VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 173

2. Cuttings

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an Festtagen gerne einige Uebertreibung gefallen, wenn sie nur gut
gemeint und nicht gerade danach angetan ist, den lautesten Widerspruch
herauszufordern.
Aber dieses Buch ist danach angetan. Welch ein Mißgeschick
widerfährt doch da dem trefflichen Arthur Schnitzler, daß er, einer
der liebenswürdigsten Dichter und Menschen unserer Tage, einem
Monographen von der unsympathischsten Geistes= und Schreibart
in die Hände fallen mußte, einem Schriftsteller zugleich, der vielleicht
die Begabung eines mittleren Feuilletonisten und Sonntagsplauderers
besitzt, jedoch ganz gewiß völlig unfähig ist, eine ernsthafte literarische
Würdigung von Dichtern und Dichtungen abzufassen. Ja, solange
er sich im Feuilletonstil tummeln kann, da gehts; da läßt man sich
die luftleichte Kost eine Weile ganz gut schmecken; da leiht man
dem Erzähler amüsanter Anekdoten aus Schnitzlers allbereits mythischer
Jugendzeit willig das Ohr. Aber (um in Spechts Sprache zu reden)
man bekommt immer nur hors c'auvres vorgesetzt und wartet
vergebens — aufs chiwre. Da reißt des Lesers Geduld. Was
anfangs so kurzweilig schien, wird allmählich von tödlicher Langeweile;
der ewig witzelnde Ton wirkt sehr bald unangenehm, ärgerlich,
qualvoll, ekelhaft. Man möchte doch vom Leben A. Schnitzlers mehr
erfahren als ein paar z. T. recht geschickt pointierte Histörchen, ins
Wesen seines Werks eindringen, seine Gedankenwelt überblicken
und begreifen, seine Technik erkennen, seinen Stil erfassen. Aber
nichts davon.
Ich, ich und immer wieder ich, trompetet es aus dem Buche.
Denn der Titel ist die bare Mystifikation; „Arthur Schnitzler und
Richard Specht“ müßteer gerechterweise sauten. denn vom Subjekt
ist nicht weniger oft die Nebe als vom Objekt des Verfassers. Nicht
auf eine Würdigung Schnitzlers ist es abgesehen, sondern auf die
beitspurigste Mitteilun der persönlichsten Geschmacksrichtung des
Her n Specht. Ich übertreibe keineswegs. Sehr selbstbewußt und
stolz macht der Verfasser gar kein Hehl daraus, es sei alles „in
diesem Buche des Bekennens zu einem geliebten Künstler durch¬
aus subjektiv für meine Empfindung, von meiner Einstellung
aus gesehen“ (S. 279). Ja, wenn nur eine einseitige Betrachtung
und Behandlung vorläge, die könnte man zur Not gelten lassen,
und sie brauchte nicht unfruchtbar zu sein; unser Autor aber
beschränkt sich darauf, den einzelnen Werken Schnitzlers Zensuren
zu erteilen, den Dichter bald professorenhaft zu begönnern, bald
wohlwollend zu schulmeistern, zu allermeist aber ihn zu belehren,
wie es besser zu machen war. Und erst nachdem er in dieser
unausstehlichen, anmaßenden Weise dritthalb hundert Seiten herum¬
gemäkelt hat, kommt er zu der verspäteten Einsicht: „Wir haben
Wesen und Amt (?) zu ehren und zu werten, nicht ihm vorzu¬
schreiben, was er soll.“ (S. 268.)
Und ein solcher Kritiker wagt es — wahrhaftig, er wagt es —
andere Leute, die mit wahrer Ehrfurcht und besonnener Methode
an die Aufgabe gegangen sind, Schnitzlers Werk zu analysieren,
zu charakterisieren, des Uebelwollens zu beschuldigen, der Verständnis¬
losigkeit, der Unfruchtbarkeit. So wenig ahnt er nämlich vom Ge¬
schafte des Kritikers, daß er eine Charakteristik, die sach= und
pflichtgemäß auch die Schattenpartien im Porträt nicht vernach¬
lässigt, der Annihilation gleich erachtet, jede Zergliederung für
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