VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 162

2. Cuttings
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Die Zukunft.
hat. Bei Ibsen scheint die sogenannte Handlung nicht selten einem Kol¬
portageroman entnommen und Schnitzler hat im „Ruf des Lebens“
wie im Weiten Land“ plump theatralische Zusammenstöße mit solcher
Ungenirtheit verwendet, daß er mit Sudermann verwechselt worden ist.
Darüber ist nicht zu reden. Hier ist im Augenblick auch nur wichtig,
wodurch sich Heinrich Mann, der im Zuge der Ibsen und Schnitzler
steht, von ihnen unterscheidet, unterscheiden muß, da er ja ihre Wir¬
kung nicht entfernt erreicht.
Der Unterschied ist der, daß sie den Sardou, den sie irgendwie
gebrauchten, zu verhüllen verstanden und daß ers noch nicht versteht.
Bei ihm sieht sich das Mittel zum Zweck wie Selbstzweck an; richtiger:
es hört sich so an. Denn wenn bei Schnitzler Leidenschaften gekeucht,
geflüstert, zwischen den Zähnen hervorgepreßt werden; wenn Gift her¬
umgereicht, ein Dolch gezückt und ein Revolver ge= und entladen wird;
wenn der Liebhaber hinter einem Vorhang hervor und der Gatte durchs
Fenster springt: dann ist freilich die Geste genau so von Sardou wie
bei Mann. Darin hat Dieser Recht. Aber die Rede ist von Schnitzler!
Bei Mann ist auch die Rede oft von Sardon (und manchmal sogar von
Sudermann). Ich meine nicht etwa, daß die Schauspieler, die im Stück
vorkommen, zögern sollten, in die geschwollene Sprache ihres Metiers
zu verfallen: da das Thema des Stückes verlangt, daß ihre Gefühle
sich immer wieder übersteigern, so ist dieser gekräuselte Ausdruck ihr
natürlicher Ausdruck. Aber gegen den Komoedianten soll der Bürger
in jeder Hinsicht kontrastirt werden; und in dieser Schicht ist es aller¬
dings nicht möglich, daß der Geliebte die Geliebte „Unglückliche!“ und
den Nebenbuhler „Unglücklicher!“ anredet. Von solchen Wendungen,
die leider meistens länger gerathen sind, ist der Dialog voll. Dazwischen
stehen Sätze, so blitzend prägnant, daß sie jedem Roman von Heinrich
Mann zur Zier gereichen würden. Einem Noman! Sie fassen mit un¬
übertbefflicher Schärfe weite psychologische Entwickelungen zusammen,
von denen gewöhnlich nur gerade Der nichts weiß, in dem sie sich voll¬
zogen haben. Aber selbst wenn Menschen über die Klarsicht des Ge¬
fühls verfügen, die dieser freigiebige Dichter ihnen verleiht, selbst dann
ist es selten, daß sie ihr Gefühl so schrankenlos aussprechen, und nahe¬
zu undenkbar, daß sie es so druckreif aussprechen. Das müßte denn der
Stil des ganzen Werkes sein. Zum Glück führt mindestens ein Drittel
die einfache Sprache des Lebens, die zugleich die Sprache des Dramas
ist, und daraus geht für mich hervor, daß Mann sie überall angestrebt
hat. Vorläufig also ist er noch rechts in die Theatralik, links in die
Romanhaftigkeit geglitten. Davon brauchte von Haus aus nicht viel
Aufhebens gemacht zu werden. Ein Dichter dieses Nanges dürfte selbst
für eine Arbeit seines eigentlichen Gebietes verlangen, daß man sich
weniger mit ihren hoffnunglosen als mit ihren hoffnungvollen Partien
befaßt. Aber der Wahn von der neuen Gattung mußte zerstört werden.
Erst jetzt wird zu sagen sein, was Heinrich Mann mit diesem Produkt
einer alten Gattung gewollt hat.
Nicht mehr und nicht weniger als: zu zeigen, wie die Halbheit