöpfte
erobern, das der Franzose nie betreten hat. Ich hielt es in
Erstlingswerk angehäuft. Anatol ist erfüllt von all
em man auf Tod und
dieser Vergleichung für unangebracht, den Dramatiker
dem Lebenssehnen seines jungen Dichters und belastet
Schnitzler gegen den Novellisten Maupassant auszuspielen, weil
, dem gegenüber das
mit all der Grübelei, all dem zerfasernden Beobachten
sich im letzten Grunde Schnitzlers Dramen nicht gar so weit
ird, dem gegenüber
des eigenen Selbst und seiner Umgebung, die auf Schnitzler
von mehr novellistischem Gestalten entfernen. Ich habe es
ens und Empfindens
selber drücken. Anatol ist ein gequälter glückloser Glücksucher,
auch — vielleicht zu Unrecht — unterlassen, neben den Gegen¬
die so ganz den Kern
der eigentlich bei den einzelnen Frauen, die ihn nicht dauernd!
wartsdichtern Maupassant und Schnitzler den Märchendichter
urch anfechtbarste Lob¬
zu beglücken vermögen, kleine Tragödien erlebt — und diese
Schnitzler zu nennen; denn schließlich findet sich auch in den
der Biograph nicht
Trauerspiele sind nur ins Tragikomische abgebogen, weil der
Märchen des Oesterreichers die freilich groß gesehene und von
Vielen. Einen beson¬
junge Schnitzler noch nicht den Mut seiner eigenen Tragik hat
allem Tagesgetriebe befreite Gegenwart, Aber es scheint doch,
Novellist erworben
und deshalb in eine Art romantischer Ironie flüchtet, indem
als stecke in diesem vielleicht reichsten Dichter des Heute auch
er dem Schwärmer Anatol den robusteren kälteren Freund
den Namen eines!
ein historischer Gestalter. Man atmet im „Grünen Kakadu“
t durch die tragischen
Max beigesellt sodann auch, indem er einen Teil seines
wahrhaft die Luft der französischen Revolution, und im
Wesens, das Weiche, Verschleiernde der Wiener Gemütsart,
Geistes handeln. Hier
„Jungen Medardus“, der als dramatische Ballade einiger¬
in den Vordergrund drängt.
rsten Verfeinerung, die
maßen mißlungenen Schöpfung, steht die österreichische Haupt¬
Und schon zwei Jahre nach diesem Erstling zeigt es sich
arstellungskunst; und
stadt von 1809 mit staunenswerter Deutlichkeit vor den Augen
aus dem Stoffe selber
evident, daß Schnitzler wehr zu geben hat, als die Schilderungs¬
des Lesers. Vielleicht ist Schnitzlers „Weg ins Freie“ — ich
Deutsche nun einmal
kunst des Franzosen und die Stimmungskunst des Wieners.
meine den Weg aus der Enge des Allzuindividuellen — der
Doch man betrachte
Im „Sterben“ findet er zum erstenmal sein mächtigstes,
Weg ins Historische. Man sollte sich hüten, diesen rastlos
ist das Wahngebilde
das Todesmotiv. Einer wird vorwärts gepeitscht von
Strebenden durch ein spöttisches Schlag= oder nur scheinbar
sund doch seiendes,
der sicheren Nähe des Todes. Das wird nun für die Tragik
es zweites Ich. Der
ehrendes Vergleichswort zu kennzeichnen. e## Mit
und Größe des Schnitzlerschen Schaffens bestimmend. Er ist
t des Leidenden, „Er“
Arzt und sieht viele Menschen sterben der Gebanke an das
ben. „Er“ trinkt, wäh¬
Nachher — denn weder Glaube noch Wissenschaft geben ihm
Milchflaschen leer, „Er“
zuverlässige Auskunft — erfüllt ihn mit neuen Schauern.
piegelglas, so daß kein
„Warum reden Sie vom Sterben?“ heißt es im „Einsamen
vernichten, zündet der
Weg“, und die Antwort lautet: „Gibt es einen anständigen
mit vieler List ein¬
Menschen, der in irgend einer guten Stunde an etwas anderes
denkt?“
kann ein wesenloses
nd so wird denn der
Wer so vom immer gegenwärtigen Todesgedanken gepackt
itulieren, wird Hand
ist, für den gibt es kein heiteres und lässiges Erfassen des
chütternd meisterhafte
Lebens, er muß krampfhaft dem heißesten völligen Lebensgenuß
ahnes — aber es ist
zustreben, dem gänzlichen Erwerb des einzigen ihm sicheren
ein ärztlicher Bericht¬
Besitzes. Schnitzler tut das und sieht sich im wirklichen Ge¬
nießen doppelt gehemmt. Aus dieser Aufpeitschung, diesen
l in so wundervolles
gestalten, aber im
Hemmungen ergibt sich die nicht Wienerische, nicht Mau¬
e doch nur ein Krank¬
passantsche, sondern schlechthin Schnitzlersche Tragik einer
er eine Anstrengung,
Reihe tiefer Schöpfungen, denen jene eingangs genannten
Schlagworte nicht entfernt gerecht werden.
kmen; aber sie bleibt
klage über die Plump¬
Was den Dichter vom Lebensgenusse fernhält, ist einmal
Schlußgedanken, der
dies. Der scheinbar sichere Besitz des Lebens, des bewußt er¬
fe nach dem Menschen
lebenden Ichs erscheint ihm gar nicht als etwas so unbedingt
ber worin zeigt sich
Sicheres. Schnitzler, der moderne Arzt und Naturforscher,
in ebenso unsinnigen
hat auch an dem zweifeln gelernt, was einfachere Naturen für
k es den von ihm Be¬
sicher hinnehmen. So beunruhigen ihn die Seltsamkeiten der
sserflasche leert. sein
Hypnose, die einen Menschen zu einer ganz anderen Persön¬
Mahns Urteil charak¬
lichkeit machen kann. Und noch merkwürdiger fast als solch
Es heißt von dieser
ein hypnotischer Traum erscheint ihm das Träumen im natür¬
ird dies Wahngebilde lichen Schlaf. Da werden Schicksale durchlebt, werden
t mit dem einen Bein Wünsche rege, die dem Wachen durchaus fremd sind. Und wo
ter Menschenmöglich¬
ist nun wahre Natur, wahres Leben, wo ist die Wahrheit —
deren mitten im er¬
im Wachen oder Träumen? Und wo ist die Grenze zwischen!
der Kausalität ent¬
Traum und Wachen, und welche Weltleitung schafft solche
dem Künstler taugen,
Wirrnis, und welch ein seiner selbst unbewußter Spielball in
schheit hinaus zu deu¬
fremder Hand ist der einzelne? Gewiß, hier streift Schnitzler
Mensch, war ein sehr
an das Psychiatrische, als dessen Meister sich Maupassant er¬
schönen Gaben, die er
wies. Aber wo Maupassant nur die Krankheit beschreibt, da
nste hinzu; er gilt als
schildert Schnitzler das Leiden der im Dunkeln tastenden Seele,
en des Physischen, sie
die Qual des Menschen, den so äußerste Unsicherheit an allem !
wärtsentwickler. —
Auskosten des ersehnten Genusses hindert. Man kann diesen
dessen künstlerische
Unterschied zwischen Schnitzler und Maupassant ganz erkennen,
egann, ist es nicht so
wenn man unter dem angegebenen Gesichtspunkt den „Para¬
cht so gut zu werden,
celsus“ neben den „Horla“ stellt. Dort Seelisches, hier Nerv¬
darf. Das Beiwort,
liches — sicherlich zwei Kunstwerke, aber nur das Schnitzlersche
Schnitzler sogleich mit
ist in letzter Hinsicht mit dem vollen Ehrentitel „Dichtung“ zu
kte. Diese Gespräche
belegen, einem Titel, den der Deutsche, der moderne wie der
unmoderne, doch wohl nur den vom Seelischen handelnden!
tel und Rleiden doch
Kunstwerken beilegt.
die ganze Schärfe im
Und das zweite, das sich zwischen Schnitzlers Lebenssehn¬
uch so verschwimmen¬
süchtige und den Genuß des Lebens drängt, trennt diesen
Und später wird sich
Dichter noch entschiedener von Maupassant, macht ihn vielleicht
bei Schnitzler finden.
zum geringeren Künstler, sicher zum bedeutenderen Dichter.
en in „Frau Bertha
Schnißler ist so unfähig zu jedem starken Lebensgenuß, weil
wo der hanebüchene
ihm alles naive Empfinden, alle Einheitlichkeit im Lieben
hrer vollendet künst¬
und Hassen versagt ist. Ohne solche kraftvolle Einheitlichkeit
französischen Meister
aber, die sich oft genug als Einseitigkeit darstellt, die mit
osteht doch schon der
ruhiger Sicherheit zwischen Freund und Feind, Recht und Un¬
fern. Hinter Mau¬
recht unterscheidet, ist ein kraftvolles Zugreifen eben nicht
nbehagliches Lächeln
denkbar. Doch gerade aus diesem Mangel erwächst die bohrende
TE