2. Cuttings
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Zerstörung des Kunstwerkes oder doch seines Genusses hält. Ueber
solche „mystische Kunstliebhaber“ hat schon der junge Fr. Schlegel
seinen vollen Spott ergossen, indem er meinte; wenn diese kon¬
sequent dächten, so wäre Potztausend das beste Kunsturteil über
das würdigste Werk. Specht sagt wahrhaftig nichts mehr, nur sagt
er es viel weitläufiger. Und gesteht sein Unvermögen zu besserer
Leistung mit entwaffnender Naivität ein. „Es gibt Werke,“ heißt
es etwa anläßlich der Novelle vom blinden Geronimo, „die so
vollkommen sind, daß man nichts über sie sagen kann ..., sind
derart, daß man sie vielleicht analysieren kann (wozu mir jeder
Drang fehlt).
Man muß sie selber lesen." (S. 220.) Risum
teneatis amici!
Vom ersten Akt des „Ruf des Lebens“ wird vermeldet: „Dieser
Akt ist brillant gemacht. (Ich kann es mit allem Für und Wider nicht
besser ausdrücken: brillant)“; vom „Leutnant Gustl“: Die sprachliche
Echtheit ist zum Schreien!" (S. 215); neben ein Zitat aus „Die
Toten schweigen“ wird in Parenthese der Ausruf „Prachtvoll!“ ge¬
setzt. — Potztausend, ich sagt es ja. Dort aber, wo es darauf an¬
kam, Schnitzlers Schreibart zu charakterisieren (keine leichte Auf¬
gabe!), findet man nichts als den lapidaren Satz: „Ich wünschte
mir, seinen Stil schreiben zu können“ (S. 124). Risum teneatis.
Doch auch Herrn Specht schlägt manchmal das Gewissen mit
stärkerem Pochen ans Herz; auch er ahnt bisweilen, daß über die
Dinge doch eigentlich viel mehr und noch anderes vorzubringen wäre,
als er vermag: dann redet er sich auf den seligen Voltaire aus
und daß er dessen Vorwurf nicht verdienen wolle: l’ennuyenx, c’est tout
dire—Btarit — 1e plus Chhtyeux, Cest ne rien dire.
Nur im Vorübereilen sei ein strafender Blick auf die völlig
amusische Einstellung geworfen, in der Specht wiederholt seinen
„gesunden Menschenverstand“ wider unwahrscheinliche Voraussetzungen
in Fabeln Schnitzlerscher Werke wendet; was da etwa zur Liebesnacht
der Heldin im Ruf des Lebens“ vorgebracht wird, hätte der alte
Nicolai auch nicht besser machen können (S. 259 f., vgl. auch die
banausische, des Dichters Absicht mißverstehende Philistermoral S. 197,
S. 216). Da wundert mman sich zuletzt nicht mehr, daß die sconische
Auffassung des „Puppenspielers“ völlig verkannt (S. 268), daß
der Gipfel des Unverstands — der „Unbekannte“ in der Burleske
„Zum großen Wurstel“ als Inkarnation der Willensfreiheit erklärt
wird (S. 272). Willensfreiheit bei einem Poeten, dessen Gesamt¬
werk ein einziges, fast leidenschaftliches Bekenntnis zum Determinis¬
mus darstellt!
Besonders belustigend aber wirkt es, wenn Specht, nachdem er
erst in maßlos gereiztem Ton gegen jene Kritiker losgefahren ist,
die an Schnitzler nicht alles lobenswürdig fanden, nur wenige Seiten
später schon die Einwände seiner Gegner sich zu eigen macht und
sie dann gar noch schärfer formuliert als jene (vgl. S. 61 f., 64, 70,
225). Was liegt ihm an Widersprüchen! Behauptet er doch S. 151
kühn, Schnitzler sei „ein großer Verskünstler“ (Wer so grobe Ohren
hat, daß ihm Schnitzlers Verse wohlklingen, sollte ein tüchtiger Musik¬
kenner sein?) — und läßt diesem Urteil auf derselben Seite, nur
wenige Zeilen später, die Aussage folgen, man könnte sich diese an¬
geblich so großartigen Verse „auch in ihren höchsten Momenten in
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Zerstörung des Kunstwerkes oder doch seines Genusses hält. Ueber
solche „mystische Kunstliebhaber“ hat schon der junge Fr. Schlegel
seinen vollen Spott ergossen, indem er meinte; wenn diese kon¬
sequent dächten, so wäre Potztausend das beste Kunsturteil über
das würdigste Werk. Specht sagt wahrhaftig nichts mehr, nur sagt
er es viel weitläufiger. Und gesteht sein Unvermögen zu besserer
Leistung mit entwaffnender Naivität ein. „Es gibt Werke,“ heißt
es etwa anläßlich der Novelle vom blinden Geronimo, „die so
vollkommen sind, daß man nichts über sie sagen kann ..., sind
derart, daß man sie vielleicht analysieren kann (wozu mir jeder
Drang fehlt).
Man muß sie selber lesen." (S. 220.) Risum
teneatis amici!
Vom ersten Akt des „Ruf des Lebens“ wird vermeldet: „Dieser
Akt ist brillant gemacht. (Ich kann es mit allem Für und Wider nicht
besser ausdrücken: brillant)“; vom „Leutnant Gustl“: Die sprachliche
Echtheit ist zum Schreien!" (S. 215); neben ein Zitat aus „Die
Toten schweigen“ wird in Parenthese der Ausruf „Prachtvoll!“ ge¬
setzt. — Potztausend, ich sagt es ja. Dort aber, wo es darauf an¬
kam, Schnitzlers Schreibart zu charakterisieren (keine leichte Auf¬
gabe!), findet man nichts als den lapidaren Satz: „Ich wünschte
mir, seinen Stil schreiben zu können“ (S. 124). Risum teneatis.
Doch auch Herrn Specht schlägt manchmal das Gewissen mit
stärkerem Pochen ans Herz; auch er ahnt bisweilen, daß über die
Dinge doch eigentlich viel mehr und noch anderes vorzubringen wäre,
als er vermag: dann redet er sich auf den seligen Voltaire aus
und daß er dessen Vorwurf nicht verdienen wolle: l’ennuyenx, c’est tout
dire—Btarit — 1e plus Chhtyeux, Cest ne rien dire.
Nur im Vorübereilen sei ein strafender Blick auf die völlig
amusische Einstellung geworfen, in der Specht wiederholt seinen
„gesunden Menschenverstand“ wider unwahrscheinliche Voraussetzungen
in Fabeln Schnitzlerscher Werke wendet; was da etwa zur Liebesnacht
der Heldin im Ruf des Lebens“ vorgebracht wird, hätte der alte
Nicolai auch nicht besser machen können (S. 259 f., vgl. auch die
banausische, des Dichters Absicht mißverstehende Philistermoral S. 197,
S. 216). Da wundert mman sich zuletzt nicht mehr, daß die sconische
Auffassung des „Puppenspielers“ völlig verkannt (S. 268), daß
der Gipfel des Unverstands — der „Unbekannte“ in der Burleske
„Zum großen Wurstel“ als Inkarnation der Willensfreiheit erklärt
wird (S. 272). Willensfreiheit bei einem Poeten, dessen Gesamt¬
werk ein einziges, fast leidenschaftliches Bekenntnis zum Determinis¬
mus darstellt!
Besonders belustigend aber wirkt es, wenn Specht, nachdem er
erst in maßlos gereiztem Ton gegen jene Kritiker losgefahren ist,
die an Schnitzler nicht alles lobenswürdig fanden, nur wenige Seiten
später schon die Einwände seiner Gegner sich zu eigen macht und
sie dann gar noch schärfer formuliert als jene (vgl. S. 61 f., 64, 70,
225). Was liegt ihm an Widersprüchen! Behauptet er doch S. 151
kühn, Schnitzler sei „ein großer Verskünstler“ (Wer so grobe Ohren
hat, daß ihm Schnitzlers Verse wohlklingen, sollte ein tüchtiger Musik¬
kenner sein?) — und läßt diesem Urteil auf derselben Seite, nur
wenige Zeilen später, die Aussage folgen, man könnte sich diese an¬
geblich so großartigen Verse „auch in ihren höchsten Momenten in
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