VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 190

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2. Cuttings
l#ne unter andrrl.. „Was on.
Prinz Elias Studierenden anbelangt, so muß ich zu meinem größten Be=##ne
tern nach Wels be- dauern feststellen, daß dasselbe nicht immer den akademischen „Ich bin sonst immer gewohnt gewesen, von der
r v. Schönaich Gesetzen entsprach, es bestand schon von Beginn des Tribüne aus zu sprechen, aber das Hinaufklettern
kgetroffen. — Aus Studienjahres an eine gereizte Stimmung, die bei geringen Anlässen über Stiegen ist für mich geradezu eine Pein und daher muß ich
Aichts 1eg Uher ais ein Gehrch ater di mehenen
entzückende Aussicht nach dem Kahlen= und dem Leopoldsberg ge¬
azie.
währen, wirkt wie ein Wahrzeichen ernster Arbeit und ästhetischer Dichter.
Auch hier zeigt es sich sofort, daß nur das wirklich
Ordnungsliebe. Das alles umfängt den Besucher mit warmer
in ihrer Ausdrucks= Dichterische auf die Dichterin wirkt und ihr Urteil beeinflußt. Sie
Harmonie. Die delle Grazie
weise hochinteressant. Jede Frage, die sie beschäftigt, hält Schnitzler für einen feinen, kultivierten Geist, der viel
Grazie — der
e
nimmt sie mit gespannter Aufmerksamkeit in sich auf, sie ant= mehr vermöchte, als er häufig gibt, und Hofmannsthal
„Fräulein“ 2c. ebenso
wartet nicht gleich. Man sieht förmlich, wie sie darüber nach=für einen echten, bedeutenden Dichter. Die Ebner=Eschen¬
oder der Rosa
denkt, wie sie in die Tiefe taucht, wie sie sich konzentriert, umsbach entzückt sie und sie hält sie für einen bedeutenden
ihere Bekanntschaft zu die Summe ihrer Gedankeuarbeit fertig heraufzuholen. Wenn sie Humoristen, als der sie jedoch ihrer Ansicht nach nicht genügend
aß ich einer richtigen,
dann spricht, so geschieht das mit fast südlicher Lebhaftigkeit, aus gewürdigt wird. Weniger günstig äußert sie sich über Gerhart
in Aug' gegenüber= einem schön=bewegten Temperament heraus, das ihrer Rede einen Hauptmann. Sie erklärt „Die Weber“ für ein gelungenes
Ruck. Und sofort durchwegs kräftigen Rhythmus verleiht. Sie lacht laut und herzlich Schulbeispiel und „Hannele“ für eine poetische Schöpfung. Aber
ich war bemüht, mir
und hat eine merkwürdig charakteristische Beweglichkeit der rechten sie hält Hauptmann nicht für einen Denker, wenn sie auch aner¬
und Eigenart einer Hand, die ihrer Rede ausdrucksvoll sekundiert. Aber es fliegen kennen muß, daß er mit kleinen Mitteln meist sehr wirksam zu #
schaffen weiß.
ihrem Temperament. auch tiefe, melancholische Schatten über ihre beweglichen Züge,
Ich war neugierig, wie sie über Ibsen denke. „Ich
irde sie aus ihrer namentlich wenn sie davon spricht, daß sie seit ihrer frühesten
halte Ibsen“, meint sie eifrig, „für einen der größten Meister in
sich ein Gedanken= Kindheit fast immer einsam gelebt, daß sie sich nur schwer an
Bereicherung böte?
seinen frühesten Werken, wie „Cäsar und Galiläer“, „Peer Gynt“,
Menschen angeschlossen und niemals eine Freundin besessen hat.
„Ich habe mich im Wesen und auch morphologisch seit „Kronprätendenten“, aber weit weniger imponiert er mir in seinen
sich auf: Wie lebt,
meiner Kindheit kaum verändert“, sagt sie und in der Tat zeigt späteren partikulär nordischen Schöpfungen. Ebenso erscheint mir
terin? Bis in die
eine ihrer Photographien als siebenjähriges Mädchen vollkommene Tolstoi in keinem seiner anderen Werke so hochstehend wie in
d Zweifel in meinem
„Anna Karenina“. Das ist ein großartiges, geschlossenes Kunst¬
Aehnlichkeit in den kindlichen Zügen, den Ausdruck schwermütigen
delle Grazie eintrat,
mir kräftig die Hand Ernstes, ja einen über das Kindesalter hinaus gereiften forschenden werk. Aber für den Größten, Bedeutendsten halte ich Dosto¬
jewsky, den Seelenergründer, von dem auch Nietzsche
neine Skrupe, sofort sehnsüchtigen Blick.
Ich bin überzeugt, daß dieses merkwürdige Gemisch von sagte: „Daß er von ihm in der psychologischen Analyse zugelernt
hl, innerlich fraglos!
rlich? Goitlob, nein! Licht und Schatten, von hellem Temperament und dunkler Ge= habe.“ Die delle Grazie ist ein philosophisch geschulter Geist, eine
natur. Eine liebens= dankentiefe in einer ausgesprochenen Rasseneigentümlichkeit wurzelt. Denkerin, der kein geistiges Gebiet fremd geblieben ist. In ihr
Die delle Grazie entstammt einer alten, bis jus XIII. Jahr=lebt — wieht anders möglich — eine starke Gesinnungs¬
chkultivierte weibliche
der citta-tüchtigkeit, jener sittliche Ernst, dem keine Sünde verächtlicher
n sie die tieffinnigsten hundert zurückreichenden venezianischen Familie
isch, den man sofort dinanza originaria Veneziana — und sie erlebte ihre früheste scheint als die Fahnenflucht vor der eigenen Ueberzeugung. Und
wurde denn die kurze Jugend bis zu ihrem neunten Jahre in Ungarisch=Weißkirchen. als wir von Nietzsche sprechen, entspricht es durchaus dieser
Aussprache mit einem Nach ihrer Schilderung war sie immer ein träumerisches, ein „ver= starken geistigen Selbständigkeit, wenn sie versichert, daß sie
stiegenes“ Kind und ihr Blick schweifte schon damals in stiller nicht ohne weiteres mit ihm durch „dick und dünn“ gehe,
ur zu selten sieht.
teinander gesprochen, Sehnsucht über die alten Römerstraßen, nach den sichtbaren Trajans= aber sie verdammt e,s, daß die meisten Beurteiler Nietzsches ihn
Wohnzimmer der tafeln jenseits des anderen Ufers. Die eigenartige Landschaft, mit aus dem Grunde schlecht begreifen, weil sie nicht die ganze hoch¬
nelnden Raum, der ihrem melancholisch=tragischen Charakter, die rumänische Bevölkerung interessante Entwicklung dieses Proteus verfolgen, sondern ihn,
hituender, bürgerlicher mit ihren klassischen und an die alten Lateiner gemahnenden Ge= weil er meist in Aphorismen gesprochen, nur für einen Aphoristiker
halten. Selbstverständlich hält die delle Grazie Nietzsche nicht bloß
feste Dissonanz das stalten, ihren schönen Weibern, alles das prägte sich bildhaft in
genannte künstlerische das phantasievolle Gemüt des begabten Kindes. So vereinigten für den hervorragendsten Stilisten, der der deutschen Sprache un¬
auf Nachlässigkeit sich altererbte Kunst und Lebfreudigkeit des strahlenden vene= geahnten neuen Glanz und die höchste Formschönheit verliehen hat,
nicht, eine gute, sorg=zianischen Elements mit den düsteren Jugendeindrücken und sondern für ein epochemachendes Genie.
Bei dieser Gelegenheit teilt sie mir mit, daß sie sich mit
iseste Pedanterie nach= befruchteten die hervorragenden dichterischen Fähigkeiten der
dem Gedanken an einen Dramenzyklus trage, welcher den Ge¬
enstern steht, die eine delle Grazie.