2. Cuttings box 38/4
369
Schauspielerin.
schweige denn Frucht. Ein embryonales Zwittergewächs von einer
schwermüthigen Blässe und einem schwachen, halb bitteren, halb süßen
Geschmack. Kosten wir dankbar auch ihn aus und lassen wir Heinrich
Mann nicht einmal Das entgelten, daß er viel weniger bescheiden ist
als wir und mit seinem ersten größeren Drama gleich eine neue Gat¬
tung Dramatik heraufgeführt zu haben glaubt.
Was für eine Gattung? Mann sagt, daß es jetzt nöthig, wenn
auch nicht eben bequem sei, die vorgeschrittenen Seelen dieser Zeit dra¬
matisch zu gestalten: ihren schwankenden Willen, ihre Doppelrassigkeit,
die Klarsichtigkeit ihres Gefühls. Ja, um des Himmels willen, hat
Ibsen in seinem ziemlich „zielbewußten“ Leben Anderes gethan?
Thut Schnitzler seit zwanzig Jahren Anderes? Daß aber dem zeitlichen
Abstand zwischen diesen Beiden und Heinrich Mann nicht eine fort¬
schreitende Komplizirung der menschlichen Seele entspricht, ist neben¬
bei vielleicht auch daraus zu schließen, daß es bei Kleist und Hebbel
psychische Verkettungen, Windungen, Zwischenstufen und Lichtbrech¬
ungen giebt, gegen die alle späteren Subjekte und Objekte einer drama¬
tischen Analyse grob anmuthen. Nein, Manns Absicht ist wahrhaftig
alt. Immerhin könnten seine Mittel neu sein. Dazu gesteht er, daß er
seine neue innere Welt (von der wir also wissen, daß sie längst entdeckt
ist) durch starke alte Situationen sichtbar machen wolle. Aber wieder
muß man ihn darüber belehren, daß nicht er dieses Mittel gefunden
Wärs aber nicht abscheuliche Wesensvollendung, wenn ein Dreißig¬
jähriger schon am Ziel stünde? „Ich glaube, daß es ein Segen
wäre, wenn alle Kritiker das Theater so wichtig nähmen wie ich. Denn
ich nehme es ja nicht als Selbstzweck wichtig, sondern als Mittel zum
Zweck. Ich weiß, daß es das Leben spiegelt, aber ich weiß auch, daß
es ins Leben zurückwirkt.“ Diese Sätze (aus dem Vorwort zur Chro¬
nik) illuminiren die Stelle, an der erkennbar werden kann, worin
Herr Jacobsohn sich von den meisten Berufsgenossen wesentlich unter¬
scheidet. Er nimmt das Theater so ungeheuer ernst wie die Mehrheit
der Menschen den Gelderwerb und einzelne die Liebe. Ein reinlicher,
tüchtig gebildeter, ungemein begabter Mann, der sich einer Sache ver¬
pflichtet fühlt, in ihrem Dienst, dem er sein Leben gern giebt, nie gie¬
rig nach Pripatvortheil oder Budenapplaus umherspäht, seinem Em¬
pfinden knappen und wirksamen Ausdruck zu ertasten weiß und ernst¬
lich entschlossen ist, immer tiefer sich in die Erkenntniß seines Gegen¬
standes einzubohren. Von dem Menschenrecht, zu irren, von der Tu¬
gendpflicht zu blinder Uebertreibung macht er reichlichen Gebrauch.
Doch er will stets das ihm gut, also nöthig Scheinende und sein Wille
wird von ansehnlichem Können bedient. Leset, nicht gläubig, sondern
recht kritisch gestimmt, sein Buch: dann werdet auch Ihr fragen, wa¬
rum unsere Massenzeitungverleger nicht längst einen ihrer Richter¬
stühle diesem Rezensenten anvertraut haben, der so ernst und so froh,
mit so grimmer Liebe judizirt.
369
Schauspielerin.
schweige denn Frucht. Ein embryonales Zwittergewächs von einer
schwermüthigen Blässe und einem schwachen, halb bitteren, halb süßen
Geschmack. Kosten wir dankbar auch ihn aus und lassen wir Heinrich
Mann nicht einmal Das entgelten, daß er viel weniger bescheiden ist
als wir und mit seinem ersten größeren Drama gleich eine neue Gat¬
tung Dramatik heraufgeführt zu haben glaubt.
Was für eine Gattung? Mann sagt, daß es jetzt nöthig, wenn
auch nicht eben bequem sei, die vorgeschrittenen Seelen dieser Zeit dra¬
matisch zu gestalten: ihren schwankenden Willen, ihre Doppelrassigkeit,
die Klarsichtigkeit ihres Gefühls. Ja, um des Himmels willen, hat
Ibsen in seinem ziemlich „zielbewußten“ Leben Anderes gethan?
Thut Schnitzler seit zwanzig Jahren Anderes? Daß aber dem zeitlichen
Abstand zwischen diesen Beiden und Heinrich Mann nicht eine fort¬
schreitende Komplizirung der menschlichen Seele entspricht, ist neben¬
bei vielleicht auch daraus zu schließen, daß es bei Kleist und Hebbel
psychische Verkettungen, Windungen, Zwischenstufen und Lichtbrech¬
ungen giebt, gegen die alle späteren Subjekte und Objekte einer drama¬
tischen Analyse grob anmuthen. Nein, Manns Absicht ist wahrhaftig
alt. Immerhin könnten seine Mittel neu sein. Dazu gesteht er, daß er
seine neue innere Welt (von der wir also wissen, daß sie längst entdeckt
ist) durch starke alte Situationen sichtbar machen wolle. Aber wieder
muß man ihn darüber belehren, daß nicht er dieses Mittel gefunden
Wärs aber nicht abscheuliche Wesensvollendung, wenn ein Dreißig¬
jähriger schon am Ziel stünde? „Ich glaube, daß es ein Segen
wäre, wenn alle Kritiker das Theater so wichtig nähmen wie ich. Denn
ich nehme es ja nicht als Selbstzweck wichtig, sondern als Mittel zum
Zweck. Ich weiß, daß es das Leben spiegelt, aber ich weiß auch, daß
es ins Leben zurückwirkt.“ Diese Sätze (aus dem Vorwort zur Chro¬
nik) illuminiren die Stelle, an der erkennbar werden kann, worin
Herr Jacobsohn sich von den meisten Berufsgenossen wesentlich unter¬
scheidet. Er nimmt das Theater so ungeheuer ernst wie die Mehrheit
der Menschen den Gelderwerb und einzelne die Liebe. Ein reinlicher,
tüchtig gebildeter, ungemein begabter Mann, der sich einer Sache ver¬
pflichtet fühlt, in ihrem Dienst, dem er sein Leben gern giebt, nie gie¬
rig nach Pripatvortheil oder Budenapplaus umherspäht, seinem Em¬
pfinden knappen und wirksamen Ausdruck zu ertasten weiß und ernst¬
lich entschlossen ist, immer tiefer sich in die Erkenntniß seines Gegen¬
standes einzubohren. Von dem Menschenrecht, zu irren, von der Tu¬
gendpflicht zu blinder Uebertreibung macht er reichlichen Gebrauch.
Doch er will stets das ihm gut, also nöthig Scheinende und sein Wille
wird von ansehnlichem Können bedient. Leset, nicht gläubig, sondern
recht kritisch gestimmt, sein Buch: dann werdet auch Ihr fragen, wa¬
rum unsere Massenzeitungverleger nicht längst einen ihrer Richter¬
stühle diesem Rezensenten anvertraut haben, der so ernst und so froh,
mit so grimmer Liebe judizirt.