VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 181

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2. Cuttings
4# Arthur Schnitzler
Von Karl Hans Ströbt(Brünn)
Anatol: „— Ich bin ja auch ein Typus!“
Gabriele: „Und was für einer denn?“
g
Anatol: „ . Leichtsinniger Melancholiker!“
Jeichtsinniger Melancholiker: das ist Schnitzlers
Typus. Der Kern ist ein Paradoron, aber
ein Paradoron, das nur auf den ersten
Augenblick befremdlich wirkt. Denn was wäre
im Grunde verwandter als Leichtsinn und Melan¬
cholie. Verwandt sind sie wie die Krankheit und
das Gift, das zur Heilung dienen soll. Verwandt
wie Aktion und Reaktion, sofern man bei einem so
passiven Zustand wie dem des Melancholikers von
Aktion sprechen kann. Der Melancholiker ist durchaus
passiv. Er läßt die Dinge an sich herankommen,
wohl wissend, daß wir an ihrem Gang nichts ändern
können. Seine Weltanschauung ist der Quietismus
oder der Fatalismus. Sein Wesen ist Kulturmüdig¬
keit. Kulturmüde sind sie alle, die Melancholiker
unserer Tage; nicht lebensmüde — o nein, sie er¬
sehnen das Leben als etwas Heißes, Wunderbares,
Zwingendes, das sie in seinem Wirbel mit fortreißen
müßte, wenn es gelänge, sich in diesen Wirbel zu
stürzen. Immer wieder hören sie den werbenden
„Ruf des Lebens“. Aber da ist so viel zwischen ihnen
und dem ersehnten Glück. Sie hören das Brausen
des Meeres hinter bergenden Nebeln. Und wenn sie
sehnsüchtig durch die Schleier tappen wollen, dann
sind Berge da und Abgründe tun sich auf, die sie
daran hindern, weiterzudringen. Oder auch bloß be¬
queme Betten und Sofas, in denen es sich gar zu
behaglich liegt. Alle Hindernisse, alle Gebote und
Verbote der Kultur, die in ihrem Blute ist und sie
müde und zu anstrengenden Abenteuern unfähig
macht. Das Ideal der kulturmüden Melancholiker
ist der Kondottiere. Das Rinascimento überhaupt.
Die starken Menschen. Aber es dürfte nicht gar so
unbequem sein, den Ruf eines starken Menschen zu
erwerben und zu verteidigen. Man sehnt sich nach
der Renaissance! Die Medic er! Lorenzo, der Präch¬
tige! Oder gar die Borgia! Aber es müßte eine
erleichterte Ausgabe der Renaissance sein, ein Borgia
in Duodez. Und wenn man schon ein Kondottiere ist,
so müßte man ein Kondottiere sein, der abends bei
Arthur Schnitzler
Sacher speisen kann
und nachts beim Nach¬
hausekommen im
Vorzimmer die elek¬
trische Beleuchtung
einschaltet, weil es
doch sehr unbequem
ist, mit der Kerze zu
hantieren.
Herren des Le¬
bens sein, heißt: tun,
was man will. Töten
oder lieben nach der
Eingebung des Au¬
genblickes. Aber da
sind die Gesetze und
die öffentliche Mei¬
nung und die eigene
Bequemlichkeit. Da¬
rum sagt man mit
einer leichten Modu¬
lation des Akkordes
aus Dur in Moll:
tun, was man kann.
Tun, was man kann.
Das ist immerhin ge¬
uug. Lächelnd über¬
zeugt man sich davon.
Esbleibt genugübrig,
wenn man sich auf
1
das beschränkt, was
im engen Kreis un¬
Arthur Schnitzler
serer Möglichkeiten
gestattet ist. Man
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