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(die bisher immer in modernes Deutsch übersetzt
wurde, aber einzig und allein in ein leicht archaistisch
gefärbtes Deutsch übertragen werden muß, um ihren
Reiz zu bewahren), das dritte zeigt des großen
chinesischen Lyrikers Li=Tai=Pe strengen Parallelis¬
mus und Wortkargheit, die durch das Chinesische
selbst mit bedingt ist. Bisher wurde Li=Tai=Pe stets
weit ausholend umschrieben, während ich seine Fünf¬
silber in Quinaren fast Wort für Wort wiedergebe.
Ich glaube ein gewisses Recht zu haben, für diese
580
Karl Hans Strobl, Arthur Schnitzler
Und vielleicht ist gerade hier der archimedische
kommen sie nicht aus dem Gehirn, sondern aus dem
Punkt, von dem sich eine Art von Herrschaft über
Gefühl.
Welt und Leben gewinnen läßt. Wenn Wahrheit
Der Typus des süßen Mädels war neu. Aber
und Lüge ineinanderfließen und nichts gewiß ist,
unter allen Surrogaten ist für Schnitzler das Sur¬
was sie unterscheidet — was hindert uns, nach jenen
rogat Weib das wichtigste, und er hat sich nicht
Dingen zu greifen, die uns begehrenswerter scheinen.
damit begnügt, einen neuen Typ zu schaffen, sondern
Ein reizvolles Spiel. Ein Spiel, in dem das Weib
hat auch geniale Varianten der vorhandenen ge¬
Meisterin ist; auch Meisterin des Mannes, denn sie
funden. Vor Schnitzler waren die Franzosen da.
übt unbemußt, was er sich auf Denkumwegen er¬
Sie haben fast alles ausgesprochen, was vom Weib,
worben hat. Das Weib, als Surrogat, ist selbst
als Surrogat betrachtet, zu sagen war. Vom süßen
die große Lüge. Das wissen alle Don Juane, die
Mädel wußten sie nichts. Denn dieses war nur aus
von einem Weib zum andern schleichen oder stürmen
dem Wiener Boden zu schaffen. Die kleinen Freun¬
und doch niemals die Fanale ihres Begehrens ver¬
dinnen der Bohémiens bei Murget sind etwas ganz
löschen sehen. Das Weib ist die Lüge. Oder viel¬
anderes als diese schnitzlerschen Mädel. Das Quartier
mehr — sie lügt nicht, aber in jedem Augenblick hat
Latin hat ein anderes Klima als Währing oder
sie eine andere Wahrheit. Wie Beatrice Nardi in
Hernals. Aber die mondaine Frau, in den Grund¬
dem „Schleier der Beatrice“. Dieser Schleier ist
zügen nicht verschieden, ob sie in Wien oder in Paris
symbolisch. Jedes Weib hat ihn. Sie wirft ihn
lebt, die wurde schon von den Franzosen mit fast
über die Dinge, und sie verändern Gestalt und Wesen.
wissenschaftlicher Genauigkeit erhascht und dargestellt.
Sie hüllt sich in ihn und erscheint uns verwandelt und
Balzac hat ihre Enzyklopädie geschrieben. Für
unerkennbar. Ein reizvolles Spiel. Ein Spiel mit
Schnitzler blieben nur die genialen Varianten übrig.
der Liebe, mit dem Leben, mit dem Tod. Beatrice
Er hat sie gefunden. Die junge Witwe mit dem
liebt den Maler Filippo, verrät ihn an den Herzog,
Durst nach Erfüllung, der zur großen Enttäuschung
verrät den Herzog an Filippo. Sie will mit Filippo
führt. Das junge Mädchen, das, von einem Mann
sterben, und da Filippo sie auf die Probe stellt
gebannt, sich ihm hingibt und dann ins Wasser geht.
und den harmlosen Wein, den sie getrunken haben,
(Das Geniale liegt freilich nicht in diesem rohen
für Gift ausgibt, schreit sie in furchtbarer Angst auf
Umriß, sondern im Detail, im Arasbeskenwerk und
und will das entfliehende Leben festhalten. Spiel
der Ornamentik.) Ein Reigen von Leibern mit ganz
mit der Wahrheit ist Betrug, sagt der Mann von
bestimmten, individualisierten Köpfen, deren Züge
Grundsätzen. Dem Weib ist der Betrug das Selbst¬
sich fest einprägen, manchmal freilich auch von Leibern
verständliche.
ohne Köpfe.
Ein reizvolles Spiel. Bewußt geübt, ist es noch
Aber das Schönste ist doch das süße Mädel.
eines der wenigen wertvollen Güter des Lebens.
ein kleines, dämmeriges
... Denken Sie sich
Zimmer — so klein — mit gemalten Wänden
„Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben,
und noch dazu etwas zu licht — ein paar alte,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
schlechte Kupferstiche mit verblaßten Aufschriften hän¬
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
gen da und dort. — Eine Hängelampe mit einem
Ein andrer spielt mit tollen Abergläub'schen.
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer,
Schirm. — Vom Fenster aus, wenn es Abend wird,
Mit Menschenseelen spiele ich.“
die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden Dächer
und Rauchfänge! ... Und — wenn der Frühling
Sagt Paracelsus. Er ist der Herrschende. Der
kommt, da wird der Garten gegenüber blühn und
chere“ Mann denkt anders:
duften.
„Auch ich hab' manchen Alpdruck schon verspürt;
Das ist das Reich des süßen Mädels. Von ihm
Jedoch was tut's, man wacht ja wieder auf.
erzählt Anatol Frau Gabriele, der mondainen Dame.
Sie Sonne kommt, der gute Lärm des Tags.
Und das süße Mädel ist die Seele dieses Reiches
Man lacht des Traums und geht an seine Arbeit.“
Und Frau Gabriele sendet dem Mädel Blumen und
Der sichere Mann glaubt sich dem „Träumer“
trägt Anatol auf, ihr zu sagen: „Diese Blumen,
überlegen. Und in Wahrheit zeigt der Zusammen¬
mein . . . süßes Mädel, schickt dir eine Frau, die
stoß sein Unterliegen. Aber auch der Träumer, der
vielleicht ebenso lieben kann wie du und die den
Spieler mit Menschenseelen ist seines Spieles nicht
Mut dazu nicht hatte ...
gewiß. Auch ihm kommt der Moment, wo ihm die
Fäden entgleiten und wo er vor dem ungeheueren
Rätsel des Urgrundes erstarrt. Durch die Kraft sei¬
Die Waffe des leichtsinnigen Melancholikers ist
nes Willens legt Paracelsus eine fremde Seele in
die Skepsis. Seine Waffe gegen sich selbst, gegen
Justina. Sie spricht von einem Betrug, den sie nie
Welt und Leben, gegen Gott und Teufel. An der
begangen hat. Aber in Gebärde und Wort so wahr,
Grenze der Melancholie treibt sie die Schatten des
als sei alles, dessen sie sich beschuldigt, wirklich ge¬
Wahnsinns zurück, und an der Grenze des Leichtsinns
schehen. Und nun erschrickt der Spieler selbst.
zwingt ihr scharfes Blinken zu besonnenem Inne¬
Paracelsus:
halten. Wie dumm sind die Positiven, die Ver¬
„Und wenn es doch die Wahrheit wäre,
trauensseligen, die an jedem Ding nur eine Seite
Die ich nur aufgerüttelt ihr im Herzen?“
sehen. Jedes Ding hat unzählige Gesichter, und jeder
Mensch hat im selben Augenblick recht und unrecht.
Cyprian:
Was ist Lüge? Was ist Wahrheit? Wer wird da
„Ihr gabt ihr doch den Wahn — und zweifelt selbst!“
scharf scheiden wollen? Ist nicht im Grunde gerade
Paracelsus:
dies das Wundervolle an dieser Welt, daß eines
„Ich bin ein Zaub'rer nur — sie ist ein Weib!“
in das andere fließt.
(die bisher immer in modernes Deutsch übersetzt
wurde, aber einzig und allein in ein leicht archaistisch
gefärbtes Deutsch übertragen werden muß, um ihren
Reiz zu bewahren), das dritte zeigt des großen
chinesischen Lyrikers Li=Tai=Pe strengen Parallelis¬
mus und Wortkargheit, die durch das Chinesische
selbst mit bedingt ist. Bisher wurde Li=Tai=Pe stets
weit ausholend umschrieben, während ich seine Fünf¬
silber in Quinaren fast Wort für Wort wiedergebe.
Ich glaube ein gewisses Recht zu haben, für diese
580
Karl Hans Strobl, Arthur Schnitzler
Und vielleicht ist gerade hier der archimedische
kommen sie nicht aus dem Gehirn, sondern aus dem
Punkt, von dem sich eine Art von Herrschaft über
Gefühl.
Welt und Leben gewinnen läßt. Wenn Wahrheit
Der Typus des süßen Mädels war neu. Aber
und Lüge ineinanderfließen und nichts gewiß ist,
unter allen Surrogaten ist für Schnitzler das Sur¬
was sie unterscheidet — was hindert uns, nach jenen
rogat Weib das wichtigste, und er hat sich nicht
Dingen zu greifen, die uns begehrenswerter scheinen.
damit begnügt, einen neuen Typ zu schaffen, sondern
Ein reizvolles Spiel. Ein Spiel, in dem das Weib
hat auch geniale Varianten der vorhandenen ge¬
Meisterin ist; auch Meisterin des Mannes, denn sie
funden. Vor Schnitzler waren die Franzosen da.
übt unbemußt, was er sich auf Denkumwegen er¬
Sie haben fast alles ausgesprochen, was vom Weib,
worben hat. Das Weib, als Surrogat, ist selbst
als Surrogat betrachtet, zu sagen war. Vom süßen
die große Lüge. Das wissen alle Don Juane, die
Mädel wußten sie nichts. Denn dieses war nur aus
von einem Weib zum andern schleichen oder stürmen
dem Wiener Boden zu schaffen. Die kleinen Freun¬
und doch niemals die Fanale ihres Begehrens ver¬
dinnen der Bohémiens bei Murget sind etwas ganz
löschen sehen. Das Weib ist die Lüge. Oder viel¬
anderes als diese schnitzlerschen Mädel. Das Quartier
mehr — sie lügt nicht, aber in jedem Augenblick hat
Latin hat ein anderes Klima als Währing oder
sie eine andere Wahrheit. Wie Beatrice Nardi in
Hernals. Aber die mondaine Frau, in den Grund¬
dem „Schleier der Beatrice“. Dieser Schleier ist
zügen nicht verschieden, ob sie in Wien oder in Paris
symbolisch. Jedes Weib hat ihn. Sie wirft ihn
lebt, die wurde schon von den Franzosen mit fast
über die Dinge, und sie verändern Gestalt und Wesen.
wissenschaftlicher Genauigkeit erhascht und dargestellt.
Sie hüllt sich in ihn und erscheint uns verwandelt und
Balzac hat ihre Enzyklopädie geschrieben. Für
unerkennbar. Ein reizvolles Spiel. Ein Spiel mit
Schnitzler blieben nur die genialen Varianten übrig.
der Liebe, mit dem Leben, mit dem Tod. Beatrice
Er hat sie gefunden. Die junge Witwe mit dem
liebt den Maler Filippo, verrät ihn an den Herzog,
Durst nach Erfüllung, der zur großen Enttäuschung
verrät den Herzog an Filippo. Sie will mit Filippo
führt. Das junge Mädchen, das, von einem Mann
sterben, und da Filippo sie auf die Probe stellt
gebannt, sich ihm hingibt und dann ins Wasser geht.
und den harmlosen Wein, den sie getrunken haben,
(Das Geniale liegt freilich nicht in diesem rohen
für Gift ausgibt, schreit sie in furchtbarer Angst auf
Umriß, sondern im Detail, im Arasbeskenwerk und
und will das entfliehende Leben festhalten. Spiel
der Ornamentik.) Ein Reigen von Leibern mit ganz
mit der Wahrheit ist Betrug, sagt der Mann von
bestimmten, individualisierten Köpfen, deren Züge
Grundsätzen. Dem Weib ist der Betrug das Selbst¬
sich fest einprägen, manchmal freilich auch von Leibern
verständliche.
ohne Köpfe.
Ein reizvolles Spiel. Bewußt geübt, ist es noch
Aber das Schönste ist doch das süße Mädel.
eines der wenigen wertvollen Güter des Lebens.
ein kleines, dämmeriges
... Denken Sie sich
Zimmer — so klein — mit gemalten Wänden
„Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben,
und noch dazu etwas zu licht — ein paar alte,
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
schlechte Kupferstiche mit verblaßten Aufschriften hän¬
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
gen da und dort. — Eine Hängelampe mit einem
Ein andrer spielt mit tollen Abergläub'schen.
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgendwer,
Schirm. — Vom Fenster aus, wenn es Abend wird,
Mit Menschenseelen spiele ich.“
die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden Dächer
und Rauchfänge! ... Und — wenn der Frühling
Sagt Paracelsus. Er ist der Herrschende. Der
kommt, da wird der Garten gegenüber blühn und
chere“ Mann denkt anders:
duften.
„Auch ich hab' manchen Alpdruck schon verspürt;
Das ist das Reich des süßen Mädels. Von ihm
Jedoch was tut's, man wacht ja wieder auf.
erzählt Anatol Frau Gabriele, der mondainen Dame.
Sie Sonne kommt, der gute Lärm des Tags.
Und das süße Mädel ist die Seele dieses Reiches
Man lacht des Traums und geht an seine Arbeit.“
Und Frau Gabriele sendet dem Mädel Blumen und
Der sichere Mann glaubt sich dem „Träumer“
trägt Anatol auf, ihr zu sagen: „Diese Blumen,
überlegen. Und in Wahrheit zeigt der Zusammen¬
mein . . . süßes Mädel, schickt dir eine Frau, die
stoß sein Unterliegen. Aber auch der Träumer, der
vielleicht ebenso lieben kann wie du und die den
Spieler mit Menschenseelen ist seines Spieles nicht
Mut dazu nicht hatte ...
gewiß. Auch ihm kommt der Moment, wo ihm die
Fäden entgleiten und wo er vor dem ungeheueren
Rätsel des Urgrundes erstarrt. Durch die Kraft sei¬
Die Waffe des leichtsinnigen Melancholikers ist
nes Willens legt Paracelsus eine fremde Seele in
die Skepsis. Seine Waffe gegen sich selbst, gegen
Justina. Sie spricht von einem Betrug, den sie nie
Welt und Leben, gegen Gott und Teufel. An der
begangen hat. Aber in Gebärde und Wort so wahr,
Grenze der Melancholie treibt sie die Schatten des
als sei alles, dessen sie sich beschuldigt, wirklich ge¬
Wahnsinns zurück, und an der Grenze des Leichtsinns
schehen. Und nun erschrickt der Spieler selbst.
zwingt ihr scharfes Blinken zu besonnenem Inne¬
Paracelsus:
halten. Wie dumm sind die Positiven, die Ver¬
„Und wenn es doch die Wahrheit wäre,
trauensseligen, die an jedem Ding nur eine Seite
Die ich nur aufgerüttelt ihr im Herzen?“
sehen. Jedes Ding hat unzählige Gesichter, und jeder
Mensch hat im selben Augenblick recht und unrecht.
Cyprian:
Was ist Lüge? Was ist Wahrheit? Wer wird da
„Ihr gabt ihr doch den Wahn — und zweifelt selbst!“
scharf scheiden wollen? Ist nicht im Grunde gerade
Paracelsus:
dies das Wundervolle an dieser Welt, daß eines
„Ich bin ein Zaub'rer nur — sie ist ein Weib!“
in das andere fließt.