2. Cuttings
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wohl aus einem Nichtkönnen, als aus einem Anderswollen heraus.
Er will nicht getreu sein, sondern modern, will werben, nicht dar¬
stellen. So nimmt er sich die Freiheit zu kürzen, auseinanderzureißen,
neu zusammenzufügen, die Freiheit, die Bildgebung, den Gedanken¬
gang, den Rhythmus zu ändern, wie es seinem anderen, eben seinem
Sprach= und Bildgefühl zusagt. Darüber läßt sich schwer streiten,
weil es um Grundsätze geht. Ein kleines Beispiel sei gegeben, an
dem die Ansichten sich klar scheiden. Die erste Strophe des Gedichts
„Ende“ gibt er so wieder:
Liegt die Lampe zerschmettert,
Wird das Licht zu Staub,
Wenn die Wolke verwettert,
Wird der Donner taub,
Ist die Zymbel zerbrochen,
Keiner hört mehr den Ton —
Haben die Lippen gesprochen,
Ist die Stimme entflohn.
In einer dem Sinn und dem Rhythmus sich genauer anpassenden
Uebertragung würde sie aber lauten:
Wenn die Lampe zerschmettert,
Erlischt das Licht im Sand;
Wenn die Wolke verwettert,
Verblaßt ihr farbiger Rand.
Liegt die Harfe zerbrochen,
Wer kennt noch den süßen Hall;
Häden die Lippen gesprochen,
Verklang auch der Liebe Schall.
Die sinnliche Schärfe und gedankliche Klarheit, die beiden Kenn¬
zeichen großer Poesie, sind in W.'s Versen verwischt ins Halbver¬
ständliche (wird der Donner taub) oder Gemeinplätzige (ist die Stimme
entflohn). Freilich sind sie in dieser Verwaschenheit gepaart mit
lautlichem Wohlklang zugänglicher als die beschwerteren Verse
Shelleys. Hier ist nicht der Ort, mehr darüber zu sagen. Diese
Ausgabe kann schon um der Schmalheit ihrer Auswahl willen nicht
der endgültige Versuch sein, Shelleys fragmentarisches großes Werk
ins Deutsche herüberzunehmen. Für die Anregung und ihre vor¬
nehme äußere Form haben wir nur zu danken. Kurt Busse.
Richard Specht, Arthur Schnitzler, Der Dichter und sein Werk.
Eine Studie, Berlin, S. Fischer, 1922, 350 Seiten.
die schon zum fünfzigsten Geburtstag Arthur Schnitzlers ein
40 Musikschriftsteller mindern Ranges, Julius Kapp, das erste
umfänglichere Buch über ihn vorgelegt hat (Leipzig 1912), so ist es
auch jetzt wieder ein ansonsten nur mit Tonkünstlern beschäftigter
Autor, der die offizielle Geburtstagsgabe für den Dichter und sein
Publikum verfertigt hat. An Umfang läßt sie es nicht fehlen, auch
nicht am Bestreben, dem Geburtstagskind möglichst viel Verbindliches
zu sagen und mit Lärm und Grobheit jeden Widerspruch aus dem
Feld zu schlagen. Zwar hat ein Dichter von Schnitzlers Rang und
Ansehen solchen Kämpen nicht nötig, als welcher ihm bei geschmackvollen
Leuten wohl eher Schaden als Nutzen zufügt; indes läßt man sich
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wohl aus einem Nichtkönnen, als aus einem Anderswollen heraus.
Er will nicht getreu sein, sondern modern, will werben, nicht dar¬
stellen. So nimmt er sich die Freiheit zu kürzen, auseinanderzureißen,
neu zusammenzufügen, die Freiheit, die Bildgebung, den Gedanken¬
gang, den Rhythmus zu ändern, wie es seinem anderen, eben seinem
Sprach= und Bildgefühl zusagt. Darüber läßt sich schwer streiten,
weil es um Grundsätze geht. Ein kleines Beispiel sei gegeben, an
dem die Ansichten sich klar scheiden. Die erste Strophe des Gedichts
„Ende“ gibt er so wieder:
Liegt die Lampe zerschmettert,
Wird das Licht zu Staub,
Wenn die Wolke verwettert,
Wird der Donner taub,
Ist die Zymbel zerbrochen,
Keiner hört mehr den Ton —
Haben die Lippen gesprochen,
Ist die Stimme entflohn.
In einer dem Sinn und dem Rhythmus sich genauer anpassenden
Uebertragung würde sie aber lauten:
Wenn die Lampe zerschmettert,
Erlischt das Licht im Sand;
Wenn die Wolke verwettert,
Verblaßt ihr farbiger Rand.
Liegt die Harfe zerbrochen,
Wer kennt noch den süßen Hall;
Häden die Lippen gesprochen,
Verklang auch der Liebe Schall.
Die sinnliche Schärfe und gedankliche Klarheit, die beiden Kenn¬
zeichen großer Poesie, sind in W.'s Versen verwischt ins Halbver¬
ständliche (wird der Donner taub) oder Gemeinplätzige (ist die Stimme
entflohn). Freilich sind sie in dieser Verwaschenheit gepaart mit
lautlichem Wohlklang zugänglicher als die beschwerteren Verse
Shelleys. Hier ist nicht der Ort, mehr darüber zu sagen. Diese
Ausgabe kann schon um der Schmalheit ihrer Auswahl willen nicht
der endgültige Versuch sein, Shelleys fragmentarisches großes Werk
ins Deutsche herüberzunehmen. Für die Anregung und ihre vor¬
nehme äußere Form haben wir nur zu danken. Kurt Busse.
Richard Specht, Arthur Schnitzler, Der Dichter und sein Werk.
Eine Studie, Berlin, S. Fischer, 1922, 350 Seiten.
die schon zum fünfzigsten Geburtstag Arthur Schnitzlers ein
40 Musikschriftsteller mindern Ranges, Julius Kapp, das erste
umfänglichere Buch über ihn vorgelegt hat (Leipzig 1912), so ist es
auch jetzt wieder ein ansonsten nur mit Tonkünstlern beschäftigter
Autor, der die offizielle Geburtstagsgabe für den Dichter und sein
Publikum verfertigt hat. An Umfang läßt sie es nicht fehlen, auch
nicht am Bestreben, dem Geburtstagskind möglichst viel Verbindliches
zu sagen und mit Lärm und Grobheit jeden Widerspruch aus dem
Feld zu schlagen. Zwar hat ein Dichter von Schnitzlers Rang und
Ansehen solchen Kämpen nicht nötig, als welcher ihm bei geschmackvollen
Leuten wohl eher Schaden als Nutzen zufügt; indes läßt man sich