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„Die (Duelle““
Heft 9 1.—10
bringt auch selbst ihre „Durchführung“, alle die
Ferdinand Bronner.
Variationen und Kontrapunkte, zu denen unsere
Eine Studie von Max Morold, Wien.
Denktätigkeit von den anderen bloß angeregt
wird. Er ist nicht Heimatskünstler in dem Sinne,
Wo Schnitzler und Schönherr gepriesen
als ob auch er durch die Einflüsse seiner Her¬
werden, da muß auch Bronner genannt werden.
kunft oder seiner Umgebung zu einer bestimmt aus¬
Schnitzler hat das Wiener „Milieu gestaltet,
geprägten Schaffensweise gedrängt wäre, sondern
Schönherr aus der bäuerlichen Erde Tirols seine
er ist ein überlegener Betrachter, der den Charakter
urwüchsige Kraft gezogen. Heimatskunst, „Pro¬
derartiger Einflüsse und Bedingungen festzustellen
vinzkunst“ ist durch diese beiden — namentlich
und ihre Gesetze zu ergründen sucht; er gestattet
aber bei Schönherr — zu einer ganz allgemeinen,
nicht eine Heimat, sondern den Heimatsbegriff; er
unbedingten Kunst geworden und im Lichte dieser
belehrt uns darüber, daß es die mannigfachsten
Kunst hat auch das Bewußtsein der Heimat, die
und die seltsamsten Formen der Heimat gibt.
Erkenntnis des Wertes lokaler und provinzieller
Familie, Rasse, „Milieu, er erbter und erwor¬
Eigentümlichkeiten neue Klarheit gewonnen. Solche
bener Besitz, Zwang des Berufes und Freiheit
Kunstwerke, wie sie Schnitzler und Schönherr
des Gefühls und der Anschauung, die sich durch¬
schaffen, gewähren nicht bloß ästhetische Befriedi¬
kreuzende und verwirrende Menge von Fähig¬
gung, sondern sie regen auch zum Nachdenken an,
keiten, Neigungen, Beziehungen und „Interessen“
sie zeigen Probleme auf, sie wirken auf unser poli¬
des Einzelnen und der Gesamtheit, all das
tisches und soziales Empfinden. Aber die Dichter
hat mit dem rein äußerlich, geographisch und
selbst wollen dies gar nicht. Wenn Schnitzler,
politisch begrenzten Begriff der Heimat oft gar
bewußt oder unbewußt, in nicht wenigen seiner
nichts mehr gemeinsam und gibt sich doch gern
Dichtungen die jüdische Seite des Wiener „Milieus“
für Heimat aus, will die Heimat ersetzen. Der
besonders hervorkehrt, so fällt es ihm dabei nicht
moderne Mensch und vielleicht am meisten der
im entferntesten ein, die Judenfrage aufzuwerfen.
moderne Österreicher ist gleichsam entwurzelt:
Und wenn Schönherr uns mit dem Bäuerlichen
aber grünen, blühen, Früchte tragen kann doch
und Urwüchsigen seiner Schaffensweise und der
nur das im Erdreich Wurzelnde. So sucht denn
von ihm geschaffenen Gestalten aus Herz greift,
jeder Wurzeln zu schlagen und der von „Vater¬
so will er eben nur Gestalten, nicht Beispiele geben,
und Mutterländern“ Losgerissene sucht „unserer
so kümmert es ihn nicht, wie sich die von ihm
Kinder Land“, das Nietzsche=Zarathustra ihm
gezeigte Menschenart in der modernen Welt aus¬
gezeigt hat, der Heimatlose, der Enterbte der, Um¬
nimmt. Nur wir, die Leser und Zuschauer, können
hergetriebene sucht in der Fremde, in der Zukunft,
uns solcher Vergleiche nicht entschlagen, wir stellen
in einer neuen Welt sich den Platz zu erobern,
uns die feinen und groben „Helden“ Schnitzler'scher
auf dem er wurzeln kann. Dieses Suchen, Streben¬
und Schönherr'scher Erzählungen und Theaterstücke,
und Irren, dieses Haftenwollen und wieder Fort¬
gerade weil sie so echt und eindringlich auf uns
gerissenwerden ist der wesentliche Inhalt der
gewirkt haben, aus dem Buche und von der
Kämpfe, an denen wir teilnehmen: der sozialen
Bühne weg ins Leben hinein und forschen nun
und der nationalen Bewegung, der Judenfrage
weiter, wie es da zugeht, ob wir dort den Verfall
und der religiösen Streitigkeiten. Und wie nun
der wienerischen Kultur durch eine internationale
alles mit allem im Streite liegt und keiner den
Geistesindustrie, hier die Neugeburt der öster¬
ruhigen, sicheren Punkt findet, wo er ganz er
reichischen Volkskraft aus dem Gemüte des in
selbst zu sein vermöchte, da berührt es wundersam
seinem Boden wurzelnden Alplers zu erspähen
ergreifend, wenn wir ein Volk gewahren, dem
haben. Das sind ja die Fragen, Hoffnungen und
die Vergangenheit zur Gegenwart wird, dem das
Befürchtungen, die täglich Antwort heischen, und
Erbe seiner Väter Ruhe und Frieden spendet,
nicht romantische Fabeln, die keine Nutzanwendung
das in der stolzen Sicherheit seines ungebrochenen
auf die reale Gegenwart gestatten, sondern einzig
Heimatsgefühles Heldenkraft zu bewähren weiß;
und allein Gegenwartsdichtungen, Zeitschilde¬
ein Volk, wie es erst vor kurzem, bei der Er¬
rungen, Spiegelbilder unserer Nöte und unseres
innerung an den Tiroler Aufstand des Jahres 1809
Verlangens vermögen uns in der Kunst zu fesseln.
leuchtend vor unser geistiges Auge getreten ist und wie
Darum ist es beinahe verwunderlich, daß Ferdinand
es noch heute durch die Dichtungen Schönherrs
Bronner noch nicht der Dichter unserer Tage ist;
und Kranewitters vernehmlich zu uns spricht.
und darum ist wohl kaum zu zweifeln, daß eine
Diesen ganzen Umkreis von Betrachtungen,
nahe Zukunft ihm diesen Rang einräumen wird.
Erwägungen, Stimmungen und Eindrücken hat
Ferdinand Bronner schlägt die Themen, die
Dr. Ferdinand Bronner*) in seinen dramatischen
bei den anderen naiv und absichtslos erklingen,
ganz bewußt an, mit reflektierender Absichtlichkeit;
*) Geboren am 15. Oktober 1867 zu Auschwitz, seit
1900 Gymnasialprofessor in Wien, der eine Zeit lang
und er begnügt sich nicht damit, sie anzuschlagen
unter dem Pseudonym Franz Adamus dichtete.
und in uns weiterklingen zu lassen, sondern er
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„Die (Duelle““
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bringt auch selbst ihre „Durchführung“, alle die
Ferdinand Bronner.
Variationen und Kontrapunkte, zu denen unsere
Eine Studie von Max Morold, Wien.
Denktätigkeit von den anderen bloß angeregt
wird. Er ist nicht Heimatskünstler in dem Sinne,
Wo Schnitzler und Schönherr gepriesen
als ob auch er durch die Einflüsse seiner Her¬
werden, da muß auch Bronner genannt werden.
kunft oder seiner Umgebung zu einer bestimmt aus¬
Schnitzler hat das Wiener „Milieu gestaltet,
geprägten Schaffensweise gedrängt wäre, sondern
Schönherr aus der bäuerlichen Erde Tirols seine
er ist ein überlegener Betrachter, der den Charakter
urwüchsige Kraft gezogen. Heimatskunst, „Pro¬
derartiger Einflüsse und Bedingungen festzustellen
vinzkunst“ ist durch diese beiden — namentlich
und ihre Gesetze zu ergründen sucht; er gestattet
aber bei Schönherr — zu einer ganz allgemeinen,
nicht eine Heimat, sondern den Heimatsbegriff; er
unbedingten Kunst geworden und im Lichte dieser
belehrt uns darüber, daß es die mannigfachsten
Kunst hat auch das Bewußtsein der Heimat, die
und die seltsamsten Formen der Heimat gibt.
Erkenntnis des Wertes lokaler und provinzieller
Familie, Rasse, „Milieu, er erbter und erwor¬
Eigentümlichkeiten neue Klarheit gewonnen. Solche
bener Besitz, Zwang des Berufes und Freiheit
Kunstwerke, wie sie Schnitzler und Schönherr
des Gefühls und der Anschauung, die sich durch¬
schaffen, gewähren nicht bloß ästhetische Befriedi¬
kreuzende und verwirrende Menge von Fähig¬
gung, sondern sie regen auch zum Nachdenken an,
keiten, Neigungen, Beziehungen und „Interessen“
sie zeigen Probleme auf, sie wirken auf unser poli¬
des Einzelnen und der Gesamtheit, all das
tisches und soziales Empfinden. Aber die Dichter
hat mit dem rein äußerlich, geographisch und
selbst wollen dies gar nicht. Wenn Schnitzler,
politisch begrenzten Begriff der Heimat oft gar
bewußt oder unbewußt, in nicht wenigen seiner
nichts mehr gemeinsam und gibt sich doch gern
Dichtungen die jüdische Seite des Wiener „Milieus“
für Heimat aus, will die Heimat ersetzen. Der
besonders hervorkehrt, so fällt es ihm dabei nicht
moderne Mensch und vielleicht am meisten der
im entferntesten ein, die Judenfrage aufzuwerfen.
moderne Österreicher ist gleichsam entwurzelt:
Und wenn Schönherr uns mit dem Bäuerlichen
aber grünen, blühen, Früchte tragen kann doch
und Urwüchsigen seiner Schaffensweise und der
nur das im Erdreich Wurzelnde. So sucht denn
von ihm geschaffenen Gestalten aus Herz greift,
jeder Wurzeln zu schlagen und der von „Vater¬
so will er eben nur Gestalten, nicht Beispiele geben,
und Mutterländern“ Losgerissene sucht „unserer
so kümmert es ihn nicht, wie sich die von ihm
Kinder Land“, das Nietzsche=Zarathustra ihm
gezeigte Menschenart in der modernen Welt aus¬
gezeigt hat, der Heimatlose, der Enterbte der, Um¬
nimmt. Nur wir, die Leser und Zuschauer, können
hergetriebene sucht in der Fremde, in der Zukunft,
uns solcher Vergleiche nicht entschlagen, wir stellen
in einer neuen Welt sich den Platz zu erobern,
uns die feinen und groben „Helden“ Schnitzler'scher
auf dem er wurzeln kann. Dieses Suchen, Streben¬
und Schönherr'scher Erzählungen und Theaterstücke,
und Irren, dieses Haftenwollen und wieder Fort¬
gerade weil sie so echt und eindringlich auf uns
gerissenwerden ist der wesentliche Inhalt der
gewirkt haben, aus dem Buche und von der
Kämpfe, an denen wir teilnehmen: der sozialen
Bühne weg ins Leben hinein und forschen nun
und der nationalen Bewegung, der Judenfrage
weiter, wie es da zugeht, ob wir dort den Verfall
und der religiösen Streitigkeiten. Und wie nun
der wienerischen Kultur durch eine internationale
alles mit allem im Streite liegt und keiner den
Geistesindustrie, hier die Neugeburt der öster¬
ruhigen, sicheren Punkt findet, wo er ganz er
reichischen Volkskraft aus dem Gemüte des in
selbst zu sein vermöchte, da berührt es wundersam
seinem Boden wurzelnden Alplers zu erspähen
ergreifend, wenn wir ein Volk gewahren, dem
haben. Das sind ja die Fragen, Hoffnungen und
die Vergangenheit zur Gegenwart wird, dem das
Befürchtungen, die täglich Antwort heischen, und
Erbe seiner Väter Ruhe und Frieden spendet,
nicht romantische Fabeln, die keine Nutzanwendung
das in der stolzen Sicherheit seines ungebrochenen
auf die reale Gegenwart gestatten, sondern einzig
Heimatsgefühles Heldenkraft zu bewähren weiß;
und allein Gegenwartsdichtungen, Zeitschilde¬
ein Volk, wie es erst vor kurzem, bei der Er¬
rungen, Spiegelbilder unserer Nöte und unseres
innerung an den Tiroler Aufstand des Jahres 1809
Verlangens vermögen uns in der Kunst zu fesseln.
leuchtend vor unser geistiges Auge getreten ist und wie
Darum ist es beinahe verwunderlich, daß Ferdinand
es noch heute durch die Dichtungen Schönherrs
Bronner noch nicht der Dichter unserer Tage ist;
und Kranewitters vernehmlich zu uns spricht.
und darum ist wohl kaum zu zweifeln, daß eine
Diesen ganzen Umkreis von Betrachtungen,
nahe Zukunft ihm diesen Rang einräumen wird.
Erwägungen, Stimmungen und Eindrücken hat
Ferdinand Bronner schlägt die Themen, die
Dr. Ferdinand Bronner*) in seinen dramatischen
bei den anderen naiv und absichtslos erklingen,
ganz bewußt an, mit reflektierender Absichtlichkeit;
*) Geboren am 15. Oktober 1867 zu Auschwitz, seit
1900 Gymnasialprofessor in Wien, der eine Zeit lang
und er begnügt sich nicht damit, sie anzuschlagen
unter dem Pseudonym Franz Adamus dichtete.
und in uns weiterklingen zu lassen, sondern er
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