VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 175

2. Cuttings

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Prosa zurückversetzt denken, ohne daß es ein Zerstörungswerk wäre“;
was doch nichts anderes besagt, als daß sie eben reine Prosa sind. —
So findet sich in dem dicken Buche leider gar wenig Brauchbares.
leider recht
Ein paar biographische Mitteilungen (S. 10 ff.)
spärlich — eine hübsche Bemerkung über Schnitzlers Abhängigkeit
vom Burgtheater (S. 22), ein lebendig hingeplaudertes Kapitel über
das literarische Jung=Wien um 1890 (S. 31 ff.), ein paar wertvolle
Hinweise auf bezeichnende Charakterzüge des Dichters (S. 95) und
Menschen (S. 228) Schnitzler.
Aber in welchem Ton ist das ganze Buch abgefaßt! in welch
unleidlichem Kaffeehausjargon! Wie peinlich berührt es den Leser,
wenn der Verfasser immer wieder den erforderlichen Ernst der
Darstellung mit seinen stumpfsinnigen Kalauern stört, sich an Wort¬
witzen erlustigt wie diesen: „Tierreich=Coitierreich“ (S. 140 f.),
„attischer Witz=Czernowitz“ (S. 35), „goldenes=stählernes=diebstählernes
Wiener Herz“ (S. 80), „Ehrbegriff=ehrotische Wesenheit“ (S. 216).
Und in dem gierigen Haschen nach Wortspielen stürzt er nicht bloß
wiederholt in den ausgesprochensten Unsinn (S. 12 über P. Gold¬
mann, S. 81 über Fedor Denner), sondern verrät auch peinlich böse
Mängel primitiver Schulbildung. Niemand verlangt von Ihnen, daß
Sie ein tüchtiger Lateiner seien, Herr Specht; aber wenn Sie kein
Latein gelernt oder Ihr Latein wieder vergessen haben, dann jong¬
lieren Sie lieber nicht mit lateinischen Vokabeln. Auf Seite 70 steht
der — unfreiwillig — beste Witz des Buches: „Coito, ergo sum“. —
Risum
Aber auch in der deutschen Formenlehre und Syntax ist Herr Specht
schlecht beschlagen; ich gebe ein paar Kostproben seiner Verunstaltung
2
deutschen Sprachgebrauches. S. 532. „Seids nicht dumm". S. 112.
Schnitzler zeige im Reigen „zuerst die Begierde des Mannes und
das Zogern der Frau und dann seine brutale Rücksichtslosigkeit des
Ermüdeten und ihre Zärtlichkeit der Neuverlangenden nach ihrer
. verlieren
S. 288. „Schnitzlers Weltspiele
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Vereinigung
sich manchmal ins bloß Spielerische mit dem Gräßlichen“, S. 262.
Die Heldin vom „Ruf des Lebens“ wecke erst am Schluß wirklichen
Anteil, „wenn das Individuelle verwischt wird und nur ein
S. 208, „Es gibt wenige Künstler,
Mensch mehr dasteht
deren menschliche Haltung so sehr das Recht gibt, auf ihn stolz zu
wie A. Schnitzler.“
sein ...
Ob A. Schnitzler angesichts dieser panegyrischen Geburtstagsgabe
(die erfreulicherweise spät genug erschien, daß sie die Festfreude erst
nachher vergällen konnte) nicht der Stoßseufzer entfuhr: „Wer
schützt mich vor solchen Freunden!“
Auf mancher Seite seines Buches fordert R. Specht kurzweg
zum Todschlag aller anders als er urteilenden Kritiker Schnitzlers
auf. Ich bin nicht so bösartig, gönne und wünsche auch einem
unfähigen Autor in seinem bürgerlichen Dasein alles erdenkliche
Gute. Und so begnüge ich mich, zum Schlusse dem Verleger dieses
elenden Buches, das eine Kränkung für den Dichter und eine Schande
für den angesehenen Verlag ist, eindringlich zuzurufen: „Ein¬
stampfen, Herr Fischer, einstampfen“.
Jos. Körner.
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