VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 171

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2. Cuttings
Auaue
SCHNITZLERS UNTERLEIBs.
BESCHWERDEN
Adolf Hitler hat noch immer in
München, das doch längst nicht
mehr die dümmste Stadt der Weit
sein will, seine täglich erscheinende
Zeitung. Dort schreibt ein treu¬
deutscher Mann über Arthur
Schnitziers Dichtungen:
„Man könnte sich mit solchen
Stücken gewiß abfinden, wenn
daraus das Ethos eines Dichters
spräche, der, indem er uns die
Kehrselte solcher Liebeleien wie
P
in Geschlechtskrankheiten, Unter¬
leibsleiden, nervösen Zerrüttun¬
gen und der Degeneration der
Masse der großstädtischen Be¬
völkerung zeigte, warnend und
abschreckend wirkte.“
Kein Zweifel, in Schnitzlers Dich¬
tungen fehlen die Unterleibsbe¬
schwerden, sowohl des Darmes als
der anderen Organe. Eine kleine
Verstopfung und Schnitzler wäre
auch bei Hitler ein gemachter
Mann.
Senderabdruck
aus den Preulischen JahrbüchernHeft 192—
ihn verloren zu haben, Empfindungen bitterer Trauer über den
Verlust des größeren Gutes, das er sein Leben lang hingebend be¬
hütet und gemehrt hat, Berlins Kulturüberlieferung. Wie so viele
der besten und freilich auch der schlechtesten Berliner war Georg Reicke
kein Berliner Kind. Durch Heimat, Gesinnung und Lebensarbeit
des Vaters ist er dem Preußenphilosophen Kant verbunden gewesen.
Ein Ostdeutscher war er, bei aller geschäftssicheren Tüchtigkeit den
geistigen Dingen zugewandt, bei aller Liebenswürdigkeit des Gebarens
schwerblütig und herb. Das Schicksal führte ihn auf einen guten
Platz, wo er seine Kraft auswirken, im Leben der Gemeinde und
des Volkes Gültiges und Bleibendes schaffen durfte. Bei aller
äußeren kleinlichen Mühsal, die ein beamtetes Leben mit sich bringt,
ist es doch ein großes Ding für einen künstlerisch=literarisch Schaffenden
im bürgerlichen Leben, am Aufbau der Gemeinschaft und Gesellschaft
leitend mitwirken zu dürfen. Reicke war kein politischer Mensch,
aber er war als Enkel der Generation von 48 ein guter Bürger,
der die Verpflichtung jedes einzelnen, am Gemeinwohl mitzuarbeiten,
tief empfand, und dessen beste Kraft dem gewidmet war, diesen
bürgerlichen Gemeinsinn überall zu wecken und zu fördern. Berlin
aus einem Menschenwirrsal zu einer lebendigen Stadt zu machen,
war sein Ziel. Vorerst ist vieles zertrümmert worden, was er im
politischen und geistig=künstlerischen Felde schuf, doch das meiste wird
gewiß wieder lebendig werden, wenn die Wasser sich verlaufen. Und
bis dahin ist das Buch dazu da, die Leitgedanken des Bürgermeisters
Kurt Busse.
lebendig zu erhalten.

Shelley, Dichtungen in neuer Uebertragung von Alfred Wolfen¬
stein. Paul Cassirer, Berlin. 1922.
(seber jeden Zugang, der uns zur großen geistigen Lyrik des eng¬
Alischen Volkes gebrochen wird, freue ich mich als ihr Bewunderer
und Liebhaber. Wir haben in unserer Sprache wohl eine Reihe
älterer Uebertragungen der Dichtungen Shelleys, Strodtmanns
Auswahl vom Jahre 1866, Wickenbergs Prometheus=, Adolphis
Cenci=Uebersetzung, doch sie sind weder in der äußeren Form noch
in der Auswahl und dem Sprachgewande dargeboten, die einen
ihnen sich fortziehen zu lassen in die Hochgebirgswelt dieser reinen,
leidenschaftlichen und strengen Kunst. Das ist ohne Zweifel in dem
Wolfensteinischen Buch geleistet. Jeder, der überhaupt Sinn hat
für die gesättigte Schönheit von Gedichten, Ideen und Gesühlen,
deren große lyrische Kunst fähig ist, jeder, dessen Fassungsgabe über
das singbar gefühlvolle Lied hinausgeht, dem Goethes und Schillers
geistige Lyrik, Hölderlins und Heines Spätwerk etwas bedeutet, wird
in diesem schmalen Bande viel finden, daß ihn bewegt, ihn entzückt
und ihn gewiß verleitet, in den Schätzen der englischen Kunst weiter
zu suchen. Viele Köstlichkeiten werden ihm in die Hand fallen, auch
den Verlegern, die den Mut dazu hätten, einmal in gültigen Ueber¬
tragungen Dinge zu drucken, die bei uns noch zu wenige kennen:
Christina Rossetti, Patmore, Synge, Dobson, Browning, Yeats,
Hardy, Keats.
Ueber die Schwierigkeit der Uebertragung ist kein Wort zu ver¬
lieren; manches ist Wolfenstein köstlich gelungen; nicht alles; weniger
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E. JOB. KORNER
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— Wusa
Prag I., Velesisvinova 10